Rede · 15.05.2002 Bundestariftreuegesetz

Wir haben ja schon in Frühjahr letzten Jahres ein Vergabegesetz in den Landtag eingebracht. Deshalb wird es sie natürlich nicht verwundern, dass wir eine grundsätzlich positive Haltung zu einem Tariftreuegesetz haben. Auf die wirtschaftsliberalen Thesen – das meine ich im negativsten Sinne – die die FDP bewogen haben, den vorliegenden Antrag zu stellen, möchte ich nicht näher eingehen. Ich verweise hierzu auf die Anhörung zu unserem Landesvergabegesetz im Wirtschaftsausschuss, wo sich Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsorganisationen positiv und zum Teil begeistert zum Landesvergabegesetz geäußert haben. So viele Menschen können sich nicht irren – ich denke, da irrt doch eher die FDP.

Ich möchte vielmehr auf die Schwächen des vorgeschlagenen Tariftreuegesetzes auf Bundesebene eingehen. Im Laufe der Beratungen wurde der Gesetzentwurf immer mehr aufgeweicht und verändert, so dass wir nun ein Gesetz vorliegen haben, das erhebliche Schwächen hat.

Da ist zu aller erst die Festlegung, dass das ganze Gesetz erst ab einem Auftragswert von 100.000 € gelten soll. Der weit überwiegende Teil der öffentlichen Aufträge liegt unterhalb dieses Schwellen-wertes. Somit wird der Geltungsbereich des Gesetzes stark eingeschränkt. Es ist aber auch irgendwie ein bisschen schizophren, wenn man über einem Schwellenwert Tarife einhalten muss und unterhalb dieses Wertes jeder machen kann, was er will. Im übrigen müssen wir bei einer solchen Schwellenwertregelung davon ausgehen, dass die Ausschreibungen verstärkt in Teillosen erfolgen werden, um so unterhalb des Schwellenwertes bleiben zu können und so die Tarife dann weiterhin zu unterlaufen. Der Schwellenwert muss daher ersatzlos gestrichen werden.

Die zweite große Inkonsequenz im Gesetz ist die Regelung, dass in den Jahren 2002 bis 2004 auch unterhalb des vor Ort gültigen Tarifs gezahlt werden darf. Hierdurch wird Lohndumping auch noch staatlich sanktioniert. Das ist völlig inakzeptabel. Ziel des Gesetzes muss sein, Lohndumping zu verhindern und nicht Lohndumping auch noch in Gesetzesform zu gießen. Vor allem in Ostdeutschland würden so weiterhin die niedrigen Tarife gezahlt werden und man hätte dort auf absehbare Zeit keine Chance, bei den Tarifen endlich Westniveau zu erreichen. Diese Regelung muss daher ebenfalls ersatzlos gestrichen werden.

Kommen wir nun aber auch zum eigentlichen Geltungsbereich des Gesetzes. Es soll nur auf dem Gebiet des Bauwesens und für den öffentlichen Personennahverkehr gelten. Neben diesen beiden in der Tat wichtigsten Bereichen gibt es aber noch einen weiteren Bereich, dessen bisher gewachsene Struktur von zukünftigen Ausschreibungen und damit verbundenem Lohndumping betroffen sein wird: der Abfallwirtschaftsbereich. In den nächsten Jahren wird uns eine Welle von Ausschreibungen im Bereich der Müllabfuhr erreichen. Die Auswirkungen werden die gleichen sein, wie wir sie im Baubereich kennen und im ÖPNV in naher Zukunft erwarten. Daher ist es wichtig, dass gerade die Abfallwirtschaft ebenfalls vom Gesetz umfasst wird.

Im Prinzip müssen wir in vielen Bereichen mit Problemen rechnen. Was ist zum Beispiel mit dem Fassadenreinigungsgewerbe oder dem Gartenbau? Ein Gesetz, das allumfassend wirken würde, wäre mit Sicherheit die beste Lösung.

Kommen wir nun noch zum Verwaltungsaufwand. Im Gesetzentwurf ist festgelegt, dass die Bundesanstalt für Arbeit und die Zollverwaltung die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren sollen. Dies wird zu einer Mehrbelastung dieser Verwaltungen führen. Gerade die Bundesanstalt für Arbeit sollte nach den derzeitigen Erfahrungen nicht dieser Mehrbelastung ausgesetzt werden. Die Vergabegesetze auf Länderebene in Bayern, im Saarland, in Berlin und in Sachsen-Anhalt kommen allesamt ohne eine solche Regelung aus. Und auch das von uns eingebrachte Landesvergabegesetz sieht nur die Verantwortlichkeit beim öffentlichen Auftraggeber vor. Im Gegensatz zum Tariftreuegesetz auf Bundesebene sind die Regelungen auf Länderebene mit wesentlich weniger Bürokratie ausgestattet. An diesen Beispielen hätte man sich eigentlich orientieren sollen.

Ich gehe davon aus, dass das Tariftreuegesetz am 31. Mai im Bundesrat keine Mehrheit finden wird. Dann wird der Weg für ein Vergabegesetz auf Landesebene frei. Ich möchte daher feststellen, dass die rot-grüne Mehrheit im April im Wirtschaftsausschuss zugesagt hat, unseren Gesetzentwurf zum Anlass zu nehmen, ein Landesvergabegesetz in Schleswig-Holstein verabschieden zu wollen. Unser Entwurf befand sich schon in der ersten Lesung und in der notwendigen Anhörung, die sehr positiv für den Gesetzentwurf verlaufen ist. All die Fehler, die ich gerade eben in bezug auf das Tariftreuegesetz auf Bundesebene aufgezählt habe, finden sich in unserem Gesetzentwurf nicht. Die Ablehnung des Tariftreuegesetzes auf Bundesebene ist somit für uns in Schleswig-Holstein keine Niederlage, sondern die Chance es noch besser zu machen.

Wir werden uns heute der Stimme enthalten. Bitte verstehen sie unsere Enthaltung so, wie sie auch im Bundesrat gewertet werden würde. Dort gelten Enthaltungen ausdrücklich nicht als Zustimmung. Wir wollen weder dem FDP-Antrag noch dem Entwurf für ein Tariftreuegesetz auf Bundesebene zustimmen.

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