Rede · 20.04.2021 Einheitlicher Stufenplan zur Pandemiebekämpfung in ganz Deutschland

„Es ist eigentlich ganz simpel und ganz logisch. Man sollte einfach den Stufenplan vom 22. März im Gesetz festschreiben. Dann wären viele Probleme gelöst. Für uns würde sich in Schleswig-Holstein nichts ändern, aber andere Bundesländer müssten sich endlich an die getroffenen Absprachen halten.“

Lars Harms zu TOP 01 - Mündlicher Bericht zur geplanten Änderung des Infektionsschutzgesetzes und den daraus folgenden Auswirkungen auf das Land Schleswig-Holstein (Drs. 19/2921)

Für den SSW ist klar, dass wir in Deutschland möglichst einheitliche Regelungen zur Pandemiebekämpfung benötigen und dass auch deren Verbindlichkeit sichergestellt werden muss. Was die Einheitlichkeit angeht, haben wir seit dem 22. März diesen Jahres Regelungen, die genau festlegen, was deutschlandweit bei welcher Pandemielage zu geschehen hat. Ich meine den auf der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin festgelegten Stufenplan. Allerdings bei der Verbindlichkeit hapert es. Schleswig-Holstein hält sich an die dort vereinbarten Regelungen, aber andere Bundesländer tun dies eben nicht. Und da liegt das eigentliche Problem. Wollte man schnell eine einheitliche verlässliche Regelung, müsste man eigentlich nur diesen Stufenplan, der ja von allen beschlossen ist, im Gesetz rechtlich verankern. Nun gebe ich zu, dass diese Schlussfolgerung so simpel und logisch ist, dass sie natürlich auf Bundesebene keine Chance haben kann. Denn von logischem Handeln ist die Bundesregierung hier doch weit entfernt.
Wenn man die Arbeit der Bundesregierung in Bezug auf die Pandemiebekämpfung ansieht, hat man immer mehr den Eindruck, dass man sich gerne auf Nebenkriegsschauplätzen herumtummelt, um so von eigenen Fehlern abzulenken. Die angestrebten verschärften Neureglungen für das Infektionsschutzgesetz sind ein ausgesprochenes Beispiel hierfür. Die Taskforce Teststrategie des Bundes bekommt kaum etwas geregelt. Es sind vielmehr die Länder, die hier eine hervorragende Arbeit machen und das trotz der Untätigkeit des Bundes hier für eine Testinfrastruktur sorgen. Herr Scheuer und Herr Spahn sind hier vollständig in der Versenkung verschwunden.  Da kommt nichts und deshalb ist es gut, dass wir hier die hohe Kompetenz der Länder haben.
Und auch bei der Beschaffung von Impfstoffen hat der Bund vollständig versagt. Während andere Länder wie Dänemark zumindest aus ihren Fehlern lernen und jetzt vermehrt Impfstoffe ordern, tritt man in Deutschland immer noch auf der Stelle. Man wartet jetzt wieder darauf, dass Impfstoffe europaweit zugelassen werden und lässt so wieder wertvolle Zeit vergehen, anstatt eigene Zulassungsverfahren durchzuführen. Das ist aber der Kardinalfehler, der in den letzten Monaten begangen wurde. Es wurde kaum Impfstoff beschafft und auch kein Verfahren zur deutschlandweiten Zulassung neuer Impfstoffe in Gang gesetzt. Genau deshalb sind wir in der Situation, in der wir nun sind.
Und was fällt der Bundesregierung hierzu ein. Eine Nebelkerze werfen, indem das Infektionsschutzgesetz verschärft werden soll. Und die Bevölkerung soll es einmal wieder in der Fläche ausbaden. Wir alle sollen die Fehler der Bundesregierung durch noch schärfere Auflagen für den Einzelnen ausbaden. Das kann es nicht sein, zumal es hier auch noch zumindest ein großes Feld gibt, das bisher noch gar nicht beackert wurde. Die Leute gehen immer noch flächendeckend fleißig zur Arbeit und die Virologen stellen inzwischen fest, dass der Arbeitsplatz einer der Hotspots für die Ansteckungen ist.  Erst seit heute soll es ein flächendeckendes Impfangebot für die Beschäftigten in Betrieben geben.  Nach 14 Monaten Pandemie, schafft es die Bundesregierung zumindest einmal ein Mindestmaß an Schutzmaßnahmen für die Menschen in den Betrieben zu schaffen. Allerdings sind wir trotzdem weit davon entfernt, dass in den Betrieben alles gut ist. Es handelt sich um ein Impfangebot, dass man nicht wahrnehmen muss. Und auch eine zumindest zeitlich begrenzte Pflicht zum Home-Office haben wir immer noch nicht. Stattdessen auch hier nur eine Angebotsmöglichkeit. Damit werden die Leute weiter in die Betriebe strömen, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Pandemie. Hier pennt die Bundesregierung weiter und nervt die Bürgerinnen und Bürger lieber weiter mit individuellen Verschärfungen.
Sehen wir uns doch einmal die vorgeschlagenen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes an. Da soll sich rein am Inzidenzwert orientiert werden und bei einer Inzidenz von mehr als 100 in einem Landkreis quasi alles geschlossen werden. Inzwischen sind wir aber weiter, auch wenn es die Bundesregierung nicht wahrhaben will. Wir kennen inzwischen die Auslastungen im Bereich der Intensivmedizin recht gut und unsere Gesundheitsämtersind immer besser in der Lage, die Infektionsherde nachzuverfolgen. Warum werden die entsprechenden Daten hierzu nicht in die Bewertung mit einbezogen. Es ist ein Unterschied, ob eine 100er-Inzidenz von einem flächenhaften Ausbruchsgeschehen kommt oder ob es einen Clusterausbruch, zum Beispiel in einer Fabrik, gegeben hat. Ersteres ist schwer kontrollierbar und damit muss es schnelle flächendeckende Maßnahmen geben; letzteres ist nachvollziehbar und kontrollierbar und damit muss es eingegrenzte Maßnahmen rund um den Betrieb geben. Beide Situationen haben wir schon mehrfach bei und erleben können, so den flächenhaften Ausbruch kürzlich in Flensburg und den Clusterausbruch im Schlachthof in Husum. In ganz Deutschland wird es viele Beispiele geben, aber die Bundesregierung hält an einer starren Inzidenzgrenze fest und will uns in einen noch härteren Lockdown schicken als bisher schon. Mit Augenmaß hat das jedenfalls nichts zu tun.
Das gilt im Übrigen auch für die Regelungen zu den pauschalen Ausgangssperren. Es ist zwar klar, dass man nicht ohne Grund Kontrollen in privaten Wohnungen durchführen will und deshalb lieber gleich eine Ausgangssperre verhängen will. Dann könnte man die Kontrollen auf den öffentlichen Raum beschränken. Aber ist ein solcher Eingriff in die Grundrechte aller Menschen wirklich gerechtfertigt? Wir meinen: Nein. Es gibt mildere Mittel. Sollte jemand laut eine Party feiern, so kann man auch schon jetzt anlassbezogen eine Kontrolle, wie bei einer Ruhestörung, durchführen. Sollten also Kontrolleure etwas wahrnehmen, dann könnten sie auch heute schon eine Kontrolle durchführen und das geschieht ja auch. Damit wird der Zweck genauso erfüllt, wie mit einer Ausgangssperre. Nur eben mit einem viel milderen Mittel, dass nicht die Grundrechte aller Menschen flächenhaft einschränkt. Eine pauschale Regelung zu Ausgangssperren, gleich welcher Art, wäre mit Sicherheit vor den Gerichten streitanfällig und ich bin mir sicher, dass Kläger, die sich gegen Ausgangssperren wenden, regelmäßig Recht bekommen würden, weil diese Ausgangssperren unverhältnismäßig wären. Deshalb findet sich so etwas ja auch nicht im derzeit gültigen Stufenplan vom März. Diese Rechtsunsicherheit sollte man sich in jedem Fall sparen. Und hier muss der Gesetzentwurf abgeändert werden.
Und eigentlich sollte es doch darum gehen, dass die Leute nach draußen kommen. Die Ansteckungsgefahr ist draußen geringer als in Innenräumen. Deshalb ist auch die Symbolwirkung einer Ausgangssperre eine fatale. Und das gilt auch für die Tatsache, dass der Gesetzentwurf auch keinen Unterschied zwischen Veranstaltungen im Innenbereich und im Außenbereich macht. Wir wollen aber doch, dass die Leute rauskommen und nicht in Grüppchen zuhause hocken und sich gegenseitig anstecken. Dann kann ich doch nicht Außenveranstaltungen pauschal genauso behandeln wie Veranstaltungen in geschlossenen Räumen. Im Gegenteil, Außenveranstaltungen mit Hygienekonzept und Abstand können dazu beitragen, die Pandemie besser in den Griff zu bekommen. Und das gilt auch für die Außengastronomie. Die Außengastronomie mit Hygienekonzept und Abstand ist dem privaten Grillfest im Garteneindeutig vorzuziehen.
Kommen wir nun noch zu einer Sorge, die sich inzwischen durch die ganze Republik zieht. Da die bisher vorgesehenen Modellprojekte, nicht im Gesetzentwurf als Option enthalten sind, besteht die Sorge, dass diese zukünftig nicht mehr zugelassen sein könnten. Einige Regionen haben ihre Projekte schon verschoben und auch einzelne Bundesländer haben die Umsetzung erst einmal gestoppt. Diese Unsicherheit muss beendet werden. Hier erwarten wir von der Landesregierung, dass klargestellt wird, dass die Modellprojekte weiter möglich sind, sofern es das Pandemiegeschehen zu lässt.
Lassen Sie mich hierzu zwei kurze Anmerkungen machen, die zwar nichts mit dem Gesetzzentwurf direkt zu tun haben, aber trotzdem sehr wichtig sind. Zum einen erwarten wir, dass man am besten schon nach 14 Tagen erste Auswertungen der Modellprojekte durchführt. Das heißt, man sollte bei den Gesundheitsämtern abfragen, inwiefern diese Lockerungen zum Pandemiegeschehen beigetragen haben oder auch nicht. Die zweite Anregung betrifft das Modellprojekt in Nordfriesland. Derzeit darf die Außengastronomie ohne Coronatest mit dem entsprechenden Hygienekonzept und Abständen besucht werden. Mit Beginn des Modells soll die Außengastronomie wie die teilnehmende Innengastronomie wohl nur noch mit Test besucht werden können. Für die Innengastronomie ist dies natürlich richtig, aber für die Außengastronomie sollten die Regelungen in Nordfriesland weiterhin die gleichen wie in ganz Schleswig-Holstein sein.
Nun aber zurück zum Gesetzentwurf zum Infektionsschutzgesetz. Ab einer 100er Inzidenz sollten auch Einzelhandel und Dienstleistungen weitgehend dichtgemacht werden. Hier in Schleswig-Holstein haben wir aber schon mit einer Begrenzung der Kunden bezogen auf die Verkaufsfläche gearbeitet und im Extremfall auch Dinge wie Click & Collect und Click & Meet angewendet. Das alles muss auch weiterhin möglich sein. Hier in Schleswig-Holstein gibt es derzeit keine Erkenntnisse, dass diese Maßnahmen maßgeblich zum Pandemiegeschehen beigetragen haben. Deshalb sollte so etwas weiterhin unkompliziert möglich bleiben. Ich sage dies auch vor dem Hintergrund, dass das produzierende Gewerbe und die Industrie in den vornehmlich südlichen und westlichen Bundesländern, von Beschränkungen nahezu freigehalten wurden und so die dortigen wirtschaftlichen Auswirkungen vergleichsweise gering waren. Schleswig-Holstein ist dagegen insbesondere von Tourismus, Gastronomie, Einzelhandel und Dienstleistungen geprägt. Genau die Bereiche, die hauptsächlich durch die Verschärfungen im Gesetzentwurf betroffen sein würden. Wir haben also auch als Bundesland ein Interesse daran, dass Erfahrungen zugunsten dieser Bereiche im zukünftigen Gesetz berücksichtigt werden. Ein bischenscheint da zu passieren, aber auch hier muss sich die Landesregierung deshalb noch einmal ins Zeug legen, damit der Einzelhandel eine Perspektive hat.
Aber dieses Beispiel zeigt, wie viele andere auch, anschaulich, dass man auf Bundesebene noch kaum Lehren aus den Geschehnissen und aus den Erfahrungen mit der Pandemie gezogen hat. Mit dem Gesetzentwurf bügelt man pauschal über die Lebenswelt der Menschen, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, hinweg und ist bisher nicht bereit, die bisherigen Erfahrungen und Lehren zur Kenntnis zu nehmen. Da können wir fast schon froh sein, dass die Schulen bis zu einer 165er-Inzidenz grundsätzlich für den Präsenzunterricht offenbleiben können und trotzdem aber natürlich auch schärfere regionale Maßnahmen unterhalb dieser Grenze weiterhin möglich bleiben.
Sie sehen also, dass wir nicht eine Vereinheitlichung und eine höhere Verbindlichkeit bei den Regelungen kritisch sehen, sondern dass manch eine undifferenzierte Maßnahme zu erheblichen negativen Auswirkungen führen kann. Das gilt es für unser Land zu verhindern. Vielmehr muss man sich doch um die Probleme der Menschen vor Ort kümmern. Nehmen Sie zum Beispiel die neue Öffnungsstrategie in Dänemark. Dort wird jetzt wieder erlaubt, das Stellplatzbesitzer auf Campingplätzen wieder auf ihre Plätze fahren können. Das betrifft vornehmlich auch Schleswig-Holsteiner aus dem Grenzgebiet. Kommen diese aber zurück von ihrem Campingplatz in Dänemark, müssen sie erst einmal in Quarantäne. Wir sind aber eine gemeinsame Region und deshalb muss es auch hier, wie schon in der Vergangenheit in anderen Zusammenhängen, besondere Regelungen für das Grenzland geben. Hierfür muss sich die Landesregierung stark machen.
Wie ich am Anfang sagte: Es ist eigentlich ganz simpel und ganz logisch. Man sollte einfach den Stufenplan vom 22. März im Gesetz festschreiben. Dann wären viele Probleme gelöst. Für uns würde sich in Schleswig-Holstein nichts ändern, aber andere Bundesländer müssten sich endlich an die getroffenen Absprachen halten. So hätte die Landesregierung weiter Zeit für die eigentliche Pandemiebekämpfung und könnte sich um regionale Herausforderungen kümmern. Und die Bundesregierung könnte sich auf eine bessere Teststrategie und vor allem auf die Impfstoffbeschaffung konzentrieren. Eine solche Arbeitsteilung wäre immer noch die beste Arbeitsteilung.
Hinweis: Diese Rede kann hier ab dem folgenden Tag als Video abgerufen werden:
www.landtag.ltsh.de/aktuelles/mediathek/

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