Rede · 07.05.2009 Vorzeitige Beendigung der 16. Wahlperiode


Es war eine bewegte 16. Wahlperiode, die wir heute gern beenden würden. Am Anfang stand der hinterhältige Sturz der Ministerpräsidentin durch einen politischen „Heckenschützen“, der sich bis heute in diesem Saal versteckt hält. Es gibt viele Mutmaßungen über die Motive dieser Tat: neben persönlichen Beweggründen wurde auch über die Furcht vor der Instabilität einer sehr knappen Mehrheit spekuliert. Letztlich wissen wir es nicht. Aber was wir mit Sicherheit wissen, ist: Das, was stattdessen folgte, ist alles andere als handlungsfähig und stabil.

Diese Landesregierung hat erstaunlich wenig auf die Reihe bekommen. Die glühenden Anhänger einer Großen Koalition, die 2005 von großen Taten träumten und deshalb nicht zuletzt auf den SSW einprügelten, wurden enttäuscht. Zugegeben, die Schulreform war ein Schritt nach vorn. Ich gestehe auch gerne zu, dass es seit 2005 auch eine ganze Reihe kleinerer Fortschritte gegeben hat, allen voran die Intensivierung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit mit Dänemark und das Projekt für eine größere Selbstverwaltung in der Justiz. Und das Verhältnis Schleswig-Holsteins zum Vatikan war seit der Reformation nicht mehr so herzlich wie heute. Aber der größte Teil der letzten vier Jahre ist vergeudet worden. Das Leuchtturmprojekt des Scheiterns ist die Verwaltungsstrukturreform, aber die Liste der verpassten Chancen ließe sich beliebig lang fortsetzen. Die Große Koalition hat keine großen Taten vollbracht und keine schwierigen Reformen bewältigt, im Gegenteil. Das Gesamtwerk dieser Regierung trägt den Titel „Die Unvollendete“.

Zu diesem Bild passt, dass der Chef der Regierung sich jahrelang damit begnügt hat, als Landesvater über Dörfer und Marktplätze zu tingeln, und Körperkontakt zum Bürger mit bürgernaher Politik verwechselte. Das hat ihm ja auch lange hohe Popularitätswerte gesichert. Es fiel gar nicht auf, dass Peter Harry Carstensen zu wichtigen landespolitischen Themen schwieg und sich im Gegensatz zu seinen CDU-Ministerpräsidenten-Kollegen kaum auf Bundesebene eingebracht hat. Jetzt, wo die Krise entschlossenes politisches Handeln fordert, hat der Ministerpräsident zum Anfassen aber seine Faszination eingebüßt. Nun wird immer deutlicher, dass wir einen Regierungschef haben, der auf Volksfesten zur Hochform aufläuft aber politisch versagt. Als das Drama um die HSH-Nordbank sich entfaltete, war Peter Harry Carstensen monatelang untergetaucht und schob seinen Finanzminister vor. Aber irgendwann ließ sich nicht mehr verstecken, dass der Ministerpräsident sich wegduckt, wenn es ernst wird. – Und kein Mensch glaubt, dass Schuld an der Misere nur ein Regierungssprecher war, der uns die herausragenden Qualitäten Carstensens beim Krisenmanagement verschwieg.

Wenn die Große Koalition trotz dieser lähmenden Bilanz nicht zuerst mit politischer Lethargie verbunden wird, dann liegt es – neben der Mobilität des Ministerpräsidenten - daran, dass andere hervortretende Persönlichkeiten des Bündnisses erfolgreich auf sich aufmerksam machen konnten. Immer wieder wurden die Bürgerinnen und Bürger Zeugen von unfruchtbaren Streitigkeiten um zentrale Vorhaben: Verwaltungsreform, Schülerbeförderungsgebühren, Entbürokratisierung, kostenfreie Kita, Beamtenbesoldung, HSH-Nordbank, Personalabbau, Schuldenbremse. All diese wichtigen Themen und viele mehr stehen in Schleswig-Holstein vor allem für eines: eine Koalition, die sich nicht einig werden kann und diese Uneinigkeit wechselseitig durch mal mehr mal weniger persönliche Angriffe auf den Koalitionspartner zu Markte trägt. Statt eines konstruktiven Burgfriedens der Großen haben wir in den letzten vier Jahren einen schwelenden Nachbarschaftsstreit erlebt, der immer wieder öffentlich ausgetragen wurde. Und seit vielen Monaten erleben wir nun einen unversöhnlichen Dauerkonflikt zwischen der CDU und der SPD, bei dem sich die Partner mit allem bewerfen und beschießen, was die politische Waffenkammer hergibt.

Jeder Unternehmensvorstand und wahrscheinlich auch die meisten CDU-Ortsverbände hätten in einer solchen Lage längst einen Mediator geholt, der zwischen den Parteien eine halbwegs vernünftige Kommunikationsebene wiederherstellt. Die Regierung hat es aber geschafft, ohne Hilfe weiterzumachen, weil der Chef selbst seine Aufgabe mehr als Moderator denn als Entscheider gesehen hat. Die Leistung von Peter Harry Carstensen besteht darin, diesen chaotischen Laden vier Jahre lang zusammen gehalten zu haben. Aber mittlerweile kann sich niemand mehr der Illusion hingeben, dass die beiden Parteien wieder friedvoll miteinander leben, geschweige denn gemeinsam Projekte durchführen können. Nicht einmal die Beteiligten selbst glauben noch daran; das hat der Ministerpräsident ja nun deutlich zu verstehen gegeben, als er am 24. April Neuwahlen offerierte. Mit anderen Worten: Diese Beziehung ist in einer Phase, in der jeder Therapeut schreiend davonlaufen würde, weil nicht einmal mehr eine geordnete Trennung möglich ist. Sie ist am Ende.

Für das Land Schleswig-Holstein und seine Menschen wäre ein vorzeitiges Ende dieser Koalition mit Sicherheit kein Verlust, sondern der Auftakt zu einem politischen Frühling. Peter Harry Carstensen ist aber nicht bereit, daraus die Konsequenz zu ziehen und das Handtuch zu werfen. Deshalb muss das Parlament Verantwortung für das Land übernehmen und diese unselige Wahlperiode endlich beenden. Wir appellieren nochmals an die Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD: Macht endlich Schluss! Wer an dieser Koalition festhält, der setzt die Partei oder persönliche Interessen über die des Landes und der schadet dem ohnehin ramponierten Ansehen des Parlaments. Und, das sage ich besonders in Richtung der SPD: Wer weiterhin im Brustton der Überzeugung öffentlich markante Meinungen verkündet aber im Landtag immer wieder für das Gegenteil stimmt, der schadet nicht nur dem Ansehen der Landespolitik, sondern auch der Glaubwürdigkeit der eigenen Partei.

Der SSW unterstützt jede Bemühung um Neuwahlen – solange sie nicht am 27. September stattfinden sollen. Die Zusammenlegung der Landtagswahl mit der Bundestagswahl würde dazu führen, dass die Auseinandersetzung um landespolitische Probleme von der Bundespolitik verdrängt wird. Bei der kommenden Landtagswahl geht es aber für Schleswig-Holstein ums Ganze. Die Bürgerinnen und Bürger müssen entscheiden, wer die großen Probleme lösen soll, die Peter Harry Carstensen & Co. gerade anbrennen lassen. Ich kann nachvollziehen, dass der eine oder andere glaubt, dass der aktuelle Rückenwind für Angela Merkel und Guido Westerwelle auch in Schleswig-Holstein mehr für die eigene Partei bewegen kann, als der Sturm um Peter Harry Carstensen oder die rhetorischen Fallböen von Wolfgang Kubicki. Aber Schleswig-Holstein muss eigene Antworten auf die Wirtschaftskrise, auf die steigende Arbeitslosigkeit und auf den Absturz der HSH Nordbank finden. Schleswig-Holstein muss selbst sehen, wie wir die Schulden abbauen und die Bildung aufbauen. Darum muss es bei der Landtagswahl gehen. Der SSW wird daher den Antrag der Grünen unterstützen und die Änderung der FDP ablehnen.

Aber natürlich kommen wir letztlich nicht umhin, dass wir heute eine Phantomdebatte führen. Die Aussage des Ministerpräsidenten zu vorzeitigen Neuwahlen war nur ein ungeschickter, naiver Versuch, von den eigenen Problemen in der CDU abzulenken. Die Konsequenzen aus dem Scheitern seiner Regierung mag er nicht ziehen. Also eskaliert der Kleinkrieg weiter: Angesichts der nahenden Wahlen gönnen sich die betreffenden Herren weniger denn je das Schwarze unter den Fingernägeln. Die SPD und die CDU werden sich bis zum 9. Mai 2010 gegenseitig provozieren, sich läutern, sich wieder bis aufs Blut reizen, sich wieder zusammenreißen und so weiter. Die Spirale dreht sich abwärts und die Bürger werden immer mehr fragen, wozu sie eigentlich eine Landesregierung brauchen, wenn diese keine Politik machen kann.

Man muss kein Politologe sein, um festzustellen, dass das Vertrauen in die Integrität der Landespolitik in den letzten Wochen auf dem tiefsten Punkt seit Jahrzehnten angekommen sein dürfte. Dazu hat das CDU-SPD-Bündnis nach besten Kräften beigetragen. Letztlich hat der Heckenschütze vom 17. März 2005 nicht nur auf Heide Simonis gezielt, sondern auch die demokratische Kultur in Schleswig-Holstein angeschossen. Wir brauchen einen Neuanfang – jetzt!

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