Rede · 27.03.2025 Der wachsende Antisemitismus darf nicht weiter erstarken

„Der wachsende Antisemitismus darf nicht weiter erstarken. Darum müssen wir uns gute Maßnahmen überlegen, was wir dagegen tun können. Wir müssen klare Ziele benennen und die dazu nötigen Maßnahmen mit einer nachhaltigen Finanzierung ausstatten.

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 11- 80 Jahre Befreiung von Ausschwitz: Holocaust-Wissen und -Bewusstsein stärken und Maßnahmen im Bildungsbereich ausbauen (Drs.20/2966neu)

Antisemitismus ist kein Wissensproblem. Diese Art der Menschenfeindlichkeit äußert sich gerade im vollen Bewusstsein dessen, was vor 80 Jahren in Deutschland geschehen ist. Der Antisemitismus hat trotz großer Bemühungen in Deutschland immer einen Platz gehabt; immer gab es Menschen im demokratischen Deutschland, die den Antisemitismus vermeintlich ideologisch begründet haben und schon seit Gründung der Bundesrepublik gab es Menschen, die antisemitische Taten durchführten.
Dieser Kontinuität kann man nur mit der gleichen Beharrlichkeit in den Maßnahmen begegnen. Man darf nicht nachlassen, sich nicht auf Erreichtem ausruhen oder sogar meinen, es sei jetzt doch ausreichend informiert worden. 
Bildungslücken in Sachen Holocaust und Antisemitismus weisen Viele in Deutschland deutlich von sich. Und doch sind sie da. Ich begrüße es vor diesem Hintergrund ausdrücklich, dass der Landtag den Antisemitismus als ernstes Problem begreift und dass ein Konsens da ist, dass wir gemeinsam dagegen vorgehen müssen. Das ist gut, wichtig und gilt über alle Fraktionen hinweg. Der Ruf nach dem „Nie wieder“ eint uns alle.
Allerdings bleibt die Herausforderung, Aufklärung und Bildungsarbeit auch bei diesem Thema zeitgemäß zu halten und an neue gesellschaftliche Herausforderungen und Entwicklungen anzupassen. 
Wir haben im Plenum bereits vor einem Jahr ein umfangreiches Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht zum Thema Antisemitismus und Schulen. Nun kenne ich die Schullandschaft gut genug, um zu wissen, dass man nach einem Jahr noch keine vollständige Umsetzung aller Maßnahmen erwarten kann. Die Schulen benötigen einen gewissen Anlauf, um neben dem bereits zahlreichen Aufgaben, die sie haben, neue Strukturen zu etablieren. 
Da uns noch keine Evaluationsergebnisse zum 10 Punkte Plan für jüdisches Leben vorliegen, halte ich es für angezeigt, dass wir einige Punkte vertiefend behandeln. Der wachsende Antisemitismus darf nicht weiter erstarken. Darum müssen wir uns gute Maßnahmen überlegen, was wir dagegen tun können. Wir müssen klare Ziele benennen und die dazu nötigen Maßnahmen mit einer nachhaltigen Finanzierung ausstatten und auch eine Evaluierung der Maßnahmen ist mitzudenken!
Die Punkte, die wir weiter vertiefen sollten, möchte ich kurz anreißen:
Erstens. Die Hochschulen, an denen zukünftige Arbeitgeber, Lehrkräfte und Multiplikatorinnen und Multiplikatoren ausgebildet werden, müssen in das Maßnahmenpaket eingebunden werden. Rassistische und antidemokratische Kräfte haben an unseren Hochschulen nichts zu suchen, weder in der Verwaltung, auf keinen Fall in der Lehre, aber auch nicht im Sportbereich. Darum muss umgehend eine Einbindung der Hochschulen in die Antisemitismus-Arbeit der Landesregierung erfolgen.
Zweitens. Ich wünsche mir eine stärkere Kooperation mit anderen Bundesländern, mit deren Erfahrungen und deren Programmen. Man muss das Rad nicht neu erfinden; in der Erinnerungsarbeit kann man sehr voneinander profitieren. Daneben muss die Vernetzung mit Täterorten in Hamburg und Dänemark, vor allem mit dem grenznahen Lager Frøslev verstetigt werden, um den Verfolgungsapparat der Nazis angemessen darstellen zu können. Der SSW wird gerade bei Frøslev hartnäckig bleiben. Das ist für uns keine Fußnote. Im Gegenteil, eine auskömmliche Finanzierung von Schulfahrten zu diesem Außenlager muss in nächster Zukunft erfolgen.
Drittens. Die Erinnerungsbedingungen und die Erinnerungsarbeit werden durch das Ableben der letzten Zeuginnen und Zeugen mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Die Gedenkstätten müssen dementsprechend als Ort der Erinnerung anders aufbereitet und unterstütz werden. 
Viertens. Die projektfinanzierte Gedenkarbeit erschöpft die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler: Anträge schreiben, Belege digitalisieren und Berichte verfassen, nehmen inzwischen mehr Zeit ein als die eigentliche Arbeit. Diese Fehlentwicklung wollten wir schon seit Jahren beheben. Die wachsende Professionalisierung kann die gute ehrenamtliche Arbeit nicht ersetzen. Wir müssen die Ehrenamtlichen mit mehr Hauptamtlichkeit entlasten.
Fünftens. Wir müssen an alle Opfergruppen im Angesicht des 80jährigen Befreiungsjubiläums des Lagers in Oświęcim denken. Sinti und Roma, psychisch Kranke und Behinderte sowie die Zeugen Jehovas oder queere Personen dürfen wir nicht außen vorlassen – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Zunahme rechtsextremistischer Taten. 
Sechstens. Erwachsene sind eine vernachlässigte Zielgruppe. Nach der Schule gibt es zu wenige niedrigschwellige Angebote im Rahmen der Erwachsenenbildung, was Holocaust-Wissen und Holocaust-Bewusstsein betrifft. Auch die Erwachsenenbildung in Volkshochschulen und Akademien, in der beruflichen Weiterbildung und in den Einwanderungskursen müssen eingebunden werden. Wir dürfen den Diskurs nicht den Verschwörungstheoretikern und Rassisten auf den Plattformen überlassen.
Allein diese sechs Punkte bedeuten eine intensive Auseinandersetzung – und vor allem eine evaluationsbasierte Neuausrichtung. Ich wünsche mir, dass wir das zusammen umsetzen können.

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