Rede · 30.06.2011 Gedenkstättenarbeit in Schleswig-Holstein

Auf Einladung der Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten hielt Professor Jan Philipp Reemtsma vom Hamburger Institut für Sozialforschung Ende November 2003 in der Kieler Kunsthalle einen bedenkenswerten Vortrag unter der Überschrift „Wozu Gedenkstätten?“. Konkret regte Reemtsma an, sich eine Karte Europas anzugucken, in die die Lager der Nazis eingezeichnet sind. Auch, wer sich vorher nicht sonderlich detailliert mit der Geschichte des Nationalsozialismus befasst hat, wird dann erkennen, dass Deutschland Europa mit diesem System der Lager überzogen hat. „Wo immer wir leben“, sagte Reemtsma, „haben wir es nicht weit zu einem Lager oder einem, mehreren Nebenlagern“. Damit hat er meines Erachtens die Notwendigkeit von KZ-Gedenkstätten auf den Punkt gebracht.

In Schleswig-Holstein gibt es mit Ahrensbök, Husum-Schwesing, Kaltenkirchen und Ladelund vier Gedenkstätten im Sinne Reemtsmas. Darüber hinaus gibt es noch weitere Orte des Gedenkens an die Opfer des Dritten Reiches und der Auseinandersetzung mit den Tätern. Dies ist gut so, da gerade in Schleswig-Holstein - als eine der ehemaligen Hochburgen der Nazi-Zeit - eine Aufarbeitung der Geschehnisse des Dritten Reiches und das Gedenken an die Opfer wichtig ist. Allerdings stand die Arbeit der Gedenkstätten in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren nur selten auf der politischen Tagesordnung des Landtages. Dies macht auch der von uns geforderte Bericht der Landesregierung deutlich.

Aus dem Bericht geht hervor, dass die Gedenkstätten eine sehr heterogene Trägerschaft und entsprechende Finanzierung haben. Sie sind alle von dem ehrenamtlichen Engagement vor Ort abhängig und finanziell auf Eintrittsgelder, Spenden und Sponsorengelder angewiesen. Mit der Gründung der „Bürgerstiftung Schleswig-Holsteinische Gedenkstätten“ 2002 wurde eine Einrichtung geschaffen, die die Gedenkstätten in ihrer Arbeit finanziell und inhaltlich unterstützen sollte. Allerdings scheint dies bisher nicht ausreichend funktioniert zu haben. Zumindest sind keine klaren Ergebnisse erkennbar. Zu hinterfragen ist auch, wieso es in den letzten zehn Jahren nicht gelungen ist, das Stiftungskapital von rund 600.000 Euro zu mehren.
Aus dem Bericht der Landesregierung geht weiterhin hervor, dass 2011 eine halbe Stelle bei der Bürgerstiftung für die notwendigen konzeptionellen Entwicklungsprozesse in und mit den Gedenkstätten eingerichtet werden soll. Auslöser dafür ist zum einen, dass die Gedenkstättenarbeit neu gestaltet und die einzelnen Orte stärker miteinander vernetzt werden sollen. Zum anderen fördert der Bund seit 1999 Gedenkstätten und Projekte zum Nationalsozialismus. Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, das bisher keine Mittel aus diesem Etat abgerufen hat. Dieser Punkt sollte im Ausschuss unbedingt hinterfragt werden. Es darf nämlich nicht der Eindruck entstehen, dass Schleswig-Holstein eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht wünscht.

Die Verteilung von zu wenigen Geldern durch die Bürgerstiftung und die einheitliche Außendarstellung der Gedenkstätten mit einem gemeinsamen Logo und Flyer reichen aus Sicht des SSW als konzeptioneller Neuanfang nicht aus. Zwar begrüßen wir, dass die Haushaltsansätze für die Gedenkstättenarbeit im aktuellen Haushalt nicht gekürzt wurden. Aber dies ist nur ein weiteres Zeichen dafür, dass die Gedenkstätten schon am Tropf hängen und es hier nichts mehr zu kürzen gibt. So schreibt auch die Landesregierung in ihrem Bericht, dass die Erträge aus dem Stiftungskapital und die ergänzenden Landeszuschüsse nicht ausreichend sind.

Vor diesem Hintergrund ist beeindruckend, was vor Ort geleistet wird. Hervorheben möchte ich hier insbesondere die KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund, die als älteste Gedenkstätte des Landes in kirchlicher Trägerschaft ist und nicht nur eine hauptamtliche Kraft hat, sondern auch die meisten Besucher. Dies ändert jedoch nichts daran, dass man sich vor Ort „zurechtwurstelt“, um mit der Arbeit weiterzukommen. Die Entstehungsgeschichte der im letzten Herbst eingeweihten Steele am Panzergraben zwischen dem ehemaligen Lagergelände und dem Dokumentenhaus macht die Problematik deutlich. Das neue Monument ist an sich beeindruckend, die eingeworbenen Mittel durften aber nur dafür eingesetzt werden und nicht für die Weiterentwicklung der Gesamtkonzeption.

Um die bestehende Vermittlungs- und Anschauungsarbeit langfristig zu gewährleisten, muss daher die Bürgerstiftung die notwendigen Dienstleistungen erbringen. Doch auch das Land ist letztlich gefragt. Ehrenamtliche Arbeit wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, allerdings darf die Arbeit der Gedenkstätten nicht allein darauf fußen. Und die Dienstleistung der Bürgerstiftung darf auch nicht dazu führen, dass die zur Verfügung stehenden Mittel der Bürgerstiftung die Gedenkstätten zu Konkurrenten machen.

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