Rede · 18.11.2010 Offshore-Strategie, Sicherheit von Atomkraftwerken bei Laufzeitverlängerung, Kohlekraftwerke in Brunsbüttel, Auswirkungen des 11. Und 12. Änderungsgesetzes zum Atomgesetz auf Schleswig-Holstein

Die Groß-Demo in Berlin am 18. Sept. vor dem Reichstag - mit über 100.000 friedlichen Demonstranten - oder jüngst die Demo gegen den Castortransport nach Gorleben haben deutlich gemacht, dass der größte Teil der Bevölkerung gegen eine Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke ist. Dies ficht die Bundesregierung aber nicht an. Mit dem Beschluss vom 28. Okt. wurden die Laufzeiten der deutschen Atommeiler um durchschnittlich 12 Jahre verlängert. Damit hat die Bundesregierung bewusst gegen die breite Mehrheit der Bevölkerung gehandelt.

Den Energiekonzernen wurde mit der Laufzeitverlängerung ein Scheck in dreistelliger Milliardenhöhe von der Bundesregierung ausgestellt. Die Bevölkerung bekommt dafür 4 bis 5 tausend Tonnen hochradioaktiven Atommüll mehr. Die Frage, wo der verstrahlte Müll hin soll, ist aber bei weitem nicht geklärt. Ein Endlager gibt es derzeit nicht. Die Konzerne streichen satte Gewinne ein und das Risiko trägt die Allgemeinheit.
Schmackhaft wird die ganze Geschichte auch nicht dadurch, dass mit der Laufzeitverlängerung eine Atomsteuer kommen soll. Ich sage: Dies ist unabhängig voneinander zu betrachten. Wir fordern den Atomausstieg und die Atomsteuer. Für uns ist eine solche Steuer unabhängig von der Laufzeitverlängerung zu betrachten. Mit einer solchen Steuer würden die Atomkonzerne endlich teilweise zur Kasse gebeten, für die Kosten, die sie verursachen. Zum Beispiel für Sanierung der Asse oder für die Erkundung nach einem Endlager. Eine solche Steuer hätte auch für Schleswig-Holstein einen finanziellen Effekt in Höhe von rund 200 Mio. Euro, wenn eine Beteiligung des Landes an der Brennelementesteuer durchgesetzt werden kann.

Der vorliegende Bericht der Landesregierung macht deutlich, dass von Seiten des zuständigen Ministeriums seit 2002, also seit in Kraft treten des Atomausstiegsgesetzes, die Personalausstattung in der Atomaufsicht reduziert wurde. Mit der Laufzeitverlängerung – und angesichts der gesammelten Erfahrungen mit unseren Pannenmeilern – stellt sich die Frage nach der Personalausstattung neu. Daher ist es richtig, die Personalausstattung der Atomaufsichtsbehörde an die Laufzeitverlängerung und an den Sanierungs- beziehungsweise Nachrüstungsbedarf der zu beaufsichtigenden Atomkraftwerke anzupassen. Die erforderliche Überwachung der Atomkraftwerke durch die Atomaufsichtsbehörde dient der allgemeinen Sicherheit für Mensch und Natur. Krümmel und Brunsbüttel haben immer wieder gezeigt, dass die Arbeit der Atomaufsichtsbehörde unerlässlich ist. Daher fordern wir für die Überwachung der Atomkraftwerke eine kostendeckende Gebühr von den Betreibern. Nur so halten wir die Kompetenz bei der Atomaufsichtsbehörde auch künftig aufrecht. Die Laufzeitverlängerung ist eine Risiko-Verlängerung. Daher ist der Sicherheitsaspekt im Zuge der Laufzeitverlängerung mehr als angebracht. Dies wird gerade an den alten AKW deutlich. Schleswig-Holstein macht mit den Pannenmeilern diesbezüglich seine eigenen negativen Erfahrungen. Daher ist niemandem zu erklären, dass für diese Atomkraftwerke eine Laufzeitverlängerung vorgesehen ist.

Atomenergie ist keine Brückentechnologie, sondern eine energiepolitische Geisterfahrt. Mit der Laufzeitverlängerung wird der Ausbau der Erneuerbaren Energien nur gebremst. Am Beispiel Großbritanniens wird dies deutlich. Dort hat der Energiekonzern Eon darauf gedrängt, dass Strom aus Atomkraftwerken Vorrang hat vor dem aus Windkraftanlagen und damit sind Erneuerbare Energien nicht mehr rentabel. Aber auch im Bereich Erforschung und Weiterentwicklung der Erneuerbaren Energien wird durch die Laufzeitverlängerung der Druck vom Kessel genommen.

Der Versuch der Bundesregierung, den Bundesrat in bei der Laufzeitverlängerung, zu umgehen fügt sich in das Bild ein, das entstanden ist, als bekannt wurde, dass es zwischen den vier großen Energiekonzernen und der Bundesregierung einen Geheimvertrag gibt. Mit Tricksereien und Gemauschel soll die Laufzeitverlängerung ohne die Beteiligung der Länder durchgedrückt werden.
Nach unserer Auffassung ist der Bundesrat zu beteiligen. So war bereits das ursprüngliche Atomausstiegsgesetz zustimmungspflichtig. Jedoch hat der Bundesrat mehrheitlich auf sein Einspruchsrecht verzichtet – was juristisch als Zustimmung zu werten war. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Länderkammer auch bei einer Laufzeitverlängerung zu beteiligen ist, zumal es sich um eine wesentliche, vollzugsfähige und vollzugsbedürftige Änderung des Atomrechts handelt.
Doch wie gesagt, der Bundesrat wird außen vor gelassen. Daher fordern wir die Landesregierung auf, handeln sie im Sinne der Bevölkerungsmehrheit und stimmen sie für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses.

Ebenso wie die Atomenergie gehört auch die Kohlekraft zu den Dinosauriern der Energieversorger. Gerade Kohlekraftwerke sind unter den Energieproduzenten die Klimakiller Nr. 1. Daher ist Kohle auch keine Brückentechnologie, sondern ein Auslaufmodell.
Wie bei der Verlängerung der Atomlaufzeit gilt auch für Kohlekraft: Jede Verlängerung oder jeder Neubau von Kohlekraftwerken wird den Ausbau der Erneuerbaren Energien verhindern. Angesichts der klimapolitischen Herausforderungen vor denen wir stehen, ist jeder Neubau von Kohlekraftwerken eine Katastrophe.
Die CCS-Technologie ist dabei auch keine Lösung. Im Gegenteil. Das CO2 bleibt in der Umwelt und kein Mensch kann heute sagen, ob diese potenziell giftige Substanz über Tausende von Jahren von Mensch, Tier und Klima ferngehalten werden kann. CCS verlängert die Laufzeit der Kohlekraft und legitimiert den Bau neuer Kohlekraftwerke, weil diese ja angeblich sauber wären. CCS verschlingt selbst erhebliche Energiemengen, dafür muss dann deutlich mehr Kohle verbrannt werden. CCS ist extrem teuer und bindet Fördergelder, die in den Aufbau der wirklich CO2-freien Energieerzeugung fließen sollten. Und an Endlagerstandorten verhindert CCS den Ausbau regenerativer Energien, weil Bohrungen für Erdwärme, Druckluftspeicher für die Windenergie oder Erdwärmespeicher denselben Untergrund benötigen. Kurz: CCS hat nichts mit nachhaltigem Klimaschutz zu tun. Diese Technologie soll dafür sorgen, dass die Energiekonzerne so lange wie möglich mit der Kohleverstromung weiter machen können. Dass dabei die Gesundheit von Mensch und Natur aufs Spiel gesetzt wird, ist einfach nur zynisch.
Daher ist es umso bedauernswerter, dass die Landesregierung es nicht vermocht hat, auf ihre Parteikollegen in Berlin dahingehend Einfluss zu nehmen, dass zumindest eine Länderklausel im vorliegenden CCS-Gesetzentwurf verankert wurde. Viel Zeit, um den vorliegenden Entwurf zu verändern, bleibt nicht mehr. Bisher versagt die Landesregierung hier auf der ganzen Linie.

Um die Herausforderungen der Zukunft meistern zu können, müssen wir von den fossilen Energieträgern weg kommen. Langfristig muss die Energieversorgung komplett aus regenerativen Energien bestehen.
Die Deckelung des Stromverbrauchs aus regenerativen Energien - aus Wind, Wasser, Sonne und Biomasse – ist die Herausforderung der Zukunft. Hierfür ist es notwendig, das Stromnetz, das heute noch zentral ausgerichtet ist, umzustrukturieren und so umzubauen, dass die dezentralen Energieträger erschlossen werden können und der Strom eingespeist und weitergeleitet werden kann. Erzeugung, Verteilung und Verbrauch werden somit zu einer dezentralen Versorgungseinheit.
Für Schleswig-Holstein ist insbesondere die Windenergie von maßgeblicher Bedeutung. Schleswig-Holstein ist ein Windland. Wir haben das Know-how und unsere Wirtschaft wird weiter davon profitieren. Aber wir müssen erkennen, dass wir auf diesem Sektor bereits Boden verloren haben. Hier muss gegengesteuert werden. Mit dem LEP und der Ausweitung von Eignungsflächen haben wir einen ersten Schritt unternommen. Und das ist gut so.

Aber gerade die Produktion von Windstrom im Offshorebereich birgt enorme Potentiale. Damit können wir es schaffen, Lieferant von Strom aus regenerativen Energieformen zu werden, sobald die Offshore-Windparks den Strom produzieren und dieser entsprechend transportiert wird.
Der von der Netzagentur „windcomm schleswig-holstein“ vorgelegte Strategieplan, mit seinen entsprechenden Handlungsempfehlungen ist ein hervorragender Leitfaden für die Entwicklung und Planung der Offshore-Windenergie.
Daraus geht unter anderem hervor, dass der Offshore-Windenergie neben der energiepolitischen Bedeutung auch eine enorme wirtschaftliche Bedeutung zuzurechnen ist. Neben den bereits bestehenden rund 7.000 Arbeitsplätzen in der Windbranche wird davon ausgegangen, dass durch die Offshore-Windparks weitere 1.000 Arbeitsplätze entstehen. Dies erfordert, dass der Arbeitsmarkt diese Herausforderung annehmen kann. Forderungen der Windbranche an den akademischen Aus- und Weiterbildungsbereich sowie die Weiterbildungsangebote für die Offshore-Windenergie sind maßgebliche Voraussetzungen für den Erfolg. Offshore-Windenergie darf nicht am Fachkräftemangel scheitern.
Einsichtig hat sich die Landesregierung bereits hinsichtlich der Westküstenhäfen gezeigt. Durch die Analysen von windcomm ist deutlich geworden, dass Brunsbüttel, Husum, Büsum, Dagebüll und die Sylter Häfen eine neue Bedeutung in Bezug auf die Offshore-Windenergie bekommen. Für diese Erkenntnis möchte ich mich bei Herrn de Jager ausdrücklich bedanken, denn gerade was den Husumer Hafen angeht, wurde dieser seinerzeit sträflich von der Landesregierung vernachlässigt – um nicht zu sagen allein gelassen – als es um seine Straßenanbindung ging. Dieses Potential muss aber in die Strategie eingebunden werden, zumal am Standort Husum derzeit noch einige Windkraftunternehmen beheimatet sind. Diese Unternehmen wollen wir dort halten!

Ausdrücklich zu begrüßen, ist die getroffene Einigung mit den Umweltverbänden über den Verlauf der Kabeltrasse durch das Wattenmeer. Der Kompromiss ist notwendig, um die Anbindung der Offshore-Windparks zu ermöglichen. Aber wir wissen, dass das Problem damit längst nicht gelöst ist. Denn selbst wenn wir den Strom an Land transportiert bekommen, haben wir dort immer noch das Problem der geringen Netzkapazität. Hier muss endlich eine Lösung gefunden werden, die im Sinne der Anwohner ist – Sprich Erdkabel. Somit fällt uns die ganze Offshore-Strategie wieder vor die Füße.

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