Rede · 09.09.2010 Fünf Jahre Hartz IV – eine Bilanz für Schleswig-Holstein

Das grundlegende Prinzip der Hartz IV-Gesetze, die Arbeitssuchenden zu aktivieren und dadurch zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen den Komponenten „Fordern“ und „Fördern“ zu kommen, wurde vom SSW ausdrücklich unterstützt. So wird der Hilfesuchende im Idealfall nicht nur beschäftigungsfähig erhalten, sondern auch weitergebildet und in seinen Fähigkeiten gestärkt. Dieser Ansatz nach skandinavischem Vorbild ist nach unserer Auffassung ebenso begrüßenswert, wie die erfolgte Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Mit der Einführung des „Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ am 1.1.2005 wurde dann aber deutlich, dass dieses zentrale Ziel verfehlt werden würde. Leider bestätigt auch der vorliegende Bericht der Landesregierung diesen Eindruck.

Die Realität sieht aus Sicht des SSW allerdings ganz anders aus, als im Bericht geschildert. Vor allem die Situation der Langzeitarbeitslosen ist eine andere: Denn in viel zu vielen Fällen wird ihnen nicht effektiv genug dabei geholfen, eine wirklich bedarfsdeckende Arbeit aufzunehmen und so den Austieg aus Hartz IV zu schaffen. Sie werden ganz einfach mit der Verantwortung für den Eingliederungserfolg allein gelassen.

Durch die Abschaffung der Zumutbarkeitsregeln werden die Hilfebedürftigen in vielen Fällen leider nur in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse vermittelt. Über die Erbringung der passiven Leistungen hinaus wird also nach wie vor zu wenig für sie getan. Zeit- und Leiharbeit haben nicht nur im vergangenen Jahr einen enormen Zuwachs verzeichnet. Auch der DGB hat diesen bedenklichen Trend kürzlich angemahnt. Die damit verbundenen Probleme dürften allen bekannt sein. Das Einkommen reicht meistens nicht aus, um den tatsächlichen Bedarf zu decken, und die Vermittelten bleiben Empfänger von Transferleistungen. Der SSW sieht daher die Landesregierung in der Pflicht, sich für bessere Vermittlungschancen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse einzusetzen.

Nicht zuletzt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Beginn dieses Jahres hat uns doch eindrucksvoll vor Augen geführt, wie notwendig Verbesserungen am System Hartz IV sind. Und neben den anzuhebenden Regelsätzen gibt es natürlich noch eine ganze Reihe weiterer Baustellen. Die Zahl der Hartz IV-Fälle vor den Sozialgerichten hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt und zeigt, dass noch sehr vieles Verbesserungswürdig ist. Auch der aktuelle Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten bestätigt diesen Eindruck und macht deutlich, wie viel in diesem Bereich getan werden muss. Denn die Zahl der bearbeiteten Petitionen hat sich völlig gegenläufig zu den im Bericht genannten Beschwerden entwickelt: Allein 1320 Eingaben, und damit weit mehr als ein Drittel aller bearbeiteten Fälle, gehen auf das SGB II zurück.

Doch anstatt die Vielzahl von Änderungsbedarfen am System Hartz IV und an anderen Regelungen und Bestimmungen der Arbeitsmarktpolitik tatsächlich darzulegen und zu begründen, berichtet die Landesregierung lieber über die „konstruktive“ und „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit zwischen Bundesagentur und kommunalen Trägern. Dabei wurde ja gerade eine Darlegung und Begründung im Berichtsantrag der Linken gefordert. Die Aussage, Schleswig-Holstein befinde sich bei der SGB II-Umsetzung auf einem guten Weg, kann der SSW jedenfalls nicht teilen.

Für uns ist klar, dass wir auch fünf Jahre nach der Einführung von Hartz IV noch sehr weit von einer wirklich ausgewogenen Kultur des Forderns und Förderns entfernt sind. Doch nur dieser Ansatz kann den Hilfesuchenden echte berufliche Chancen eröffnen. Bis wir den Menschen diese neuen Möglichkeiten aber tatsächlich auch in vollem Umfang bieten können, ist noch einiges zu tun: Vor allem der Eingliederungsprozess muss dringend systematisiert und die einzelnen Schritte nicht nur klar definiert, sondern auch verbindlich durchgeführt werden. Hierfür brauchen wir nicht zuletzt auch gut ausgebildete und motivierte Mitarbeiter in den Einrichtungen. Sie müssen die Möglichkeiten haben, sich umfassend fortzubilden, um die anspruchsvolle Vermittlungsarbeit erfolgreich auszuführen. Hier sind die Träger ganz besonders in der Pflicht.

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