Rede · 20.03.2002 Große Anfrage zur Situation der Justiz

Bei der Vorbereitung für unseren heutigen Meinungsaustausch habe ich mir auch die Debatte zur letzten Großen Anfrage im Jahre 1995 angesehen. Damals mussten die Parlamentarier um viele der wichtigsten Zahlen kämpfen. Die standen nämlich nicht in der Antwort der Landes­regierung und mussten dem Justizminister auch erst langwierig aus der Nase gezogen werden. Das ist heute glücklicherweise anders. Ich danke allen Beteiligten für die Arbeit, die sie sich mit diesem Bericht gemacht haben, und für die umfangreiche Stellungnahme.

Die Kernfrage in der Frage nach der Situation der Justiz ist natürlich weiterhin die Arbeits­belastung der Justiz und die daraus folgenden Konsequenzen für die Bevölkerung. Es geht besonders um die Frage, ob die Bürgerinnen und Bürger mit einer zügigen Bearbeitung ihrer Anliegen rechnen dürfen. Die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage zeigt, dass die durchschnittliche Dauer eines gerichtlichen Verfahrens in Schleswig-Holstein länger ist als im Bundesvergleich - mit Ausnahme des Finanzgerichts und des Verwaltungsgerichts. Beim genaueren Hinsehen offenbart sich aber auch, dass dieses seine Ursache in örtlichen Gegebenheiten hat. Im Prinzip kann man jedoch davon ausgehen, dass der Unterschied sehr gering ist im Bundesvergleich.

Wichtig ist, dass der Personalstamm der „nichtrichterlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ gehalten bzw. verbessert wird, um die etwas längeren Verfahrensdauern zu verkürzen. Denn wenn in diesem Bereich ein Ausfall zum Beispiel aufgrund von Krankheit erfolgt, kann die Arbeitsbürde nicht weiter verteilt werden. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits mehr als voll ausgelastet.

Während es im Jahr 1995 noch so aussah, als würde die Streitlust der Menschen stetig steigen, zeigt die vorliegende Statistik, dass dieses sich nicht in den letzten Jahren fortgesetzt hat. Die Eingangszahlen bei den Amtsgerichten gehen zurück, wenn man einmal von den Mahn­verfahren absieht. Auch beim Landgericht sind die Eingangszahlen nicht im selben Maße gestiegen wie die Eingänge bei den Amtsgerichten zurückgingen. Die Streitlust ist also wirklich gebremst. Wir erwarten jetzt mit Spannung, wie die Entwicklung hier angesichts des neu eingeführten Schlichtungsverfahrens weitergeht. Dieses dürfte ja zu einer weiteren Entla­stung in diesem Bereich führen. Zu dieser Entwicklung kommt hinzu, dass gerade bei den Amtsgerichten die Anzahl der Erledigungen durch Vergleiche gestiegen ist. Auf diese Weise können Streitigkeiten beim Amtsgericht auf eine für alle Beteiligten befriedigende Weise beigelegt werden.

Weniger erfreulich stellt sich die Entwicklung der Fälle bei den Familiengerichten dar. Die Eingangszahlen sind in den letzten fünf Jahren um 19 % gestiegen. Allerdings hat auch die Zahl der erledigten Verfahren um 17 % zugenommen. Unabhängig davon ist es ein Signal, das von der Familienpolitik näher beobachtet werden sollte. Im Rechtsaus­schuss müssen wir uns vor allem auch der Frage widmen, ob die Zunahme nicht auch im Zusammen­hang mit Unterhalts- und Sorgerechtstreitigkeiten als Auswirkungen des neuen Eltern- und Kindschaftsrechts mit der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge steht. Erfreulich ist im Familienrechtsbereich die durchschnittliche Verfahrensdauer beim Amtsgericht Niebüll.

Die Verfahrensdauern bei Gerichtsverfahren sind aber nur die eine Seite der Medaille. Sie sagen etwas darüber aus, ob die Justiz dem Interesse der Beteiligten an einer Gewissheit durch eine möglichst zügige gerichtliche Entscheidung gerecht wird. Neben dem Gedanken er möglichst guten „Dienstleistung“ für die „Kunden“ ist die Qualität der Arbeit aber natürlich ebenso wichtig, weil nur so die Rechtssicherheit gewährleistet ist. Die Qualität kann man zum Teil aus den Eingangszahlen bei den Berufungen erkennen, und diese nehmen erfreulicher Weise ab. Der Erhöhung der Eingangszahlen bei den Landgerichten von 8 % steht nur einer Erhöhung von 3 % bei den Berufungen gegenüber. Damit zeigt sich, dass unsere Gerichte auch in schwierigen Zeiten gute Qualität liefern können. Das verdient unseren Respekt.

Der Bericht der Landesregierung zeigt, dass Die Zahl der Zwangsversteigerungen und -ver­waltungen im Berichtszeitraum um 19 % zunahm, während die Vollstreckungsaufträge bei den Amtsgerichten um 27 % abnahmen. Das deutet eigentlich auf eine zunehmende Verschul­dung der Menschen hin. Aber der Rückgang bei den Vollstreckungen, auch bei den Zwangs­voll­­streckungsaufträgen, kann nicht nur auf die Gesetzesänderung 1999 zurückzuführen sein.

Der Service für die Bürgerinnen und Bürger ist aber natürlich nur die eine Seite der Justiz­politik. Auf der anderen Seite haben wir die Verantwortung dafür, dass die Mitarbei­terinnen und Mitarbeiter der Justiz die Aufgaben unter zufriedenstellenden Bedingungen erledigen können. Hier wird viel über eine zu hohe Arbeitsbelastung gesprochen, und auch wir sind der Ansicht, dass die Pensenschlüssel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf keinen Fall mehr steigen dürfen. EDV spart nicht einfach nur Arbeitskraft ein. Sie hat auch die Arbeitsfelder des Einzelnen erweitert, ermöglicht eine bessere Qualität für die Rechts­suchenden, und diese muss beibehalten werden.

Wir können diese Qualität auch in außergewöhnlichen Situationen liefern – zum Beispiel angesichts der Ankündigung von MobilCom ca. 100.000 Mahnanträge einzureichen. Wir begrüßen ausdrücklich die Entscheidung des Ministeriums, hier nicht einfach das Problem zunächst auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zukommen zu lassen, sondern gleich eine Lösung zu finden. Es ist nach unserer Ansicht im Sinne aller Antragsteller von Mahn­ver­fahren reagiert worden und nicht nur für die MobilCom. In diesem Sinne habe ich wenig Verständnis für die Kritik der CDU. Denn am Ende wäre doch auch gerade das einzelne kleine Mahnverfahren liegen geblieben.

Die Längen der Verfahren sind aufgrund der verschiedenen Zählweisen schwer zu über­schauen. Aber unabhängig davon ist eine Verfahrensdauer von über 24 Monaten nicht erträg­lich. Desto höher die Belastung durch höheren Pensen sind, desto mehr ergeben sich auch Verfahrens­­verlängerungen. Das leuchtet ein. Bei den Sozialgerichten ist das Ansteigen der über 24 Monate dauernden Verfahren von 398 Verfahren auf 1253 Verfahren inner­halb des Berichtszeitraumes nicht nachvollziehbar. Hier werden wir im Ausschuss sicherlich nach den Gründen fragen müssen.

Die Fülle des Materials gestattet es mir auch im Bereich des Justizvollzugs nur auf einzelne Aspekte einzugehen: Seit 1996 sind die Widerrufe und Rücknahmen von Freigängen rück­läufig. Erfreulich ist ebenso die Entwicklung der Entweichungen und Ausbrüche sowie der geringe Prozentanteil von Nichtrückkehrfällen aus Beurlaubungen seit 1991. Dies zeigt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Justizvollzug hinsichtlich der Prognoseentscheidun­gen sicher sind, dass die Resozialisierung durch diese Maßnahmen gerechtfertigt ist.

Bei den beabsichtigten Investitionen im Justizvollzug ist erfreulich, dass der Neubau für ein Arbeitsgebäude in Flensburg vorgezogen wird, so der eklatante Mangel an Raum hier endlich behoben wird. Auch der Neubau in Neumünster wird vorgezogen, kommt aber der Jugend­anstalt nicht gleich vollständig zu gute, da in Neumünster während der Sanierungsmaßnahme in der JVA Kiel Haftplätze für Gasthäftlinge benötigt werden.

Für den Bereich der Gerichtshelfer/Bewährungshelfer/Gerichtsvollzieher zeigt der Bericht ei­nen erheblichen Arbeitsanfall und damit hohe Belastungen aller Mitarbeiterinnen und Mit­arbeiter auf. Dabei gibt es nicht nur eine zah­lenmäßige, sondern auch eine inhaltsmäßige Stei­ge­rung der Arbeitsaufgaben in beiden Bereichen. Hier will das Ministerium durch einen Pro­zess der Qualitätssicherung und -ent­wicklung als Instrument der Straf­fälligen­hilfe reagieren. Ich frage mich aber, ob diese wohlgemeinten Maßnahmen nicht auch dazu beitragen, die Situation eher zu verschlimmern. Man soll die Haushaltslage berücksichtigen und Wirkungsmechanismen nachweisen und dabei auch noch einheitliche und verbindliche Stan­dards entwickeln. Und nebenbei soll man sich auch noch auf moderne Informations­techno­logie umstellen. Ich frage mich, wie man dieses neben den erheblichen Anforderungen der Arbeit nebenbei noch machen will. Diese beschriebenen Aufgaben sind notwendig, aber sie müssen auch realistisch bewältigt werden können.

Bei den Gerichtsvollzieherinnen und -vollziehern ist es begrüßenswert, dass das Ministerium auf die Änderung der Aufgaben der Gerichtsvollzieher mit einer Personalerhöhung reagiert hat. Die Vollstreckungsaufträge sind zwar zurückgegangen. Aber die Hälfte der Auf­träge sind mit dem weiteren Auftrag zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verbunden, was zu mehr Arbeit führt. Die Pensen konnten fast gehalten werden.

Eine Privatisierung dieser Aufgabe lehnen wir ab, zum einen wegen der im Bericht schon angesprochenen Verteuerung, aber auch weil wir gerade in diesem Bereich die geschulten und ausgebildeten Mitarbeiter­innen und Mitarbeiter benötigen, die in der Lage sind, die Recht­mäßigkeit ihres Handelns zu überprüfen und auch Aufträge ablehnen.

Der durchschnittliche Anteil an Frauen im Bereich Justiz ist erfreulich, aber im Bereich der Führungspositionen verbesserungsfähig. Arbeitsgerichte haben hier durch ihren besseren Frauenanteil eine echte Vorbild­funktion. Gerade angesichts der zum Teil hundertprozentigen Frauenquote in diesen Gerichten sollte einmal nachgeforscht werden, ob dieser Bereich im Sinne des Gender-Gedankens besondere Vorzüge bietet, die man auch auf andere Bereiche übertragen könnte. Andersherum stellt sich bei den Arbeitsgerichten schon die Frage, wie man die Attraktivität für Männer erhöhen kann. Ein weiterer Bereich, in dem der Gender-Gedanke weiter verbreitet werden könnte sind die Beurlaubungen und Teilzeitbeschäftigung bei Richterinnen und Staatsanwältinnen. Diese Möglichkeiten werden zur Zeit nur von Frauen genutzt.

Bei der Juristenausbildung besteht vor allem das Problem, dass die Wartezeiten für ein Referendariat zu lang sind. Schleswig- Holstein nimmt hier ein Mittelfeldplatz ein. Hier wird bedauerlicherweise die Praxis aus den anderen Bundesländern übernommen, um die Warteliste zu kürzen und Geld zu sparen. Seit 2002 werden Referendare in der Justiz nicht mehr in das Beamtenverhältnis genommen, sondern erhalten eine Unterhaltsbeihilfe.

Gerade an diesem Punkt zeigt sich, dass die angestrebte umfassende Veränderung der Juristenausbildung nun endlich in Gang kommen muss, statt, dass sie nur an kleinen Punkten und insbesondere am Geld durchzuführen. Es wäre doch auch sinnvoller hier zumindest im 2. Teil der Ausbildung über andere Formen zu entscheiden. Ein weiteres erscheint mir noch die Entlohnung der Leiterinnen und Leiter von Arbeitsgemeinschaften. Der Stundenlohn beträgt 14,06 Euro pro Stunde und ich gehe davon aus, dass die Vorbereitungszeit nicht mit angerechnet wird. Diesen Stundenlohn für eine Fachstunde erhalte ich bei keinem Hand­werker, der mir etwas erklärt. Für diesen Stundenlohn hätte ich auch keinen Fachkunde­unterricht Recht gegeben. Auch deshalb halten wir weiterhin eine Reform der Ausbildung auch für notwendig.

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