Rede · 27.05.2004 Endlagerstätten für radioaktive Abfälle

Endlagerstätten für radioaktive Abfälle

Die Beantwortung der Großen Anfrage geht sehr umfassend auf die Arbeit des „Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstätten“ ein. Bevor ich aber auf einzelne Ergebnisse und Zielsetzungen, die sich aus der Arbeit dieser Arbeitsgruppe ergeben haben, eingehe, möchte ich trotzdem vorweg eine politische Aussage treffen. Es ist ersichtlich, dass die Endlagerung von atomaren Hinterlassenschaften eine der größten und schwierigsten Aufgaben im Bereich der Abfallentsorgung ist. Es müssen lebensgefährliche Stoffe entsorgt werden, die laut Antwort auf die Große Anfrage über eine Million Jahre isoliert eingelagert werden müssen. Das ist ein unglaublicher Zeitraum, der für einen normalen Menschen in keinster Weise überschaubar ist.

Und neben den bisher nur betrachteten Problemen mit einem „normalen“ Atomunfall, müssen wir neuerdings mit terroristischen Angriffen rechnen. Das was früher undenkbar war, ist heute nicht mehr so abwegig, als dass man es völlig außer Acht lassen könnte. Somit ist die Endlagerung von radioaktiven Abfällen nicht die Lösung unseres Atomproblems, sondern nur die Fortsetzung. Politisch lässt sich feststellen, dass der Einstieg in die Kernenergie eine der größten politischen Fehlentscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik war. Und diese Fehlentscheidung müssen tausende und zehntausende von Generationen ausbaden.

Dies wird auch deutlich, wenn man sich ansieht, was in der Abwägung zwischen einer dauerhaften Endlagerung und einer möglichen längerfristigen Zwischenlagerung eine Rolle gespielt hat. Für eine endgültige Endlagerung spricht unter anderen, dass eine längerfristige Prognose der gesellschaftlichen Entwicklung nicht möglich ist. Das heißt, man weiß nicht, wer in fünfzig oder hundert Jahren regiert und wie dann mit dem Atommüll umgegangen wird. Deshalb ist es besser jetzt vollendete Tatsachen zu schaffen. Von der Aussage her ist dies natürlich richtig, aber man bekommt schon einen gewaltigen Kloß im Hals, wenn man sich solche Überlegungen vergegenwärtigt. Vor diesem Hintergrund bekommt die Aussage, dass wir hier auf Kosten kommender Generationen leben, eine noch viel umfassendere Aussagekraft.

Gleichwohl müssen wir uns jetzt dem Problem der Atommüllentsorgung stellen und wir haben eigentlich auch nur wenig Zeit dafür diesem Problem Herr zu werden. Rein formell ist das vorgeschlagene Auswahlverfahren sicherlich in Ordnung und auch transparent. Aber trotzdem hat man natürlich einen faden Beigeschmack, denn man weiß natürlich genau, dass es irgendwann eine Region treffen wird. Und die Sorgen der Menschen sind natürlich größer als die Chancen, die für die Entwicklung einer Region suggeriert werden.

Es ist aller Ehren wert, wenn versucht wird, mögliche Entwicklungspotentiale für die Regionen, die für ein Endlager ausgewählt werden könnten, zu ermitteln und dann entsprechende Förderangebote zu machen. Aber wenn es zu einer Entscheidung kommt und die Bürgerinnen und Bürger vor Ort an den Standorten nach ihren Voten zur Errichtung eines Endlagers am jeweiligen Standort gefragt werden, wird das Ergebnis natürlich eine breite Front der Ablehnung sein. Trotzdem werden wir um ein Endlager nicht herum kommen und deshalb bleibt es ja auch dem Deutschen Bundestag vorbehalten, eine Standortentscheidung zu treffen. Die Frage, die sich stellt ist, ob eine Bürgerbeteiligung in Form einer Abstimmung wirklich Sinn macht, wenn dann trotzdem über dieses Votum hinweg gegangen werden kann?

Es ist aber auch erstaunlich, was an möglichen Chancen für eine Region mit Endlager angedacht ist. Nachvollziehbar ist sicherlich, dass dauerhaft Arbeitsplätze im technischen Bereich entstehen, schließlich muss das Endlager ja betrieben werden. Auch Arbeitsplätze in der Wissenschaft lassen sich denken. Aber dass sich ein verstärkter Tourismus entwickeln könnte, ist nun wirklich sehr gewagt. Möglicherweise denkt man da an eine Art Gruseltourismus, der in Endzeitstimmung das Ende der Welt beschwört, wenn im Endlager mal etwas passiert.

Man kann nicht allen Ernstes meinen, dass ein Atommüll-Endlager positive Effekte für den Tourismus haben wird. Im Gegenteil, die Region, in der das Endlager gebaut wird, ist touristisch tot und muss damit rechnen, dass das negative Atom-Image sich auch auf die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung der Region durchschlägt. Wer investiert schon in einer Region mit einem Atommüll-Endlager? Ich glaube man sollte mit den Menschen etwas ehrlicher umgehen und die Chancen auf das reduzieren, was wirklich möglich ist. Und das ist alles das, was in direktem Zusammenhang mit dem Endlager steht.

Ziel ist es, bis zum Jahr 2030 ein betriebsbereites Endlager zu haben. Vergleicht man dieses Ziel mit den ursprünglichen Vorgaben, die die EU-Kommission seinerzeit machen wollte, so muss man feststellen, dass hier die nationale Politik bremst. Die Kommission wollte schon 2018 betriebsfähige Endlager haben und so übermäßig viele Zwischenlager vermeiden. Dieser Sichtweise konnte man sich leider nicht anschließen.

Ähnliches gilt für die sogenannten Stilllegungsfonds. Es sollten Fonds gebildet werden, in denen Finanzmittel für die zukünftige Stillegung von Atomkraftwerken angesammelt werden konnten. Das hätte sicherlich manchen nationalen Ausstieg beschleunigt oder auch erst als energiewirtschaftliche Alternative möglich gemacht, denn mit der zurückgelegten Geldmenge hätte sich sicherlich auch die Bereitschaft zum Ausstieg erhöht. Auch diese Initiative ist an nationalen Egoismen gescheitert und selbst der Deutsche Bundesrat hat diese sinnvolle Maßnahme blockiert.

Wirklich schlimm in diesem Zusammenhang ist aber, dass hierdurch keine Rücklagen für den Abbau der alten osteuropäischen Atommeiler gebildet werden und somit die Gefahren, die mit diesen Atomkraftwerken verbunden sind, auch langfristig nicht gebannt werden. Im Gegenteil, diese ehemals staatlichen Altanlagen haben so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den Anlagen in den Ländern, die einen Atomausstieg mit entsprechenden kostenpflichtigen Maßnahmen beschlossen haben. Und dieser Wettbewerbsvorteil bezieht sich nicht nur auf den Vergleich zwischen den Atomanlagen untereinander, sondern der Atomstrom aus Osteuropa genießt so zudem auch noch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Strom aus erneuerbaren Energien. Damit hat die ideologiegesteuerte Politik im Bundesrat gerade der heimischen Wirtschaft geschadet. Und das ist für mich ein riesiges Ärgernis.

Es bleibt aber zumindest festzustellen, dass die europäische Politik hier fortschrittlicher gedacht hat als die nationale Politik und dass man dort erkannt hat, dass wir eben nicht ewig Zeit haben, sondern durchaus schnell und zielgerichtet zu Lösungen kommen müssen.

In Deutschland werden wir nun aber den Atomkompromiss über mehrere Jahrzehnte abarbeiten. Dabei werden unsere schleswig-holsteinischen Atomkraftwerke 40 Jahre lang Zwischenlager betreiben, bevor auch der letzte Atommüll ins Endlager überführt wird. Zwischen Betriebsfähigkeit des Endlagers im Jahr 2030 und dem Ablauf der Genehmigungen für unsere Zwischenlager - rund 15 Jahre später - liegt sicherlich genügend Zeit für die Abwicklung der Zwischenlager. Wäre man aber der EU-Kommission gefolgt, wäre manches Zwischenlager nicht nötig gewesen und wir hätten ein Mehr an Sicherheit auch gerade für die osteuropäischen Atomkraftwerke erreichen können.

Trotzdem gibt es aber auch Positives zu berichten. Wir sehen es positiv, dass bei der Frage der Endlagerung von Atommüll und der Ermittlung von Standorten für die Endlagerung dieses Atommülls das Verursacherprinzip greifen soll. Das heißt, dass die Energieunternehmen vornehmlich die Kosten tragen müssen. Beim Atommüll selber, sagt schon der Atomkompromiss aus, dass diese Kosten wie bei anderen Abfällen von den Verursachern getragen werden sollen. Dies ist auch in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtslage. Bei der Frage der Finanzierung der Kosten für die Auswahl von Endlagerstätten ist das Atomgesetz noch nicht so deutlich. Daher soll das Atomgesetz jetzt entsprechend angepasst werden, was der SSW ausdrücklich begrüßt.

Was bleibt nun aber festzuhalten?

Zum einen kann man sicherlich sagen, dass der „Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstätten“ das geleistet hat, was er leisten konnte. Er hat im Großen und Ganzen nachvollziehbare Kriterien für die Bewertung von Standorten für ein Endlager festgelegt und hat dies auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen getan. An einzelnen Punkten kann man immer Kritik üben, aber grundsätzlich ist der Weg, den man gegangen ist, der richtige Weg.

Zweitens kann man nicht von der Hand weisen, das eine wie auch immer geartete Entscheidung für ein Endlager, die Menschen in der jeweiligen Region besonders hart treffen wird. Allerdings gibt es auch keine Alternative zu einem Endlager. Hier müssen wir leider für Fehler der Vergangenheit einstehen.

Drittens wird es so sein, dass die Verursacher der Kosten der Atomenergie hierfür auch zahlen müssen. Das heißt, hier entstehen Kosten über riesige Zeiträume, die man nur dadurch kompensieren kann, dass man rechtzeitig in neue zukunftsträchtige und saubere Energieformen investiert, weil man dann wieder einen Vorsprung vor anderen hat.

Aber letztendlich muss uns allen klar sein, dass die Entscheidung für die Kernenergie eine fatale Fehlentscheidung war, die uns so in dieser Form nicht wieder passieren darf. Und deshalb ist es um so wichtiger wesentlich mehr in die Erforschung und die wirtschaftliche Erschließung von erneuerbaren Energien zu stecken als bisher. Dies sind keine ungerechtfertigten Subventionen, sondern Investitionen in die Zukunft ohne zukünftige Generationen zu belasten.

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