Rede · 21.02.2002 NPD-Verbotsverfahren

Es irrt der Mensch solang er strebt. Das gilt natürlich auch für Politikerinnen und Politiker. Wir begehen wie alle anderen Menschen auch gelegentlich mal Irrtümer. Die Bean­tragung des NPD-Verbots war so ein Fehler.

Der SSW ist aus verschiedenen Gründen von vornherein gegen ein Parteienverbot der NPD gewe­sen. Wir meinen, dass dieses der falsche Weg ist, sich mit dem Rechtsextremismus ausein­ander zu setzen. Das NPD-Verbot ist eine schnelle - eine vorschnelle - Reaktion auf die öffentliche Erre­gung über den Rechtsextremismus nach dem Bombenanschlag in Düsseldorf im Sommer 2000 gewesen. Der Verbotsantrag war und ist mit anderen Worten Ausdruck eines politischen Aktio­nismus, der zeigen will, dass man gegen rechts vorgeht. Wirklich Probleme lösen wird er nicht.

Wir halten daran fest, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtem Gedankengut eine längerfristig wirksamere Vorbeugung ist als das Verbot einer Partei. Die NPD hat den Kampf um die Köpfe ausgerufen, der wird auch nach einem Verbot auf anderen Wegen fortgesetzt werden. Selbst­ver­ständlich sollen wir uns nicht auf die Spielregeln der Rechten einlassen. Aber es ist naiv zu glauben, dass wir uns dem vollkommen entziehen können, in dem wir ausschließlich auf den "Aufstand der Anständigen" setzen. Es reicht nicht aus zu sagen wir sind die Anständigen und die Rechten sind die Unanständigen - auch wenn das nicht falsch ist. Wir müssen aber auch darum kämpfen, jene nicht rechtsextremistischen Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, die für rechte Parolen und fremdenfeindliches Denken empfänglich sind.

Man kann durchaus gegen die rechten Argumente angehen, ohne die NPD als politischen Kontra­henten zu akzeptieren und legitimieren. Es ist ja so, dass wir nicht anständiger sind, weil wir von Geburt aus die besseren Menschen sind, sondern gerade weil wir die besseren Argumente und Werte haben. Eine solche Vorgehensweise erfordert, das die Demokraten zusammen­stehen, wie sie es in diesem Hause schon einmal getan haben. Wir meinen, dass dieses der bessere Weg ist -besser, als ein Verbot zu beantragen, das auf tönernen Füßen steht.

Die NPD-Verbotsanträge sind aber nicht nur ein grundsätzliches Problem, wie wir jetzt feststellen mussten. Seit dem bekannt wurde, dass die Verbotsanträge auf Aussagen von V-Leuten und Poli­zei­beamten zurückgreifen, die in der NPD mitarbeiten, ist der Erfolg der Anträge noch fraglicher. Die rationale Konsequenz aus diesem Fehler wäre normaler­weise, dass man versucht, ihn so weit wie möglich wieder gut zu machen und das Ziel auf anderen Wegen mit anderen Mitteln zu erreichen. Pragmatisch gesehen müssten man jetzt die Verbotsanträge zurück­ziehen und einen ande­ren Weg benennen, wie man Rechtsextremismus und Fremden­feindlichkeit in der NPD zu­leibe rücken will.

Selbst wer für ein NPD-Verbot ist, müsste jetzt für eine Rücknahme der bestehenden Anträge und das anschlie­ßende Ein­rei­chen neuer, wasserdichter Anträge eintreten. Wenn es wirklich so ist, dass das Verbot auch ohne die Aus­sagen der V-Leute Stand hält, dann sollte man im Rahmen einer Überarbeitung auf diese Argumente verzichten. Noch schlimmer als der Triumph der NPD beim Zurück­ziehen der bestehenden Anträge wäre es doch, wenn die NPD am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht obsiegt.

Aber leider wird Politik nicht immer von zweckrationalen Überlegungen bestimmt. Oder anders: Leider wird Politik zu häufig von sachfremden Zwecken dominiert. Da spielen parteitaktische Erwä­­gungen auf einmal eine genau so gewichtige Rolle wie die Bekämpfung der Rechten. Offen­sichtliche Fehler werden nicht eingestanden, um nicht die Zustimmung im Wahlvolk zu ver­lie­ren. Aus lauter Angst um den Ausgang der nächsten Wahl wird eisern am falschen Weg fest­gehalten, statt offen die Fehler einzugestehen.

Es wird im Gegenteil noch zum Angriff auf jene geblasen, die in Erwägung ziehen, aus den Feh­lern zu lernen. Es ist eine ungeheuerliche Frechheit, wenn SPD-Politiker im Rückgriff auf die Geschichte in diesem Zusammenhang darauf verweisen, bürgerliche Parteien hätten schon einmal Nazis den Weg geebnet. Es wird unterstellt, dass Verbotsskeptiker und -gegner eine Wieder­holung der Geschichte in Kauf nehmen.

Man kann zwar aus der Geschichte einiges lernen - dazu gehört aber vor allem auch, dass man nicht falsche Parallelen ziehen sollte. Dieses hat Herr Stiegler aber getan, als er auf die Mitschuld der bürgerlichen Parteien an der Naziherrschaft verwies und dieses haben viele andere auch, wenn sie in ihrem Eifer für die wehrhafte Demokratie die Wei­marer Republik einfach gleichsetzen mit der Bundesrepublik heute. Wir können uns ja über die Mittel streiten. Die Zielsetzung, die Demo­kratie zu verteidigen, kann man aber keiner der beteiligten demokratischen Parteien absprechen.

Das Unvermögen, die Irrtümer in Verbindung mit dem NPD-Verbotsantrag anzuerkennen, hat aber leider auch zur Folge, dass andere Probleme ebenfalls nicht ausreichend hinterfragt werden. Denn in Zusammenhang mit den NPD-Verbotsanträgen stellt sich jetzt auch natürlich die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit dem Verfassungsschutz. Hier liegt so manches im Argen, das ebenfalls nicht mit Blick auf kommende Wahlen verdrängt werden darf.

Bei den nahezu täglich neuen Skandalmeldungen über V-Leute und verdeckt ermittelnde Beamte in der NPD stellt sich vermutlich mittlerweile die halbe Republik die Frage: Was ist eigent­lich das Problem NPD, wie viel davon ist eigentlich ein Problem der Geheimdienste und Polizeibehörden und wie können wir die beiden wieder voneinander trennen, um wieder klar die wirkliche Gefährdung durch die NPD zu erkennen?

Dazu fällt mir in letzter Zeit häufig die Geschichte vom Mann ein, der steht und andauernd in die Hände klatscht. Als man ihn fragt, weshalb es das tut, antwortet er, „um die Elefanten zu ver­scheu­chen“. Als man ihm entgegenhält, dass aber doch gar keine Elefanten vorhanden sind, sagt er: „Na also, da siehst du“. Ich muss gestehen, dass diese Geschichte mich an den Verfas­sungs­­schutz erinnert. Schlim­mer noch: Es sieht fast schon so aus als ob der hände­klat­schende Staat auch noch Statisten angeheuert hat, um Elefanten zu mimen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich weiß, dass wirklich Probleme da sind. Die prügelnden Rechtsextremisten und die weite Verbreitung fremden­feindlicher Gedanken sind abso­lut real. Es stellt sich aber trotzdem die Frage, was von der 1 %-Partei NPD übrig bleibt, wenn ihr die finanzielle und intellektuelle Entwicklungshilfe des Staates entzogen wird. Ist sie dann wirk­lich noch die viele Auf­merk­samkeit wert, die man ihr mittlerweile verschafft hat?

Und es stellt sich natürlich auch die Frage wie das Verhältnis von Politik und Verfassungs­schutz aus­­sieht. Den parlamentarischen Kontrolleuren und den Dienstherren in den Ministerien ist an­scheinend nicht aufgefallen, dass die verschiedenen Verfassungsschutzämter seit Jahren die NPD ernäh­ren, und dass die Mitarbeiter verschiedener Behörden ohne voneinander zu wissen gemein­sam die Parteiarbeit der Nazis verrichten.

Wir fragen uns sehr ernsthaft, ob die offensichtlich nicht besonders wirkungsvollen Parla­men­ta­rischen Kontrollgremien mit ihrer Geheimniskrämerei und fehlenden Ressourcen wirklich der Weis­­heit letzter Schluss ist. Auch bei der Kontrolle der Geheimdienste lohnt sich das Nachdenken über Alternativen.

Sollte es trotz allem doch noch so sein, dass die Verfassungsschutzämter nicht nur von der NPD abgeschöpft wurden, dass die Behörden auf ihre vielen Mitarbeiter in der NPD noch Einfluss nehmen können, dann bitte ich noch um eines: Nutzen Sie bitte ihre Kontakte um dafür zu sorgen, dass in Zukunft keine Kundgebungen der NPD bei uns in Flensburg mehr stattfinden.

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