Rede · 11.05.2007 Neubau von Kohlekraftwerken in Schleswig-Holstein

Die Energiepolitik ist derzeit maßgeblich beeinflusst von zwei Faktoren. Zum einen haben wir den Atomkonsens, der den Ausstieg aus der risikobehafteten Energieversorgung vorschreibt. Zum anderen haben wir den Klimawandel und die klimapolitischen Ziele zur Verminderung des CO2-Ausstoßes. Beides zusammen stellt uns heute vor große Herausforderungen, die wir annehmen müssen. Dies ist kein neuer Konflikt, es gibt ihn schon seit Jahren. Doch mittlerweile hat auch der Letzte erkannt, dass wir das Problem nicht mit Reden lösen können. Es ist höchste Zeit, dass endlich gehandelt wird.

Für den SSW stelle ich fest, dass wir am Atomkonsens weiterhin festhalten. Es gibt für uns keine Alternative zum Atomausstieg, dieser muss so schnell wie möglich stattfinden. Ich kann nur davor warnen, im Zusammenhang mit der Klimadiskussion und der CO2-Reduktion der Atomenergie das Wort zu reden. Auch wenn es vordringlich so aussieht, dass Atomenergie zur Lösung der CO2-Problematik beitragen könnte, birgt diese Energieform Risiken in sich, die wir letztendlich nicht kontrollieren können und die ein gefährliches Abfallproblem für viele nachfolgende Generationen darstellt. Daher lassen wir uns auf gar keinen Fall auf einen solchen Kuhhandel ein.

Es gibt heute einen bestimmten Energiebedarf, der gedeckt werden will und wir wissen, dass der Energiebedarf in Zukunft weiter steigen wird. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Und wir wissen um die Gefahr, dass der CO2-Ausstoß damit maßgeblich in Verbindung steht. Dieses Problem muss gelöst werden. Doch welche Möglichkeiten zur Abwendung stehen uns zur Verfügung?

Was wir in den nächsten Jahrzehnten benötigen, ist ein Mix aus erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung. Auch dies ist keine neue Erkenntnis, doch hier muss noch viel getan und geforscht werden. Aber gerade im Bereich der Energieforschung und Entwicklung ist Deutschland in den letzten Jahren im internationalen Vergleich zurückgefallen. Dies macht die VDE-Studie „Energieforschung 2020" deutlich. Danach schneiden Deutschland und Europa im internationalen Vergleich schlecht ab. Während Japan für die Energieforschung pro Kopf der Bevölkerung über 30 US-Dollar ausgibt und die USA 10 Dollar, sind es in Deutschland nur 6,20 Dollar. Mit jährlich 3,9 Milliarden US-Dollar investiert Japan 7,6-mal so viel Geld in die Energieforschung wie Deutschland, die USA investieren absolut fast sechsmal so viel wie die Bundesrepublik. Dies muss sich ändern, nicht nur in finanzieller sondern auch in strategischer Hinsicht.

Welche Möglichkeiten stehen uns also zur Verfügung, um langfristig die Energieversorgung und die Klimaschutzziele zur erreichen? Die Mobilisierung vorhandener Energieeinsparpotentiale, die Erhöhung der Effizienzsteigerung und die kontinuierliche Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien sind die anerkannten Lösungen. Durch die konsequente Durchführung dieser Schritte wird es uns besser ermöglicht, nachhaltig den Atomausstieg zu vollziehen. Wir wissen, dass insbesondere die Energieeinsparpotentiale und die Erhöhung der Effizienzsteigerung noch lange nicht ausgeschöpft sind. Gerade in diesen Bereichen, muss noch sehr viel getan werden und wir müssen uns im klaren darüber sein, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis wir hier wirklich spürbare Verbesserungen aufweisen können. Dieser Weg muss jetzt gesteuert werden, damit das Bewusstsein auf allen Ebenen geschaffen wird, dass Strom ein „wertvolles Gut“ ist, mit dem sparsam und effizient umgegangen werden. Hier müssen Anreizsysteme geschaffen werden, für umfassende energietechnische Analysen. Nur wenn die Schwachstellen lückenlos aufgedeckt werden, kann zielgerichtet gegengesteuert und in Verbesserungen umgemünzt werden. Dies gilt sowohl für die betrieblich als auch für die häusliche Energieversorgung. Allerdings sind dies alles langfristig angelegte Lösungen. In unserer jetzigen Situation sind wir noch keinen Schritt weiter.

Nach Angaben des Bundesverbandes Erneuerbare Energie (BEE) spart die Nutzung von Wind- und Wasserkraft, Sonnenenergie, Erdwärme und Bioenergie weltweit bereits 7 Milliarden Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid ein. Ohne den Beitrag der Erneuerbaren Energien wären die weltweiten CO2-Emissionen fast 25 Prozent höher als heute. Der schnellstmögliche Ausbau dezentraler Erneuerbarer Energien ist die einzige Chance, den Energiebedarf und den Klimawandel zu stoppen. Angesichts eines weltweit steigenden Energiebedarfes ist es fahrlässig und viel zu teuer, weiter langfristig auf fossile Energieträger zu setzen. Viele Länder würden zukünftig ohne sich zu verschulden gar keinen Zugang mehr zu Öl- und Gasquellen haben. Auch Kernenergie mit einem Anteil von gerade einmal zweieinhalb Prozent am weltweiten Endenergieverbrauch von Strom, Wärme und Kraftstoffen bietet keine Alternative. Nur wenn wir entschlossen den Ausbau Erneuerbarer Energien fördern, können weltweit die CO2-Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts um die Hälfte gesenkt werden. Dafür muss ihr Anteil von heute etwa 20 Prozent am Endenergieverbrauch weiter gesteigert werden. Was derzeit aber noch fehlt, sind klare Rahmenbedingungen für den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien. Aber auch auf Landesebene brauchen wir eine konkrete Planung, welche Energieformen in Schleswig-Holstein in zwanzig und in fünfzig Jahren genutzt werden sollen. Hierauf aufbauend muss dann ein Förderinstrumentarium auf Landesebene entwickelt werden, das es ermöglicht diese gesteckten Ziele zu erreichen. Auch diese Erneuerbare Energien werden sich erst langfristig voll auswirken können. Aber wir müssen jetzt schon handeln.

Doch bis wir soweit sind, brauchen wir einen Energiemix aus Erneuerbaren Energien und fossilen Energieträgern, um den Bedarf wirklich decken zu können. Doch mit welchen fossilen Energieträgern sollen wir die Energieversorgung verlässlich sicherstellen. Bereits in der letzten Energiedebatte habe ich auf die Problematiken hingewiesen, die mit den verschiedenen fossilen Energieträgern verbunden sind. Dies habe ich aber nicht nur unter dem Aspekt des Klimaschutzes getan. Wenn wir eine zuverlässige Übergangslösung haben wollen, dann müssen wir auch die Sicherheit der Verfügbarkeit der Rohstoffe mit einbeziehen. Schließlich kommen manche dieser Rohstoffe aus derzeit politisch sehr unsicheren Drittstaaten.
Wir wissen, dass die Vorkommen von Gas, Öl und Uran unterschiedlich zeitlich und geografisch begrenzt sind. Mit diesen Energieträgern begeben wir uns in eine langfristige Abhängigkeit, die wir so nicht wollen. Die Verknappung der Rohstoffe wird dazu führen, dass die Energiepreise in den nächsten Jahrzehnten explodieren werden.
Etwas anders sieht es bei Kohle aus. Natürlich ist Kohle auch ein endlicher Rohstoff, aber im Gegensatz zu den vorher genannten Energieträgern ist Kohle weltweit vorhanden und was wichtiger ist, wir haben sie im eigenen Land. Damit ist zumindest eine gewisse Verfügbarkeit sichergestellt. Im Zusammenhang mit Kohle gebietet es aber auch so ehrlich zu sein, dass Kohlekraftwerke derzeit die größten CO2-Emittenten sind.

Welche Übergangslösung wollen wir nun anstreben, wenn wir den Energiebedarf in Zukunft sicher decken wollen unter Berücksichtigung der gesetzten Klimaschutzziele. Verkürzt gesagt ist die Wahl zwischen Kohle- oder Atomkraftwerken die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Zu Atomkraftwerken habe ich eingangs bereits alles gesagt, diese Option stellt sich für uns nicht.
Wenn wir nun über Kohlekraftwerke sprechen, sollten wir so ehrlich sein und feststellen, dass wir um den Einsatz von Kohlekraftwerken nicht umhin kommen. Bereits heute machen Braun- und Steinkohlekraftwerke rund 50 % der Stromgewinnung aus. Diesen Bedarf können wir auch nicht mit Gaskraftwerken decken, denn der Bedarf an Gas wäre unerschwinglich hoch. Daher bleibt nur die Möglichkeit auf Kohlekraftwerke zu setzen. Natürlich sind sie nicht die sauberste Energieform, aber wenn es uns gelingt, die veralteten Großkraftwerke mit neueren zu ersetzen, erreichen wir auch eine Verbesserung der CO2-Bilanz.

Bei der Stromerzeugung ist der massive Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung eine der wichtigsten Maßnahme, da dies die höchste Energieeffizienz aufweist, die wir derzeit erreichen können. Daher muss die Abwärme nutzbar sein. Dabei bieten sich zum Beispiel Standorte in der Nähe der chemischen Industrie an, die oft große Mengen Prozesswärme benötigt. Dies und die vorhandene Infrastruktur sprechen in unserem Fall für den Standort Brunsbüttel. Dieses muss bei der Unternehmensansiedlungspolitik für Schleswig-Holstein eine Rolle spielen.
Wenn wir über Standorte für Kohlekraftwerke in Schleswig-Holstein sprechen, dürfen wir dies nicht allein auf Schleswig-Holstein beziehen, dies müssen wir in einem bundesweiten energiepolitischen Zusammenhang sehen. Hier können wir nicht so tun, als ob Schleswig-Holstein eine energiepolitische Insel ist.

Ebenso wie in anderen Bereichen wird es aber auch bei Kohlekraftwerken im Laufe der Jahre technische Verbesserungen geben hinsichtlich der CO2-Emissionen. Zu den Schwerpunktthemen gehört insbesondere die Abscheidung und Speicherung von CO2 bei Kohlekraftwerken. Nur so kann Kohlekraft zum Energiemix beitragen. Was aber auch deutlich werden muss, ist die Tatsache, dass Kohlekraftwerke nur eine Übergangslösung sein dürfen. Daher sollte man bereits jetzt einen Kohlekonsens anstreben, der verbindliche aussagen trifft, wann das letzte Kohlekraftwerk abschaltet wird. Wenn wir wissen, dass die Kohlenutzung beispielsweise in 30 Jahren vorbei ist, dann hätten wir den nötigen Handlungsdruck, die Erneuerbaren Energien wirklich nachhaltig und umfassend zu fördern. Das Beispiel Atomkonsens macht es jetzt schon deutlich und beim mittelfristigen Kohleausstieg sollten wir von den Problemen des Atomkonsens lernen. In diesem Sinne ist auch unser Antrag formuliert, für den ich um Zustimmung bitte.

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