Rede · 13.12.2002 Diäten und Wahlkreisreform

Wer das Privileg hat, sein Gehalt mit sich selbst verhandeln zu müssen, hat es gut. Das wird uns jedenfalls immer wieder gern vorgehalten. Die Medienberichterstattungen der vergangenen Wochen und die vielen persönlichen Reaktionen haben uns aber allen verdeutlicht: Es kann auch ein Alptraum sein, als Abgeordnete die eigenen Bezüge auszuhandeln.

Niemand wird ernsthaft behaupten können, dass die Schleswig-Holsteinischen Landtage dieses Recht bisher missbraucht haben. Wir leben nicht in einer Bananenrepublik, in der Parlamen­­tarier sich am Mandat persönlich bereichert haben. Im Gegenteil: Der Schleswig-Hol­stei­­nische Landtag liegt im Vergleich der Bundesländer am unteren Ende, wenn es um die Hö­he der Entschädigung geht. Die Diäten der Abgeordneten übersteigen nicht den Verdienst eines Studienrats. Eine solche Bezahlung ist sicherlich nicht zuviel verlangt, wenn man die Arbeitsbedingungen und die Arbeitszeiten eines durchschnittlichen Abgeordneten kennt.

Ein zentraler Bestandteil dieses verantwortungsvollen Umgangs mit den Diäten ist es bislang gewesen, dass wir die Anpassung der Bezüge fraktionsübergreifend und in großer Einigkeit beschlossen haben. Sicherlich hat der Abgeordnete, der als selbständiger Anwalt tätig war, andere Gehaltsvorstellungen als die Abgeordnete, die vorher Sozialhilfe bezog. Die unterschied­lichen Vorstellungen mündeten aber bis heute immer in einen Kompromiss, der von einer breiten Mehrheit getragen wurde.

Das haben SPD und CDU in den letzten Wochen mit einer umwerfenden Gründlichkeit geändert. Immerhin liegt schon ein parlamentarisches Verfahren vor – mit Anträgen und einer ersten Lesung. Aber das soll nun alles wieder Makulatur sein. Der Antrag von Bündnis90/Die Grünen, FDP und SSW stellt den Versuch dar, die Geschichte der ausge­wo­genen, einvernehmlichen Diätenreformen doch noch fortzuschreiben.

Mittlerweile haben alle Fraktionen immerhin erkannt: Eine Erhöhung der Diäten um 5,7 % ist vielleicht ökonomisch angemessen, wenn man die allgemeine Preis- und Lohnentwicklung für 2001 und 2002 betrachtet. Politisch vermittelbar ist eine solche Erhöhung in der aktuellen Situation aber nicht. Die Parlamente in Bund und Ländern werden ihre Haus­halte für 2003 nur dadurch über die Runden retten können, dass sie sich auf eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts berufen. In dieser Lage kann man niemandem erzählen, dass der Landtag jetzt die Entwicklung der letzten Jahre auf einen Schlag nachholen möchte.

Andererseits haben Abgeordnete wie alle anderen Menschen Anspruch auf eine Lohnentwicklung, die sich an den steigenden Preisen orientiert. Was wir für die Arbeitnehmer einfordern, können wir auch für uns selbst beanspruchen. Abgeordnete haben auch soziale Rechte. Sie müs­­sen nur besonders sensibel und verantwortungsbewusst damit umgehen, weil sie selbst die Spiel­regeln bestimmen. Wir brauchen also einen Kompromiss. Drei von fünf Parteien in diesem Haus haben sich darauf geeinigt, dass dieser eine Erhöhung um 2,2 % zum 1.01.2003 sein sollte. Damit würde nur die Entwicklung für 2002 nachgeholt. Der Verzicht auf die Anpassung der Diäten für 2001 soll unserer Solidarbeitrag in der aktuellen Situation sein.

Die großen Fraktionen wollen jetzt sogar gar keine Erhöhung mehr zum 1. Januar. Allerdings soll es danach um so mehr geben. SPD und CDU wollen quasi Weihnachten für Abgeordnete auf den 1. Juni 2003 verlegen. Das wäre jedenfalls die Folge, wenn die für 2005 geplante große Diätenreform schon 2003, aber dafür nur in Teilen, durchgesetzt wird. Die Folge wäre – darauf ist ja schon hingewiesen worden –, dass einige Abgeordnete im Extremfall zum 1. Juni eine 40-prozentige Gehaltserhöhung erhalten. Wie man das den Leuten auf der Straße vermitteln will, bleibt mit unbegreifbar.

Wir meinen, dass die Frage einer grundlegenden Reform der Abgeordneten-Entschädigung und die Frage der aktuellen Anpassung der Diäten gar nicht miteinander vermischt werden dürfen. Bei der Diätenreform geht es um eine langfristige, strukturelle Verbesserung der Abgeordnetenentlohnung: es geht um die Abschaffung der Privilegien bei der Altersversorgung, um Streichung die Privilegien durch Funktionszulagen usw. Wir hatten uns mit gutem Grund in diesem Haus darauf geeinigt, diese Reform im Jahr 2005 durchzuführen. Dadurch würden die Vor- und Nachteile gleichzeitig nach der nächsten Landtagswahl in Kraft treten. Und dadurch würde auch der 15. Landtag nicht in Versuchung geraten, im eigenen Interesse zu entscheiden.

Von dieser einvernehmlich vereinbarten Vorgehens­weise wird jetzt abgewichen. Die großen Fraktionen nehmen in Kauf, dass die große Diätenreform, die ja wirklich eine vernünftige Sache ist, völlig in Misskredit gerät. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU, ich finde es zutiefst enttäuschend, dass sie jetzt derart auf dem gemeinsam erarbeiteten Neubeginn in Sachen Diäten herumtrampeln.

Das gleiche gilt leider auch für den zweiten Punkt der heutigen Debatte: die Neueinteilung der Wahlkreise. Eigentlich sollten Diäten genau so wenig mit Wahlkreisen zu tun haben wie Mön­che mit Freudenhäusern. Dass die beiden Themen hier trotzdem miteinander verkoppelt werden ist deshalb ein echtes Armutszeug­nis. Denn damit machen die beiden großen Fraktionen überdeutlich, dass es ihnen mit den Wahlkreisen zuerst um eine Versorgungsfrage geht.

Dabei gibt es reichlich objektive Gründe dafür, die Zahl der Wahlkreise deutlich zu reduzieren. Wir alle wollen verhindern, dass die Regelgröße von 75 Landtagsabgeordneten nicht nach jeder Wahl durch Überhang- und Ausgleichsmandate erheblich überschritten wird. Die einzige wirksame Methode zur Begrenzung der Mandate ist aber, dass man die heutige Zahl von 45 Wahlkreisen erheblich reduziert. Das Innenministerium hat uns in Modellrechnungen auf­gezeigt, dass die optimale Lösung die Reduktion auf höchstens 38 Wahlkreise ist. Nur so lässt sich zuverlässig sicherstellen, dass der Landtag den Referenzwert von 75 Abgeordneten nicht wesentlich überschreitet. Wahlkreise werden aber in der Regel durch Abgeordnete der großen Parteien gewonnen. Deshalb haben CDU und SPD kein Interesse an einer deutlichen Reduzierung. Wenn die großen Fraktionen uns kleinen Parteien vorwerfen, wir würden in der Wahlkreisfrage unsere eigenen Interessen pflegen, dann unterschlagen sie die Modellrechnung des Innenministeriums. Denn das Ziel der Reduzierung verfolgen sie ja angeblich auch.

Der größte Hammer ist aber die von ihnen gleichzeitige angestrebte Absenkung der Abgeordnetenzahl. Die von CDU/ SPD vorgeschlagene „69plus“-Regelung zur Parlamentsverkleinerung kann nicht halten, was sie verspricht. Die Zahl würde näm­lich automatisch über­schritten, so bald mehr Parteien als CDU, SPD und SSW im Landtag vertreten sind. Das größte Problem liegt aber woanders: Es ist wirklich nicht auszuhalten, dass CDU und SPD die Lan­des­verfassung ändern wollen, nur um ihre eigenen Interessen abzusichern. Sie haben sogar klammheimlich eine Verfassungsänderung in eigener Sache geplant, ohne dies überhaupt vorher mit den anderen Gruppen im Parlament zu besprechen.

Der SSW mahnt in diesem Hause schon seit Jahrzehnten ein anderes Parlamentsverständnis an. Wir wollen, dass die Fraktionen zusammenarbeiten, um die großen Pro­­bleme des Landes zu lösen. Bis heute können SPD und CDU sich aber kaum darauf verständigen, dass ein Schimmel weiß ist, ohne in Grabenkämpfe zu verfallen. Umso tragischer ist es, dass es offensichtlich nicht schwer gefallen ist, in der Wahlkreisfrage Einigkeit zu erzielen. Mit diesem beispiellosen Vorgang entwürdigen sie die Landesverfassung und beschädigen das Ansehen des Parlaments.

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