Rede · 27.01.2010 Änderung des Schulgesetzes



Wir diskutieren heute die zweite Lesung des sogenannten GW-Gesetzes. GW steht dabei logischerweise nicht für die Änderung des Schulgesetzes - GW steht für Gesichtswahrung. Dies scheint nämlich die einzige Zielsetzung dieser Gesetzesvorlage zu sein: Die Gesichtswahrung der FDP, die im Wahlkampf lautstark verkündet hat, die Realschule als Angebotsschule erhalten zu wollen.

Mit der Änderung der Paragraphen 146, 147 und 148 des Schulgesetzes wird die Frist zur Umwandlung von Real- und Hauptschulen sowie kooperierender Gesamtschulen in Regional- bzw. Gemeinschaftsschulen um ein Jahr hinausgezögert. Bisher konnte mir aber noch niemand plausibel erklären, worin der Sinn dieser Fristverlängerung liegt. Weder aus einem pädagogischen noch einem finanziellen Blickwinkel lässt sich erkennen, warum eine verzögerte Schulstrukturänderung in Schleswig-Holstein von Vorteil sein sollte.

Auch die Stellungnahmen aus der Anhörung zu diesem Gesetzesentwurf bringen keine schlüssigen Erklärungen. Im Gegenteil. Nicht eine einzige Stellungnahme sieht die Fristverlängerung positiv. Stattdessen werden in den Stellungnahmen Probleme und Unklarheiten aufgezeigt und hinterfragt, die die Landesregierung bis heute nicht überzeugend beantworten konnte - oder wollte.

Der überwiegende Teil der schleswig-holsteinischen Schulen hat die Schulgesetzänderung von 2007 bereits umgesetzt. Gerade mal 1/4 der Realschulen ist noch nicht in Regional- bzw. Gemeinschaftsschulen umgewandelt und für diese wenigen Schulen schafft die Landesregierung unter dem Druck der FDP ein Gesichtswahrungsgesetz. Wie nett - und wie sinnlos!

Die Schulentwicklungsplanung in den Kommunen ist schön längst abgeschlossen. Die Schulträger haben sich entschieden, die Einführung der Regional- und Gemeinschaftsschulen ist auf dem Weg. Der SSW hat die Schulgesetzänderung der Großen Koalition immer begrüßt, auch wenn für uns klar ist, dass die Regionalschule eine Sackgasse ist. Unserer Ansicht nach muss die Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein flächendeckend eingeführt werden. Wir brauchen eine Schule für alle, die auch eine Schule für alle ist.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wird eine moderne pädagogische Zielsetzung gestoppt und auch noch ins Gegenteil verkehrt. Nicht nur, dass die Schulstruktur mit Hauptschulen, Realschulen, Regionalschulen, Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen und Gymnasien zukünftig in völligem Chaos versinkt. Viel schlimmer ist aus unserer Sicht, dass die FDP Liberalität mit Beliebigkeit verwechselt. Die FDP hat den Initiatoren des Volksbegehrens im Wahlkampf versprochen, dass die Realschule bei einem positiven Ausgang des Begehrens als Angebotsschule erhalten bleibt. Genau so steht es auch im Koalitionsvertrag drin: „CDU und FDP warten den Ausgang des Volksbegehrens zum Erhalt der Realschule ab. Für den Fall, dass dieses Volksbegehren das erforderliche Quorum erreicht, werden die Koalitionspartner dessen Anliegen Rechnung tragen.“ Anstatt das Ergebnis des Volksbegehrens abzuwarten, reagiert die Landesregierung in vorauseilendem Gehorsam und stellt die Weichen für etwas Virtuelles, was noch nicht da ist. Obwohl das Ergebnis des Volksbegehrens wohl erst im Februar vorliegt, hat die Landesregierung in rasantem Galopp jetzt schon diese Schulgesetznovellierung durchgedrückt.

Für den SSW möchte ich klarstellen, dass die Vorgehensweise bei dieser Schulgesetznovellierung wirklich unterirdisch war. Nicht nur, dass der Anhörungszeitraum vom 18. Dezember 2009 bis zum 11. Januar 2010 lag, so dass viele ehrenamtlich geleitete Vereine in den Weihnachtsferien kaum die Chance hatten, entsprechende Stellungnahmen zu diesem Gesetzentwurf zu schreiben. Außerdem wurde die Änderung des § 147 durch die Hintertür dazu geschmuggelt und war nicht Bestandteil der Anhörung. Dies wird ganz ausdrücklich in der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Leiterinnen und Leiter der Gesamtschulen in Schleswig-Holstein deutlich: „Die im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung des § 146 des Schulgesetzes betrifft die Gesamtschulen des Landes Schleswig-Holstein nicht. (…) Die ALG begrüßt ausdrücklich, dass von einer Änderung des § 147 abgesehen wird.“
Schwuppdiwupp wurde zum Anfang des Jahres dann doch noch ein Änderungsantrag eingereicht und im Bildungsausschuss damit argumentiert, dass doch immer alle wussten, dass auch der Paragraph 147 geändert werden sollte.
Mit der Vorgehensweise bei dieser Schulgesetznovellierung hat sich die Landesregierung nicht mit Ruhm bekleckert. Ohne eine faire Anhörung, ohne die gesamte Beschlussvorlage in die Anhörung zu geben und ohne alle Argumente und Stellungnahmen zu berücksichtigen - so eilig hat es diese Landesregierung, ihr Gesicht zu wahren, dass sie noch nicht mal Zeit für ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren hat. Und dann kommt der Gesetzentwurf auch noch von den regierungstragenden Fraktionen, um das Verfahren noch mal abzukürzen.

Am peinlichsten für diese Landesregierung ist aber, dass bei der ganzen Diskussion verschwiegen wird, welche Konsequenzen diese Schulgesetznovellierung mit sich bringt. Es geht ja nicht nur darum, dass die Frist der Umwandlung um ein Jahr verlängert wird. Mit dieser Änderung wird an aller erster Stelle erreicht, dass die Einführung einer pädagogisch modernen Schulstruktur verhindert wird. Darüber hinaus gibt es Unmengen an Detailfragen, die bisher nicht beantwortet sind. Da ist die Frage danach, was eigentlich mit den restlichen Hauptschulen im Land passiert, wenn die Realschulen bleiben dürfen. Außerdem ist unklar, nach welchen Kriterien und mit welchem zeitlichen Horizont die Zuweisung der Lehrerplanstellen funktioniert. Alle Schulträger haben die Raum-, Standort- und Bauplanung abgeschlossen, die Schulentwicklungsplanung verabschiedet und vom Bildungsministerium genehmigen lassen. Es ist bisher schleierhaft, welche Schulen überhaupt ein solches Angebot wahrnehmen wollen. Vor allem, da allen klar sein dürfte, dass die Real- und Hauptschulen eine aussterbende Schulart sind.

Am aller geheimsten hält die Landesregierung allerdings die Informationen darüber, was diese Schulgesetznovellierung kostet. Der Landesrechnungshof hat in seinem letzten Schulbericht deutlich gemacht, dass zwei Schularten für die Sekundarstufe I ausreichend und maximal finanzierbar sind. Angesichts der aktuellen Haushaltslage des Landes und den bisherigen Kürzungsvorschlägen der Landesregierung stellt sich für den SSW die Frage, wie hoch die Mehrkosten sind, die durch die Fortführung eines sechsgliederigen Schulsystems entstehen. Im Gesetzentwurf taucht der Punkt „Kosten“ nicht auf und auch im Bildungsausschuss wurde dieser Punkt ausgeschwiegen. Schweigen ändert aber nichts daran, dass hier Mehrkosten für das Land entstehen, die zu vermeiden wären.

Für den SSW möchte ich an dieser Stelle festhalten, dass diese Schulgesetznovellierung aus unserer Sicht nicht nur rückwärtsgewandt ist. Sie verunsichert die Schulen und die Schulträger, die Eltern, die Lehrerschaft und nicht zuletzt die Schülerinnen und Schüler des Landes. Wir erwarten daher, dass diese Schulgesetznovellierung zurückgezogen wird, wenn das Volksbegehren nicht positiv für den Erhalt der Realschulen ausfällt.

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