Rede · 18.06.2020 Geschlechtergerechtigkeit statt Stimmungsmache

Geschlechtergerechte Sprache bedeutet eine Umgewöhnung. Aber ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt.

Jette Waldinger-Thiering zu TOP 11 - Gleichstellung der Frauen im öffentlichen Dienst (Drs. 19/2075)

Sitzen zwei Homosexuelle im Flugzeug. Bei so einem Satz denken wenige an zwei Frauen. Und schon gar nicht ans Cockpit mit einer Pilotin und einer Copilotin.
Das Beispiel zeigt, wie Sprache unser Denken beeinflusst. Sie gibt uns innere Bilder vor und formt damit unsere Vorstellungswelt. Genau aus diesem Grund verändert sich die Sprache ständig. Die Menschen versuchen, die Sprache an Gegebenheiten und Gewohnheiten anzupassen: neue Worte entstehen, alte werden verworfen oder mit neuer Bedeutung versehen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung, den die Antragsteller mit dem Verweis auf den Beschluss der KMK in Anschlag bringen, hat sich darum 2018 intensiv mit der geschlechtergerechten Sprache auseinandergesetzt. Dabei betonen die Expert*innen sechs Kriterien, wonach geschlechtergerechte Sprache unter anderem  sachlich korrekt, lesbar und eindeutig sein muss. Ausdrücklich betont der Rat in diesem Zusammenhang das Recht der Menschen auf angemessene sprachliche Bezeichnung, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Das ist der Stand von 2018.
Die antragstellende Fraktion möchte aber einen Beschluss aus dem Jahr 2006 ins Gleichstellungsgesetz einführen, der im Rahmen der KMK durchaus in der Debatte ist. Das wäre ein Rückschritt, den wir spätestens bei der nächsten Beschlussfassung ändern müssten.
Aber eigentlich geht es den Antragstellern nicht um den konkreten Beschluss, sondern um gezielte Stimmungsmache. Mehrere andere Landtagsfraktionen haben mit entsprechenden Anträgen ja schon vorgelegt: Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sind Landtage, die sich entsprechenden Anträgen beschäftigen mussten. 
Dass das Ganze eine Scheindebatte ist, zeigt die Begründung des vorliegenden Entwurfes. In der vorliegenden Begründung ist nämlich von der „so genannten geschlechtergerechten Sprache“ die Rede und diese wird sogar in Anführungszeichen gesetzt, als ob es sie gar nicht gäbe. Ihre Daseinsberechtigung wird auf diese Weise infrage gestellt. Da zeigt sich, worum es eigentlich geht; nämlich darum, aktuelle Entwicklungen wieder rückgängig zu machen – und das ausgerechnet in einem Gesetz, das die Vorbildfunktion der öffentlichen Verwaltung in Sachen Gerechtigkeit betont und umsetzen will. 
Einige Kommunen sind bei der geschlechtergerechten Sprache bereits ein Stück weiter als das Land. Die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten haben einen Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache entwickelt, der in den Kommunen Schleswig-Holsteins Stück für Stück zum Zuge kommen soll. Auch im Flensburger Rathaus gibt einen Leitfaden geschlechtergerechte Sprache, der den Beschäftigten die Formulierungen in Anträgen oder Stellenanzeigen erleichtern soll. Aktuell wird die Geschäftsordnung der Flensburger Ratsversammlung entsprechend in eine geschlechtergerechte Fassung geändert. In Kiel sollen zukünftig alle Schreiben und Mails an die Bürger*innen möglichst geschlechtergerecht formuliert werden. 
Diese genannten Bestrebungen auf kommunaler Ebene will der vorliegende Antrag aber wieder abschaffen und die Zeit zurückdrehen. Das wäre absolut falsch, weil damit kommunale Bestrebungen torpediert werden.
Geschlechtergerechte Sprache bedeutet eine Umgewöhnung. Aber ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt. 

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