Rede · 28.05.2004 Lage der öffentlichen Finanzen

Die Zahlen der neuesten Mai-Steuerschätzung sind wieder einmal „Jenseits von Gut und Böse“. Insgesamt fehlen Bund, Ländern und Gemeinden - im Verhältnis zur letzten Steuerschätzung vom November 2003 - bis 2007 fast 50 Mia. € an Steuereinnahmen. Wieder mussten die Steuerschätzer die Wirtschaftsprognosen für dieses und die nächsten Jahre nach unten korrigieren. Und wieder einmal sind die Folgen für die öffentlichen Haushalte fatal.

Auch die Ausnahme bestätigt in diesem Fall die Regel: So bekommen die Kommunen im diesem Jahr zwar 2,2 Mia. € Mehreinnahmen, aber eine wirkliche Gewerbesteuerreform – wie beispielsweise von der Landesregierung vorgeschlagen – wäre den großen finanziellen Problemen der Kommunen besser gerecht geworden.

Der Landeshaushalt ist ebenfalls von den neuesten Zahlen der Steuerschätzer betroffen. Es ist zwar positiv, dass wir für 2004 mit Mehreinnahmen von ca. 19 Mio. € rechnen können, aber die langfristigen Steuerausfälle ab 2005 von jährlich fast 500 Mio. € sind natürlich dramatisch.

Für den Landtag stellt sich daher die Frage: wie sollen wir auf diese neuen Steuereinbrüche reagieren? Der SSW fordert die Landes­regierung auf, trotz sinkender Steuereinnahmen Kurs zu halten und einen möglichen Aufschwung im Land nicht durch ein neues Sparprogramm zu gefährden.

Wir brauchen daher keine Haushaltssperre oder einen Nachtragshaushalt für 2004. Dafür muss man notfalls auch die Neuverschuldung in Schleswig-Holstein weiter erhöhen. Das gilt aus meiner Sicht auch ausdrücklich für den Haushalt 2005. Insbesondere die beschlossenen Inve­stitio­nen im Lan­deshaushalt für 2004 und 2005 dürfen nicht angetastet werden.

Es macht auch keinen Sinn, jetzt panikartig massive Kürzungen, beispielsweise bei Landes­verwaltungen und beim Personal vorzunehmen, wie es die CDU fordert. Die notwendigen Verwaltungs- und Strukturreformen werden nur gelingen, wenn sie gemeinsam mit den Beschäf­tigten kontinuierlich weitergeführt werden. Solange die großen Parteien nicht mal den Mut haben, die kleinteilige kommunale Struktur in Schleswig-Holstein zu ändern, wäre dies eine kontraproduktive Politik

Eine wirkliche finanzielle Entlastung des Landes ist nur durch Reformen auf Bundesebene zu erreichen, die den Ländern und Kommunen wieder Luft zum Atmen bringen. Leider sieht es im Moment aber eher so aus, als wolle der Bund uns ersticken lassen. Dabei bin ich der festen Auffassung, dass die Bundesregierung Schiffbruch erleiden wird, wenn sie nicht bald einem klaren Kurs absteckt. Der Bundesfinanzminister segelt zur Zeit aber in zwei Weltrichtungen gleichzeitig, wenn er einerseits die Maastricht-Kriterien einhalten und andererseits neue Wachstumsimpulse setzen will. Beides geht aber nicht.

Die Erfahrungen mit der Agenda 2010 zeigen, dass diffuse Steuersenkungen nicht mehr Wachstum und Beschäftigung bringen. Damit verschärft man im Gegenteil nur die Krise der öffentlichen Haushalte. Wenn die katastrophale Arbeitslosigkeit beseitigt werden soll, dann brau­chen wir auch keine neuen Sparmaßnahmen, sondern Investitionen in Bildung, Verkehrsinfrastruktur und neue Technologien.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Gespräche hinweisen, die der Finanzausschuss bei seinem Besuch in Kopenhagen Mitte Mai über die erfolgreiche Finanzpolitik der dänischen Regierung der letzten zehn Jahre geführt hat. Dänemarks Staatshaushalt erzielt seit 1996 jährliche Überschüsse in Milliarden-Höhe und kann sogar einen großen Teil der Staatsschulden abbezahlen.

Diese positiven finanziellen Eckdaten sind das Ergebnis einer gezielten – in den 80-zige Jahren parteiübergreifenden beschlossenen - Finanzpolitik, die mit dem Regierungswechsel 1993 weiter ausgebaut wurde. Der damaligen Wirtschaftskrise begegnete die neue sozialdemokratische geführte Regierung mit einem Mix aus expansiver Finanzpolitik, die das Ziel hatte, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, und einer aktiven Arbeitsmarktpolitik, die insbesondere auf Aus- und Weiterbildung der Arbeitslosen setzte.

In einem Artikel unter der Überschrift „Cleverer als die Deutschen“ vom 13. Mai 2004 in „Der Zeit“ würdigte der Autor diese dänische Politik. „Die Dänen betreiben eine stark antizyklische Fiskalpolitik. Soll heißen, sie haben im Aufschwung die Staatsausgaben im Zaum gehalten und sie dafür in der Abschwungphase erhöht. Was dann wiederum die Krise milderte. Eine Strategie, die sie vor allem von den Deutschen unterscheidet, die im Aufschwung meist das Geld mit vollen Händen ausgeben. Dafür haben sie dann in Krisenzeiten versucht zu sparen. Ein ökonomisch zweifelhaftes Konzept. Ein Land kann sich nicht aus der Verschuldung heraussparen, es kann nur herauswachsen,“ so der Bonner Wirtschaftsprofessor Jürgen von Hagen.

So ähnlich sieht das inzwischen auch das Mitglied des Sachverständigenrates Professor Peter Bofinger, der sogar vor einer Finanzpolitik a la Reichskanzler Brüning warnt. Die zukünftige Finanzpolitik ist auch ein Kampf zwischen zwei verschiedenen ökonomischen Denkschulen - den Monetaristen und den Keynesianern. Allerdings frage ich mich, warum in Deutschland immer noch überwiegend die neoliberalen Finanzwissenschaftler in der öffentlichen Meinung wahrgenommen werden, wenn die Ergebnisse dieser Politik in den letzten ja fast schon 20 Jahren so katastrophal sind und eine Massenarbeitslosigkeit zur Folge hat, die wir seit dem Krieg nicht mehr gesehen haben.

Laut Pressemeldungen von Anfang Mai wollte Bundesfinanzminister Hans Eichel angesichts der neuesten Steuerschätzungen endlich den gordischen Knoten durchschlagen und sich den Vorschlägen der Landesregierung Schleswig-Holstein zur Umsteuerung in der Finanzpolitik anschließen. Angeblich hatte eine Abteilung im Bundesfinanzministerium bereits ein konkretes Konzept erarbeitet, dass eine Mehrwertsteuererhöhung auf den europäischen Durchschnitt von 21% vorsah - bei gleichzeitiger massiver Senkung der Lohnnebenkosten. Leider hatten Bundeskanzler Schröder und SPD-Chef Müntefering nicht den Mut, diese Vorschläge umzusetzen, die die Arbeitskosten der Unternehmen drastisch gesenkt und somit neuen wirtschaftlichen Schwung und vor allem neue Arbeitsplätze gebracht hätten.

So bleibt uns aus Landessicht in der jetzigen Lage insbesondere darauf zu drängen, dass die Föderalismus-Kommission von Bundestag und Bundesrat so schnell wie möglich Vorschläge erarbeitet, die endlich zukunftsfähige Aufgaben- und Finanzrelationen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sichert. Denn eines dürfte auch klar sein: unter den jetzigen Bedingungen kann praktisch kein Bundesland seinen Haushalt alleine sanieren.

Natürlich steht Schleswig-Holstein auf den ersten Blick im Ländervergleich bei der Pro-Kopf-Verschuldung als letzter der westdeutschen Flächenländer nicht sehr gut da. Dennoch ist die finanzielle Situation aller Bundesländer miserabel und kann nicht allein mit der Farbe der Regierung erklärt werden.

Warum sonst schlägt der niedersächsische CDU-Ministerpräsident Wulf der Landtagsopposition in seinem Lande einen „All-Parteien-Pakt“ zur Finanzpolitik vor. Er ist eben auch mit seinem finanzpolitischen Latein am Ende, genau wie die überwiegende Mehrzahl der Ministerpräsidenten. Auch die Umsetzung der Haushaltsanträge von CDU und FDP hier im Landtag seit 1996 hätten keine grundlegende andere finanzpolitische Ausgangslage für den Landeshaushalt geschaffen. Wenn Sie ehrlich in sich gehen , liebe Kolleginnen und Kollegen, würden Sie das auch eingestehen.

Eine wirkliche Haushaltsanierung - die den Namen auch verdient und nicht nur einige Millionen hin und her verschiebt – ist letztendlich nur durch grundlegende Änderung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf Bundesebene, kombiniert mit aktiver Arbeitsmarktpolitik wie in Skandinavien und einer grundlegenden Reform der föderalen Strukturen, möglich.

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