Rede · 22.02.2012 Gesetzentwurf zur Ausführung von Artikel 53 der Verfassung und Bericht zu den Auswirkungen des Jahresabschlusses 2011

Der Jahresabschluss 2011 zeigt, dass die Maßnahmen der Politik – und hier insbesondere auf der Bundesebene – zur Bewältigung der Konjunkturkrise erfolgreich waren. Wir können feststellen, dass die staatlichen Eingriffe und die konjunkturfördernden Maßnahmen des Staates eindeutig der richtige Weg waren. Es ist also sinnvoll, dass der Staat, wenn die Konjunktur nicht so läuft, wie es normal wäre, eingreift und mit einem staatlichen Konjunkturprogramm gegen steuert. Gerade unser Jahresabschluss 2011 zeigt dies überdeutlich. Der gute Abschluss liegt nicht überwiegend in der Verantwortung der Landesregierung, sondern insbesondere in den Konjunkturprogrammen seit 2008 begründet, die jetzt anfangen, ihre Wirkung zu entfalten. Das ist ja nicht nur bei uns sichtbar, sondern auch in allen anderen Bundesländern. Diese Entwicklung beweist, dass wir in Deutschland klüger mit der Krise umgegangen sind, als in anderen Ländern. Und dies wirkt sich auch positiv auf den Haushalt des Landes Schleswig-Holstein aus.

Der Jahresabschluss zeigt uns, dass es richtig war, in der Verfassung einen Passus aufzunehmen, der es ermöglicht, in besonderen konjunkturellen Lagen gegen zu steuern. Ein Ausführungsgesetz soll jetzt diese Bestimmung umsetzen und einen Weg aufzeigen, wie dies geschehen kann. Dabei wird festgelegt, dass man in einem bestimmten Umfang sein Konto auch längerfristig überziehen kann, um die Konjunktur anzukurbeln. Gleichzeitig müssen aber die diesbezüglichen Schulden schnell wieder zurückgeführt werden. Wir meinen, dass dieses System immer noch flexibel genug ist, um auf alle Eventualitäten reagieren zu können und das die Nutzung eines Kontrollkontos ein sehr transparenter Weg ist. Bis hier hin sind wir einig.

Aber die Vorgehensweise, die zugrunde gelegt wird, um konjunkturelle Schieflagen zu definieren, weicht ohne Not und erkennbaren Grund im Regierungsentwurf von der Bundesregelung ab. Das heißt, man berechnet im Finanzministerium einmal die Konjunkturkomponente nach der Bundesregelung, damit die Konsolidierungshilfen nicht gefährdet werden, und einmal nach der Wiegard-Regel. Nun mag man sagen, das ist gut fürs Ego des Finanzministers und es passt in die Reihe der einsamen Entscheidungen der Landesregierung bis hin zum Glückspielgesetz. Aber es gibt definitiv keinen Grund, warum hier doppelt gearbeitet werden soll und warum man von einer transparenten Regelung, die bundesweit überall gilt, abweichen will. Alleingänge mögen sinnvoll sein, wenn man noch Entscheidungen beeinflussen will. Sie sind es aber nicht, wenn die Entscheidungen schon gefallen sind und alle sich geeinigt haben. Dann sind solche leicht rechthaberischen Alleingänge á la „Landesregierung Schleswig-Holstein gegen den Rest der Welt“ einfach nur noch peinlich.

Knackpunkte gibt es aber auch an anderen Stellen. So wird im Regierungsentwurf festgelegt, dass das strukturelle Finanzierungsdefizit des Jahres 2010, bei 1,119 Milliarden Euro liegen soll. Mit dem Bund ist aber vereinbart, dass dieser Wert eigentlich bei etwas mehr als 1,3 Milliarden Euro liegt. Also um knapp 200 Millionen Euro höher. Die Abbaupfade bis 2020 unterscheiden sich deshalb massiv um kumuliert rund 1,1 Milliarden Euro und ich kann diese Selbstbeschränkung durch die Landesregierung nur als den Versuch deuten, einer zukünftigen Regierung moralische Handschellen anzulegen. Ich kann ja verstehen, dass sie zukünftige Regierungen als Schuldenmacher darstellen wollen. Was ich aber nicht verstehen kann ist, dass sie dies auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger des Landes tun. Denn durch ihre Regelung knebeln sie das Land ohne Not und vor allen Dingen ohne Verstand. Wir schlagen deshalb gemeinsam mit Grünen und der SPD vor, uns an die Vorgaben des Bundes zu halten, die nicht nur mit ihm ausgehandelt sind, sondern die auch in allen anderen Bundesländern gelten.

Im Übrigen weise ich außerdem noch darauf hin, dass beide Wege dazu führen, dass ab dem Jahr 2020 die Neuverschuldung auf Null reduziert ist. Kaputtsparen macht hier definitiv keinen Sinn. Die Schuldenbremse muss umgesetzt werden. Da sind wir alle – bis auf die Linken – einig. Und, meine Damen und Herren, dies ist ein Verfassungsauftrag. Es ist aber kein Verfassungsauftrag, das Land kaputt zu sparen. Und im Übrigen ist es ja auch nicht verboten, das zulässige Finanzierungsdefizit nicht auch zu unterschreiten. Sparen ist also weiterhin möglich, aber man sollte nach unserer Auffassung die flexiblere Bundeslösung – wie alle anderen Länder – nutzen.

Ein weiterer Knackpunkt, ist die Definition von strukturellen Einnahmen und Ausgaben. Was finanzielle Transaktionen nach § 5 angeht, kann man die Haltung vertreten, dass diese als einmalig auftretende Ereignisse in der Betrachtung draußen vor gehalten werden sollen. Insbesondere, wenn es um Einnahmen größerer Art geht, kann man sogar ein gewisses Verständnis haben, da diese Einnahmen dann nicht für dauerhaft auftretende Belastungen verausgabt werden sollten. Dies tut auch der Bund in seinem Gesetz zur Ausführung von Art. 115 Grundgesetz.
Aber wenn man dann die Ausgabeseite betrachtet, dann würde auch der Erwerb von Beteiligungen nicht berücksichtigt werden. Wir könnten also Anteile an Banken oder Unternehmen erwerben, ohne dass dies das zulässige Defizit berühren würde. Das wäre nämlich systemfremd, wenn die entsprechenden Einnahmen nicht auch berücksichtigt werden. Wenn man aber eine solche Regelung schafft, dann sollten wir auch festlegen, dass beispielsweise der Erwerb von Beteiligungen nur durch Veräußerungsgewinne aus anderen Beteiligungen zu finanzieren ist.

Was die Rücklagen und haushaltstechnischen Verrechnungen angeht, müssten diese eigentlich in die Berechnung des zulässigen Defizits mit einfließen. Dieses sind Gelder, die das Parlament für den Haushaltsvollzug genehmigt hat. Sollten diese jetzt nicht zweckgebunden verausgabt oder vereinnahmt werden können, muss eigentlich der Haushaltsgesetzgeber wieder entscheiden. Das heißt, im Guten wie im Schlechten müssten diese Finanzmittel voll berücksichtigt werden, da sonst zumindest das Ist-Ergebnis bei der Endabrechnung des zulässigen Defizits verfälscht werden könnte. Eine Berücksichtigung der Rücklagen wäre möglich, weil auch Rheinland-Pfalz beispielsweise hier Sonderregelungen einführen will. Auch hier sollten wir also in den Ausschussberatungen noch einmal nachdenken.

Eine weitere Anmerkung allgemeiner Art haben wir aber noch darüber hinaus. Bei der Definition der strukturellen Einnahmen und Ausgaben, fehlt bisher noch die Berücksichtigung von so genannten ÖPP-Modellen. Es ist ja denkbar, dass man, wenn man keine weiteren Schulden aufnehmen darf, solche Modelle zunehmend als Alternative umsetzt. So würde man sich aber auch wie bei einer echten Kreditaufnahme über Jahrzehnte binden. Das bedeutet, dass man die Schulden nur auf eine andere Art und Weise aufnimmt. Aus einer einmaligen defizitrelevanten Investition mit damit verbundenen Krediten werden dann dauerhafte Zahlungen an private Unternehmen. Der Charakter der Transaktion bleibt aber derselbe. Man erhält heute schon eine Leistung und zahlt diese dann nach und nach ab. ÖPP-Modelle sind so gesehen, dann versteckte Kreditaufnahmen. Und diese Kreditaufnahmen müssten dann womöglich sogar noch höher verzinst werden, als normale Kredite. Und das alles nur, um weitere Schulden überhaupt machen zu können. Die Entscheidung für ein ÖPP-Projekt darf aber nur auf Basis von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen erfolgen. Die Art der Buchung im Rahmen der Schuldenbremse darf keinen Einfluss auf die Entscheidung über die Art des Projektes - also ÖPP oder eigene Investition – haben. Auf diese Problematik weist auch das Bundesfinanzministerium in ihrem „Kompendium zur Verschuldensregel des Bundes“ hin und auch der Landesrechnungshof hat dieses Problem schon einmal angesprochen. Hier sollten wir im Ausschuss noch einmal darüber nachdenken, ob eine entsprechende Festlegung in diesem Gesetz notwendig sein könnte, damit klar geregelt wird, wie mit ÖPP-Projekten umgegangen werden soll.

Wir haben heute gemeinsam mit SPD und Grünen einen Gesetzentwurf vorgelegt, der das beinhaltet, was auch in allen anderen Bundesländern und im Bund gilt. Wir sehen diesen Gesetzentwurf als einen Kompromissvorschlag, der auch nicht alle Bedenken des SSW völlig ausräumt. Der aber die wichtigsten Hemmnisse für die Bürgerinnen und Bürger aus dem Weg räumt. Nach unserer Auffassung, wäre die große Gemeinsamkeit, die der Verfassungsänderung zur Schuldenbremse seinerzeit zugrunde lag, auch hier wieder anzustreben, damit wir eine Regelung bekommen, die auch etwaige Regierungswechsel überlebt und so für finanzpolitische Kontinuität und Transparenz steht. Die Ausschussüberweisung gibt uns noch diese Möglichkeit und deshalb fordere ich die Regierungsfraktionen auf, einen Schritt auf die Opposition zu zugehen. Wir alle sind der Schuldenbremse verpflichtet und wir alle wollen, dass die Nettokreditaufnahme in 2020 auf Null ist. Da gibt es keinen Dissens. Wir als Opposition haben unseren ersten Schritt schon gemacht, nun kommt es auf CDU und FDP an, ob sie diesen Kompromiss und die Transparenz wollen oder nicht. Wir, meine Damen und Herren, von SPD, Grünen und SSW wollen sie in jedem Fall.

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