Rede · 18.11.1999 Minderheitenpolitik in der 14. Wahlperiode Regional- und Minderheitensprachen in den Medien

Sprache ist verräterisch. Wenn also gleich am Anfang des Minderheitenberichts zu lesen steht: Schleswig-Holstein ist das einzige Land der Bundesrepublik, das in seinen Landesgrenzen drei nationale Minderheiten beherbergt", dann fühle ich mich rein sprachlich in die sechziger oder siebziger Jahre zurückversetzt, wo im Zusammenhang mit Minderheiten immer wieder vom Herbergsstaat" die Rede war.
Damit meine ich: Die in Schleswig-Holstein lebenden Minderheiten - die dänische Minderheit, die friesische Volksgruppe und die Minderheit der Sinti und Roma - sind Teil dieser Gesellschaft. Sie sind nicht nur Staatsbürger, sie sind auch Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins mit den gleichen Rechten und den gleichen Pflichten wie alle anderen. Was dies bedeutet, zeigt sich z.B. Ende 1997, wo der dänische Schulverein anlässlich der Kürzungen in den Zuschüssen für die dänischen Schulen zu einer Demonstration vor dem Landeshaus aufgerufen hatte. Mitglieder der dänischen Minderheit nahmen ihr Demonstrationsrecht in Anspruch und stellten sich der Öffentlichkeit. Wir waren uns aber auch bewusst, wie wichtig es war, an den Verhandlungstisch zurück zu kehren, wir nutzten also nicht die Gelegenheit, mehr Öl ins Feuer der Emotionen zu gießen.
Bekanntlich stimmte der SSW in Übereinstimmung mit dem dänischen Schulverein bei den Haushaltsberatungen einem Kompromiss-Vorschlag der Regierungsparteinen zu. Dieses zu tun, fiel uns nicht leicht! - Die vermittelnde Rolle von Kurt Schulz, unserem Grenzlandbeauftragten, möchte ich bei dieser Gelegenheit noch einmal lobend erwähnen. Das Amt des Grenzlandbeauftragten muss unbedingt erhalten bleiben, nicht nur um dem SSW einen Brocken" hinzuwerfen, sondern weil Vermittlung bei unterschiedlichen Interessenslagen immer notwendig bleiben wird.
Ich möchte noch ein weiteres Zitat aus dem Bericht der Landesregierung herausgreifen: Die drei Minderheiten bedeuten für Schleswig-Holstein eine begrüßenswerte kulturelle Vielfalt, die mit erheblichen finanziellen Aufwendungen - auch für die Zukunft - verbunden ist".
Es gibt viele Definitionen von Kultur und damit auch von kultureller Vielfalt. Wenn aber Kultur mehr als die Sahne auf dem Sonntagskuchen darstellt, wenn sie die Hefe im Brotteig ist, dann ist kulturelle Vielfalt" ein Teil unserer gemeinsamen Identität in diesem Land. Und dann heißt die politische Forderung des SSW, dass sich auch die Minderheiten in dieser Gesellschaft wiederfinden müssen.
Nicht nachvollziehbar ist für mich daher, dass der Bericht einseitig von finanzieller Belastung spricht. - Ich will jetzt nicht mit dem Argument kommen, dass auch die Minderheiten Steuern in diesem Land zahlen - das wäre zu banal. Doch ich möchte durchaus in Erinnerung rufen, dass kulturelle Vielfalt auch ein Standortfaktor" ist, dass auch die Mehrheitsbevölkerung davon profitiert. Und ganz konkret gesprochen, möchte ich darauf verweisen, dass das dänische Schulwesen sowohl für das Land als auch - und erst recht - für die schleswig-holsteinischen Kommunen ein ausgesprochen kostengünstiges Schulwesen ist. Der SSW hat zur Situation der Schülerbeförderung eine Änderung des Schulgesetzes eingebracht. Dieser Antrag ist noch nicht entscheiden, trotz der gründlichen Vorarbeit von Kurt Schulz.
Der Bericht der Landesregierung befasst sich detailliert mit den neuen Rahmenbedingungen für Minderheitenpolitik in Europa: Die Rahmenkonvention des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und die Sprachencharta. Darauf werde ich jetzt im Einzelnen nicht eingehen. Beide Erklärungen - sowohl die Rahmenkonvention als auch die Sprachencharta - sind heute Bestandteil der bundesdeutschen Gesetzgebung, und vor diesem Hintergrund ist es mehr als gerechtfertigt, Minderheitenpolitik nicht nur als Länder-, sondern auch als Bundespolitik zu definieren. Der SSW begrüßt also, dass sich die Landesregierung darum bemüht, dieses der Bundesregierung klar zu machen. Weiterhin bleiben wir bei unser alten Forderung nach einer Grundgesetzänderung im Sinne der schleswig-holsteinischen Landesverfassung.
Mehr möchte ich heute zur Minderheitenpolitik auf Bundesebene nicht sagen, auch nicht zur höchst bedauerlichen Schließung des Generalkonsulats in Apenrade. Wir wollen zunächst aufdecken, worin Versäumnisse der Minderheitenpolitik auf Landesebene liegen.
Es wird immer wieder hervorgehoben, dass die deutsch-dänische Minderheitensituation vorbildlich sei und Modellcharakter" habe. Das Wort Modellcharakter" verleitet aber leider nur allzu oft dazu, dass sich Politiker die Minderheit wie ein Ausstellungsmodell in der Virtine gemächlich angucken und sagen: Ist doch alles in Ordnung!"
In Ordnung, ist eben noch nicht alles! Anlässlich dieses Berichtes möchte ich den Schwerpunkt auf die Mediensituation der Regional- und Minderheitensprachen legen, aber einleitend noch ein paar Bemerkungen machen.
Trotz der bisher geleisteten Hilfe des Landes: Für die Friesen ist eine verstärkte sprachpolitische und finanzielle Förderung dringend notwendig, denn die friesische Sprache ist stark bedroht. Das Nordfriisk Instituut, das sehr gute Arbeit leistet, hat durch jahrelange Überrollung im Landeshaushalt eine Deckungslücke von 100.000 DM für 2000: Die Änderung der Prüfungsordnung für Lehrer an der BU Flensburg erschwert es enorm, Lehrer für das Fach Friesisch zu gewinnen und der Friesisch-Unterrricht an den Schulen wird fast nur in den dritten und vierten Klassen erteilt und danach meist nicht mehr. Bei den Sinti und Roma gibt es ebenfalls Finanzierungsprobleme für den mit Planstellen ohenhin äußerst dünn ausgestattenen Landesverband. Ansonsten möchte ich hier darauf verweisen, was ich in diesem Hohen Hause Anfang 1998sagte, als es uns nicht gelang, die Minderheit der deutschen Sinti und Roma in die Landesverfassung zu bekommen.
Doch nun zu den Medien: Die Hörfunk- und Fernsehsituation der von der Charta anerkannten Regionalsprache Niederdeutsch und der Minderheitensprachen Dänisch, Friesisch und Romanes ist in unserem Lande sehr unterschiedlich - aber insgesamt gesehen alles andere als befriedigend.
Aus diesem Grunde haben wir unseren Antrag eingebracht und bitten im Interesse der Regional- und Minderheitensprachen unseres Landes um eine breite parlamentarische Zustimmung.
Nackte Zahlen, was für mich angemessene Sendezeiten sind, möchte ich Ihnen nicht vorlegen. Ich möchte den notwendigen Gesprächen zwischen Landesregierung, Medien und Verbänden nicht vorgreifen. Der europäische Vergleich wird uns die Richtung weisen und die Medien sind mit innovativer Intelligenz gefragt, diese europäische Herausforderung umzusetzen.
Eine druckfrische von der ULR in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie hebt hervor, dass das Programmangebot für Friesisch in den Medien kümmerlich" sei. Der NDR sendet regelmäßig nur drei Minuten Friesisch pro Woche und dazu alle vier Jahre eine einstündige Sendung, die immer zufällig" im zeitlichen Umfeld des Minderheitenberichtes liegt. Dabei ist die inhaltliche Qualität der NDR-Sendungen sehr gut, aber wie die Friesen in mehreren Resolutionen hervorgehoben haben von Sendezeit, Länge und Häufigkeit sehr unzureichend.
Die Situation des Friesischen macht deutlich, dass Hörfunk und Fernsehen von alleine nichts für die Minderheitensprachen tun. Das wird noch deutlicher am Beispiel der deutschen Sinti und Roma, von denen etwa 5.000 bis 6.000 in Schleswig-Holstein leben. Ihre Sprache, das Romanes, spielt für ihre Identität als Gruppe eine entscheidende Rolle. Die Sinti und Roma verwenden ihre Sprache fast ausschließlich als gesprochene Sprache, so dass das Medium Radio für diese Sprache wie geschaffen ist. In Berlin gibt es alle zwei Wochen eine viertelstündige Radio-Sendung auf Romanes. In Schleswig-Holstein gibt es hingegen keine einzige Sendeminute auf Romanes, weder im Fernsehen noch im Radio. Dabei wäre der Landesverband der deutschen Sinti und Roma sehr interessiert daran, Sendungen in der eigenen Sprache zu haben.
Skeptiker und Gegner werden uns wahrscheinlich vorwerfen, dass sich Sendungen nicht lohnen, die ohnehin nur" 5.000 bis 6.000 Menschen verstehen können. Minderheiten kann man aber nicht mit Maßstäben der Mehrheit messen.
Wer in Schleswig-Holstein dänische Programme hören oder sehen will, ist im wesentlichen auf die Sender aus Dänemark angewiesen. Dadurch gerät leicht in Vergessenheit, dass die dänische Minderheit ein Teil der Kultur Schleswig-Holsteins ist. In Schleswig-Holstein selbst gibt es auf Dänisch nur eine täglich zweiminütige Radio-Sendung bei RSH. Im Fernsehen Schleswig-Holsteins gibt es Dänisch nur selten. Als einzige regelmäßige Sendung das zweisprachige deutsch-dänische Fernsehprogramm Hier Her" als Koproduktion von NDR und TV Syd. Die Sendung dauert aber nur 10 Minuten und wird nach Angaben des NDR nur bis Ende des Jahres einmal in der Woche zu sehen sein. Wenn die dänische Minderheit allein auf die schleswig-holsteinischen Medien angewiesen wäre, sähe es schlecht aus.
Natürlich hören und sehen wir vor allem Programme aus Dänemark, aber den dänischen Programmen fehlt eine wichtige Komponente: Regionale und lokale Berichterstattung über das, was zwischen Kiel und Flensburg bzw. zwischen Husum und Kappeln geschieht, gibt es im dänischen Radio und Fernsehen in der Regel nicht.
Ganz anders sieht die Mediensituation des Niederdeutschen aus, das ja keine Minderheitensprache, sondern eine in ganz Norddeutschland verbreitete Regionalsprache ist, aber auch in der Förderung des Niederdeutschen gibt es viel zu verbessern. Ich will jetzt nicht darauf eingehen, das ist ja ein eigener Tagungsordnungspunkt.
Lassen Sie mich zum Schluss erwähnen, dass es in der Kürze der Zeit natürlich nicht möglich war, auf alle Aspekte des Berichts einzugehen. Die Situation der deutschen Minderheit in Dänemark, die Tatsache, dass Dänemark inzwischen mehr für die Minderheiten im Grenzland zahlt als Deutschland und viele weitere Themen gehören dazu. Mein Dank für den Bericht gilt der Ministerpräsidentin und allen Beteiligten, denn auch mit dem vorliegenden Minderheitenbericht kann man gut arbeiten.
Für die Minderheitenpolitik der nächsten Jahre wird es von entscheidender Bedeutung sein, ob und inwieweit sich die Staatszielbestimmungen der Landessatzung und die europäischen Minderheitenregelungen konkret in Gesetzen und Politik dieses Landes wiederfinden. Im nächsten Jahr werden wir auf zehn Jahre der neuen Landesverfassung zurückblicken können. Minderheitenpolitik ist keine Sonntags- oder Klientelpolitik. Minderheitenpolitik ist Gesellschaftspolitik und muss daher mit allem Nachdruck vorangebracht werden.

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