Rede · 15.10.2025 Wir brauchen kluge Zukunftsinvestitionen

„Das Investitionspaket ist eine große Chance für Schleswig-Holstein – entscheidend wird nun sein, dass und wie die Mittel konkret verausgabt werden und dass auch faire Anteile sowohl bei den Minderheiten als auch insgesamt im nördlichen Landesteil ankommen. Hier sind auch die Kommunen in der Verantwortung, die den Großteil des Sondervermögens erhalten und umsetzen werden.“

Christian Dirschauer zu TOP 1+19 - Regierungserklärung & Kreditfinanziertes Sondervermögen des Bundes ausschließlich für zusätzliche Investitionen einsetzen (Drs. 20/3651)

Am Freitag hat die Landesregierung ihren Plan für die Verteilung der Mittel aus dem „Sondervermögen Infrastruktur“ vorgestellt. Ein Meilenstein und eine historische Chance für unser Land – wenn wir es nun richtig angehen. Denn diese Mittel eröffnen enorme Handlungsräume – und wecken ebenso große Erwartungen.

Über die nächsten zwölf Jahre wird Schleswig-Holstein rund 3,4 Milliarden Euro erhalten. Möglich gemacht durch den Bund, verteilt durch das Land, größtenteils umzusetzen von den Kommunen. Dies ist in der Tat das größte Investitionsprogramm in der Geschichte unseres Landes. Und als solches verdient es auch, dass wir es mit Realitätssinn und mit einem klaren Blick auf die Herausforderungen betrachten.
Dass ein solches Investitionspaket notwendig ist, steht außer Frage. Seit Jahren wiederholen wir alle denselben zentralen Satz: „Wir stehen vor einem massiven Investitionsstau.“ Alle Bereiche sind betroffen, von der Verkehrsinfrastruktur über die Krankenhäuser bis hin zur sozialen Daseinsvorsorge. Es ist daher richtig, dass das Land jetzt in die Zukunftsfähigkeit investiert.
Aber: Geld allein saniert keine Schule, modernisiert kein Krankenhaus und baut keinen Deich. Und es entfaltet auch noch nicht per se soziale Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Entscheidend ist nicht, was auf dem Papier steht – sondern was am Ende ganz konkret bei den Menschen im Alltag ankommt.

Der Ministerpräsident und die Finanzministerin haben – was den Landesteil des Paketes in Höhe von 1,3 Milliarden Euro angeht – ein ambitioniertes Investitionsprogramm vorgestellt. Infrastrukturausbau, schulischer Ganztagsausbau, energetische Sanierung, Sicherheit, Gesundheit, sozialer Zusammenhalt – alles Überschriften, die in ihrer Zielrichtung unbestritten richtig gewählt sind. Dazu das Versprechen des Ministerpräsidenten, dass all diese Mittel bis 2030 verbaut sein sollen. Daran wird die Landesregierung gemessen werden.  Denn entscheidend wird ja sein, dass diesen ambitionierten Vorhaben nun auch Taten folgen. Ich möchte im Folgenden gern einige Aspekte des Gesamtpaketes kommentieren:

Zunächst einmal möchte ich positiv hervorheben, dass gut zwei Drittel der Mittel (62,5%), rund 2,1 Milliarden Euro, direkt an die Kommunen gehen. Dort vor Ort wird entschieden, wie gut gesellschaftlicher Zusammenhalt, Teilhabe und Lebensqualität wirklich funktionieren. Dort, wo die Menschen leben, wo sie auf Bus und Bahn warten, wo ihre Kinder in sanierungsbedürftige Schule gehen oder in maroden Turnhallen Sport treiben – dort muss das Geld ankommen. Die pauschale Verteilung an die Kommunen schafft hier Planungssicherheit – dafür ein ehrliches Lob an die Landesregierung.

Aber – und das gehört zur Wahrheit dazu – damit endet die Verantwortung nicht. Das Land wie auch die Kommunen stehen jetzt vor einer riesigen Aufgabe: Projekte müssen geplant, abgestimmt, ausgeschrieben und gebaut werden. Und das in einer Zeit, in der es überall an Personal fehlt – in den Bauämtern, bei den Planungsbüros, bei den Handwerksbetrieben. Wer glaubt, dass man all das ganz sicher bis 2030 abwickelt – selbst wenn es „nur“ um den Landesanteil geht (1,3 Milliarden Euro) –, der lehnt sich mit einem solchen Versprechen (mal wieder) ganz schön weit aus dem Fenster.
Ich möchte daher noch einmal ganz nüchtern folgende Frage stellen: Sind wir in Schleswig-Holstein überhaupt personell in der Lage, das alles planmäßig umzusetzen? Ich denke da beispielsweise ganz konkret an die GMSH. Ich denke zudem an den Fachkräftemangel in Planung und Bau. Wenn wir es hier nicht schaffen, gegenzusteuern, dann wird ein Teil des Geldes liegenbleiben. Oder noch schlimmer: in Baukostensteigerungen oder Zinsen versickern, ohne dass am Ende ein spürbarer Mehrwert für die Menschen steht.
Ein weiterer Punkt: Die Verwaltung des Ganzen. Das Prinzip „Geld gegen Rechnung“, also eine möglichst unbürokratische Abwicklung, klingt erstmal gut – keine Frage. Aber bedeutet das in der Praxis auch, dass Träger, Vereine und kleinere Einrichtungen in Vorleistung gehen müssen? Das kann dann ein echtes Problem darstellen, denn nicht jeder Verein und auch nicht jeder Dorfladen hat das Polster, um erst einmal womöglich Hunderttausende Euro vorzustrecken in der Hoffnung, dass das Geld irgendwann zurückfließt. Im schlimmsten Fall kann das Existenzen kosten – oder aber eben dazu führen, dass Mittel nicht abgerufen werden. Wir brauchen also Fördermodelle, die nicht nur auf dem Papier funktionieren, sondern auch für die Menschen, die diese Maßnahmen praktisch umsetzen, machbar sind. Hier kommt es also auf die Verwaltungsvereinbarung an und wir hoffen, dass diese entsprechend praxisnah formuliert sein wird.

Ein weiterer Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die regionale Gerechtigkeit. Es darf nicht sein, dass sich das Investitionspaket in den Ballungsräumen konzentriert, während der strukturell benachteiligte Norden unseres Landes womöglich recht knapp ausgeht. Flensburg, Nordfriesland, die ganze Grenzregion – sie alle brauchen einen gerechten Anteil. Immerhin sind erste Nennungen auf der potenziellen Investitionsliste ja bereits im Gespräch: unter anderem eine zusätzliche direkte Bahnverbindung Kiel – Flensburg, Straßensanierungen im Kreis Schleswig-Flensburg sowie die Feuerwehrschule in Harrislee. Dies ist ein guter Auftakt, den wir sehr begrüßen. Letztendlich wird ja aber die finale Prioritätenliste entscheidend sein und diese werden wir uns dann ganz genau anschauen. Denn gerade, wenn wir über gesellschaftlichen Zusammenhalt sprechen, dann darf der nördliche ländliche Raum nicht wieder als Letzter drankommen. 
Und apropos „nicht drankommen“: Bei der Aufzählung der zu fördernden Häfen werden exemplarisch vier genannt – unsere Häfen im Norden fehlen jedoch. Ich hoffe sehr, dass das Wörtchen „beispielsweise“ hier keine Alibifunktion hat. Auch und gerade unsere nördlichen See- und Binnenhäfen sind systemrelevant – für die regionale Daseinsvorsorge und Wirtschaft, für den Klimaschutz, für den Tourismus. Das muss sich auch in der Förderpraxis widerspiegeln und auch das werden wir prüfen.

Erfreulich ist zudem, dass auch Klimaschutz und Klimaanpassung Teil des Pakets sind. Besonders die 30 Millionen Euro für den Küstenschutz an der Ostsee sind ein sinnvoller Schritt – gerade nach der Ostseesturmflut, die viele Menschen sehr hart getroffen hat. Gleichwohl möchte ich auch anmerken, dass Klimaanpassung nicht am Deich endet. Urbane Räume wie Flensburg, Lübeck oder Schleswig stehen vor Herausforderungen, die mit klassischen Deichbauprojekten nicht gelöst werden können. Auch hierfür braucht es vorausschauende und geeignete Maßnahmen, etwa mobile Schutzanlagen, Pumpwerke, technische Aufrüstung – kurz: Lösungen, die in den Städten funktionieren. Diese Fragen dürfen nicht unter den Tisch fallen, sonst fluten uns die Straßen, noch bevor der Meeresspiegel ernsthaft steigt. 
Insgesamt ist jeder Euro, der in den Küstenschutz sowie ja auch in den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz fließt, eine Investition in die Sicherheit unserer Gesellschaft – und damit ein Euro, der nicht nur gut, sondern absolut notwendig angelegt ist. Gleichzeitig leben wir in einer zunehmend instabilen geopolitischen Lage, die uns zwingt, unsere Vorsorgestrukturen neu zu denken – strategisch, langfristig und resilient.

Auch im Gesundheitsbereich ist der Handlungsbedarf seit Jahren bekannt. Dass mit dem Paket nun endlich auch Mittel für die Modernisierung unserer Krankenhäuser bereitgestellt werden, ist ein überfälliger Schritt in die richtige Richtung. Der Investitionsstau liegt bei über einer Milliarde Euro – eine Zahl, die für sich spricht. Wenn wir die medizinische Versorgung im Land sichern wollen, brauchen wir moderne, funktionierende Strukturen – nicht nur Lippenbekenntnisse. Und auch hier gilt nach wie vor: Wir brauchen eine gesicherte medizinische Grundversorgung auch im ländlichen Raum. Gesundheitsversorgung darf keine Frage der Postleitzahl sein. Dies muss bei der Investitionsstrategie berücksichtigt werden.

Gleichzeitig begrüßen wir, dass auch die soziale Infrastruktur einen wichtigen Bestandteil dieses Pakets ausmacht. Die geplanten Mittel für Frauenhäuser, Einrichtungen der Jugendarbeit sowie Wohnraum für Auszubildende und Studierende sind notwendig – und alles andere als ein „nice to have“. Sie bilden das Rückgrat eines sozialen Miteinanders und gehören ganz klar zur Grundversorgung eines funktionierenden Sozialstaates. Natürlich ist uns allen bewusst, dass selbst diese Summen lediglich einige Wassertropfen auf dem sprichwörtlichen, längst viel zu heißen Stein sind. Aber sie sind ein Anfang. 
Und ich betone es gern noch einmal: Investitionen in Gesundheit und soziale Infrastruktur sind keine bloßen Ausgabenposten. Sie sind kluge und vorausschauende Zukunftsinvestitionen – denn wer heute in funktionierende Versorgungsstrukturen, in Schutzräume, in Bildung und Teilhabe investiert, spart morgen immense Folgekosten. Hier ist also auch jeder Euro sehr gut angelegt.

Ich möchte nun noch auf einen für uns ganz zentralen Punkt zu sprechen kommen: Als SSW freuen wir uns wirklich sehr, dass unsere Forderung Gehör gefunden hat, dass auch die nationalen Minderheiten in diesem Paket Berücksichtigung finden mögen. Die zehn Millionen Euro für z. B. Schulen, Kindergärten und Gemeinschaftshäuser der Minderheiten sind ein wichtiges Zeichen. Vielerorts sind dringende Sanierungen nötig. Mit diesen zehn Millionen Euro wird dies zwar kaum zu stemmen sein – aber auch hier markiert diese Summe einen wichtigen Anfang.
Daher möchte ich einen Appell an unsere Kommunen richten: Wer mit zwei Dritteln des gesamten Pakets ausgestattet wird, der trägt dann auch eine besondere Verantwortung. Es muss sichergestellt werden, dass die Minderheiten einen fairen Anteil erhalten – unabhängig vom politischen Klima im jeweiligen Rathaus vor Ort. Dies ist eine Frage von Respekt und Teilhabe. Minderheitenrechte sind weder verhandelbar noch Gefälligkeiten – sie sind gelebte Verfassungswerte und Teil unseres demokratischen Selbstverständnisses.

Insgesamt will dieses Paket ja mehr sein als ein Verteilungstopf – es soll echte zusätzliche Investitionen ermöglichen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn damit keine ohnehin geplanten Maßnahmen finanziert, sondern tatsächlich neue Impulse gesetzt werden. Wir werden uns die Mittelverausgabung und Umsetzung entsprechend anschauen. 
Dieses Paket ist daher eine große Chance und ein Meilenstein. Es ist aber auch ein Prüfstein. Hier trifft viel Ambition auf viel Verantwortung. Die Richtung und die Schlagworte stimmen grundsätzlich. Der Rahmen ist da. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Und das wird kein Selbstläufer. Wir müssen die entsprechend notwendigen Planungs- und Baukapazitäten sicherstellen, die Verwaltungsverfahren möglichst unbürokratisch aufsetzen, die Kommunen mit- und in die Verantwortung nehmen – und am Ende das ganz Entscheidende: als Politik liefern! 
Nur dann kann dieses Programm das halten, was es verspricht: Ein Aufbruch und ein Mehrwert für Schleswig-Holstein, der ganz konkret bei den Menschen ankommt.

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