Rede · 19.05.2021 Pflegende brauchen eine starke Stimme – und zwar jetzt erst recht

„Vor allem die Frage nach einer starken Stimme für die Pflege ist aus meiner Sicht zentral. Denn die brauchen wir, um die Fachkräftebasis und damit die Versorgung der Bevölkerung zu sichern.“

Christian Dirschauer zu TOP 12+33 - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Auflösung der Pflegeberufekammer Schleswig-Holstein, Beiträge für die Pflegeberufekammer übernehmen (Drs. 19/2987 und 19/2967)

Keine Frage: Die Entscheidung der Pflegekräfte, ihre Standesvertretung aufzulösen, war mit fast 92 Prozent überdeutlich. Diesen Wunsch akzeptieren wir und wir erwarten, dass er nun auch ohne Wenn und Aber umgesetzt wird. Wir vom SSW waren bekanntlich noch nie die großen Befürworter des Kammergedankens. Trotzdem haben wir die Entscheidung für die Errichtung der Pflegeberufekammer im Jahr 2015 mitgetragen. Und zwar aus einem einfachen, aber sehr wichtigen Grund: Denn die Pflege hatte und hat nach unserer Auffassung nicht den Stellenwert, der ihr zusteht. 

Pflegende bekommen längst nicht immer den Respekt und die Anerkennung, die sie verdienen. Nach über einem Jahr unter Pandemiebedingungen wird das wohl kaum jemand leugnen. Egal ob in der Altenpflege oder in den Krankenhäusern: Viele Menschen, die hier arbeiten, leisten Großartiges. Gleichzeitig haben viele von ihnen aber mit schwierigen Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Die Arbeitsverdichtung ist nicht erst seit Corona spürbar. Und dem emotionalen Stress und den vielen Überstunden steht häufig ein viel zu geringer Lohn gegenüber. Ich will nicht missverstanden werden: Der vorliegende Gesetzentwurf ist natürlich folgerichtig. Aber nicht zuletzt mit Blick auf die zukünftigen Herausforderungen im Pflegebereich sehen wir die Auflösung der Kammer mit Sorge. 

Man mag darüber streiten, ob die Pflegeberufekammer überhaupt die Chance bekommen hat, ihren Wert unter Beweis zu stellen. Sie hat erst im April 2018 ihre Arbeit aufgenommen. Und der Aufbau entsprechender Strukturen, die rechtliche Beratung der Mitglieder oder die Erarbeitung einer Berufsordnung sind natürlich langfristige Projekte. Hinzu kommt, dass von Beginn an kaum über Inhalte, sondern vielmehr über die Frage von Zwang oder Freiwilligkeit und vor allem über Beiträge diskutiert wurde. Leider hat daran auch unsere Initiative, diese Beiträge zeitweilig auszusetzen, nichts mehr ändern können. 

Doch wie gesagt: Mit dem Mitgliedervotum ist das Schicksal der Kammer besiegelt. Dem Gesetzentwurf nach muss sie bis Jahresende aufgelöst werden. Diesen Wunsch der Pflegenden tragen wir selbstverständlich mit. Aber mit der Abwicklung allein ist es nicht getan. Die Entscheidung der Kammermitglieder wirft für uns eine Reihe neuer Fragen auf. Einige, wie etwa nach dem Zeitplan der Abwicklung, haben sich mittlerweile erübrigt. Aber was wird zum Beispiel aus den Beschäftigten der Kammer? Oder wie lassen sich weitere finanzielle Belastungen für die Mitglieder vermeiden? Und wie soll in Zukunft sichergestellt werden, dass die Interessen der Pflegenden nicht nur gehört, sondern auch berücksichtigt werden? Hier darf die Landesregierung gerne noch etwas konkreter werden.

Als Körperschaft des öffentlichen Rechts hat die Kammer den knapp 30 Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz geboten. Im Rahmen der Auflösung sehen wir daher durchaus eine gewisse Verantwortung des Landes. Es ist schön und gut, dass diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Bewerberinnen und Bewerbern aus der Landesverwaltung gleichgestellt werden sollen. Aber für eine echte berufliche Perspektive, und im Sinne beider Seiten, würden wir uns wünschen, dass auch das Fachwissen dieser Menschen eine Rolle spielt. Es wäre schlicht unklug, wenn das Land auf diese Stärken verzichten würde. 

Vor allem die Frage nach einer starken Stimme für die Pflege ist aus meiner Sicht zentral. Denn die brauchen wir, um die Fachkräftebasis und damit die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Derzeit denken über 30 Prozent der Pflegekräfte darüber nach, das Handtuch zu werfen. Dabei herrscht längst ein akuter Personalmangel. Und die Verweildauer in Pflegejobs ist unverändert gering. Ohne eine gut organisierte und schlagkräftige Instanz, die sich unabhängig und fachkundig für die Pflege einsetzt, wird hier wohl kaum die Trendwende gelingen. Nach unserer Auffassung sollten wir uns daher dringend auch Gedanken darüber machen, wie wir hier unterstützen können.

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