Rede · 26.03.2009 Gerichte und Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein

Die vorliegende Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der FDP gibt einen guten Einblick in die derzeitige Situation der Gerichte und Staatsanwaltschaften unseres Landes.

Das Justizwesen wird weitgehend aus der Perspektive der Personalplanung beschrieben. Diese ist natürlich der Dreh- und Angelpunkt eines funktionierenden Justizapparates, weil die meisten Vorgänge in der Justiz nicht automatisiert sind. Jeder Vorgang muss von echten Menschen in die Hand genommen und bearbeitet werden. Fehlen diese Menschen, entwickelt sich im Handumdrehen ein Nadelöhr und die Verfahrensdauer verlängert sich spürbar. Das ist besonders ärgerlich, wenn es sich bei den Klagenden um Hartz IV- Empfänger handelt, die in der Regel über keinerlei finanzielle Rücklagen verfügen.
Schon mehrfach hat sich der Landtag in den letzten Jahren mit den Problemen der Sozialgerichte befasst. Leider steht es nicht in seiner Macht, das Sozialgesetzbuch II zu ändern, das mit seinen mangelhaften Hartz-Gesetzen der Hauptgrund für die Klagewelle bei den Sozialgerichten ist. Was wir tun können, ist die Verankerung von mehr Richterstellen im Landeshaushalt, so dass es bei den so genannten „Hartz IV-Verfahren“ zügig zu Entscheidungen kommt. Mit der Erhöhung der Richterstellen, so die Hoffnung des SSW, würden die Verfahren beschleunigt und die unseligen Wartezeiten verkürzt.
Nun zeigt der Bericht aber auch, dass es am Sozialgericht in Kiel an geeigneten Räumlichkeiten fehlt, nämlich etwas mehr als 1.000 qm, und das bereits seit mehreren Monaten. Dieses Detail belegt eindrücklich, wie zäh Strukturveränderungen in der Justizverwaltung umgesetzt werden. Ob sich das alles mit dem Programm „Justiz 2010“ beschleunigen lässt, wage ich dennoch zu bezweifeln. Der neue zehnköpfige Verwaltungsrat in Schleswig soll nämlich als oberstes Gremium der Selbstverwaltung einstimmig entscheiden. Nur bei Beschlüssen zu Organisation und Informationstechnik genügt eine Zweidrittelmehrheit. Kommt allerdings keine Einigung zustande, bleibt alles beim Alten und der Minister entscheidet.

Entschieden hat der Minister auch die Amtsgerichtsreform. Die Personalsituation an den kleinen Amtsgerichten war die Begründung für die Schließung der Amtsgerichte in Kappeln, Mölln und Geesthacht. Der SSW hat die Schließung des Standortes in Kappeln als falsche regionalpolitische Entscheidung abgelehnt. Wir halten unsere Kritik aufrecht, auch weil die Einspareffekte durch den Wegfall einer Wachtmeisterstelle als gering einzustufen sind und durch die Kosten für die Umbaumaßnahmen in Schleswig mehr als aufgefressen werden. Im Gegenzug sind durch die Schließung des Kappelner Amtsgerichtes die Wege für die Bürgerinnen und Bürger zweifellos länger geworden. Immerhin muss man anerkennen, dass sich die Bearbeitungszeiten verringert haben; allerdings nicht, weil der Gerichtsstandort jetzt Schleswig heißt, sondern weil mittlerweile technische Neuerungen wie das elektronische Grundbuch eingeführt wurden.
So zeigt der Bericht, dass die Amtsgerichtsreform, die von den Bürgern überwiegend als Amtsgerichtsschließungs-Programm erlebt wurde, die Ziele, die damals in Aussicht gestellt wurden, tatsächlich nicht umsetzen konnte. Das ist eine ernüchternde Bilanz – und keine gute Grundlage für weitere Reformvorhaben.

Ernüchternd ist auch das Eingeständnis der Landesregierung, dass sie nicht imstande ist, die Entlastungsfunktionen der Schlichtungsverfahren zu beziffern. So stellt man bei der Lektüre des Berichtes verwundert fest, dass es überhaupt keine detaillierte Statistik zu Schlichtungsverfahren gibt. Dabei liegen die Vorteile solcher außergerichtlicher Verfahren auf der Hand. Genannt werden sollen hier nur die Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei denen ein moderiertes Gespräch verhindern kann, dass sich Kleinigkeiten - wie ein Apfelbaum, dessen Äste über den Zaun wachsen - zu Prozesslawinen auswachsen. Es ging beim Schlichtungsgesetz zwar nie ausschließlich um die Entlastung der Justiz, sie hat aber in den Erwägungen eine Rolle gespielt. Eine Bewertung kann laut Antwort der Landesregierung nicht erfolgen. Das ist enttäuschend.

Überhaupt gibt es eine Reihe von lakonischen Antworten zu Sachverhalten, die tiefer gehende Überlegungen verdient hätten. Die Tatsache, dass Jurastudentinnen bessere Abschlüsse als ihre Kommilitonen machen, hat zum Beispiel schon so manchen Personalplaner zum Grübeln gebracht. Denn eigentlich müssten die Richterinnen und Staatanwältinnen langsam in der Mehrheit sein. Dass dem nicht so ist, lässt sich sogar aus der dürren Statistik des Berichtes ohne weiteres ablesen. Bisher hat sich der gestiegene Frauenanteil bei der Einstellung nämlich nicht auf die Besetzung von Beförderungsämtern ausgewirkt. Nach der Einstiegsstufe R 1 fällt der Frauenanteil auf unter 25%. Ich hätte mir bezüglich des offensichtlichen Nachholbedarfs in Sachen Frauenförderung eine mindestens so ausführliche Antwort seitens des Ministers gewünscht wie bei den technischen Investitionen, die immerhin auf mehreren Seiten beschrieben und gewürdigt werden. Der Landtag fordert seit Jahren von der Landesregierung, dass sie zumindest in eigenen Behörden eine nachhaltige Frauenpolitik umsetzt. Die lapidaren Antworten in diesem Bereich führen noch einmal deutlich vor Augen, dass es an entsprechendem Problembewusstsein mangelt.

Die vorgelegten Zahlen lassen die Strukturen und Arbeitsabläufe, die sie repräsentieren, nur erahnen. Eine inhaltliche Würdigung der Arbeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften erfolgt nicht.

Dabei zeigen die detaillierten Ausführungen zur eJustice und der IT-Ausstattung der Justizarbeitsplätze, dass sich die Arbeitsabläufe an den Gerichten in einem grundlegenden Wandel befinden. Als Außenstehende kann man die zahlreichen Software-Lösungen, die im Bericht vorgestellt werden, nur registrieren, aber nicht würdigen. Allerdings macht die geplante Abschaffung der Papierform der Akten hellhörig. Es ist mit anderen Worten unumgänglich, Sicherungssysteme einzuziehen, um Datenverlust und Manipulationen zu begegnen. Das gleiche gilt für den verkürzten Aktenweg zwischen Polizei und Gerichten. Ich denke, dass wir genau hinschauen müssen, welche Konsequenzen die leichtere Zugänglichkeit der gerichtlichen Akten durch die Polizei haben wird.
Die zunehmende Elektronisierung der Arbeitsplätze beurteilt der Justizminister durchgängig positiv, obwohl er eingestehen muss, dass trotzdem die Zahl der Altfälle, der sich im so genannten 8-Monats-Rest manifestiert, steigt. Bei über 2.300 Verfahren konnten auch nach acht Monaten die Ermittlungen nicht abgeschlossen werden. Bereits 2003 musste sich Ministerin Lütkes Kritik wegen des wachsenden Berges von Altfällen gefallen lassen. Die Situation ist seit damals nicht viel besser geworden. Kritiker machen dafür das neue Personalbedarfsberechnungssystem der Justiz, PEBB§Y, verantwortlich. Abgesehen von der Tatsache, dass ein zeitlicher Anschluss der Statistik nicht mehr gewährleistet ist, weil 2005 eine neue Datengrundlage eingeführt wurde, sind die mit dem neuen System eingeführten Zeitansätze höchst problematisch. So schlagen beispielsweise Strafsachen gegen Jugendliche inklusive dem Verfassen der Anklageschrift und Teilnahme an der Hauptverhandlung mit 49 Minuten zu Buche. Diese Standardzeiten entsprechen nicht dem tatsächlichen Aufwand, so dass Richter und Staatsanwälte gezwungen sind, zwischen 60 und 100 Wochenarbeitsstunden zu leisten, um die ihnen übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Oder sie schieben die Akten vor sich her. Das kann nicht im Sinne einer modernen Personalplanung sein.

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