Rede · 12.12.2013 Kaiserschnitt darf nicht zum Regelfall werden
Anlass dafür, dass wir die Situation der Geburtshilfe wieder einmal auf die Tagesordnung gesetzt haben, ist natürlich die aktuelle Situation auf Sylt. Nur um das ganz deutlich zu sagen: Sollte in den laufenden Gesprächen zwischen Sozialministerium und Asklepios-Konzern keine Einigung gefunden werden, dann steht im schlimmsten Fall die nächste Insel ohne Geburtshilfe da. Wir hoffen, dass hier sehr bald eine tragfähige Lösung auf Basis des bestehenden Versorgungsauftrags gefunden wird. Und wir danken der Sozialministerin schon jetzt für ihren großen Einsatz in dieser wichtigen Sache.
Nicht erst mit Blick auf die Situation auf den nordfriesischen Inseln wird das Dilemma in der Geburtshilfe deutlich. Fakt ist: Immer mehr Versicherungen ziehen sich aus dem Berufshaftpflicht-Geschäft im Medizin-Bereich zurück. Die wenigen, die bleiben, treiben die Preise hoch. Damit wird die Arbeitssituation von Hebammen und Gynäkologen zunehmend unrentabel. Wenn man vor diesem Hintergrund das aktuelle Gutachten des Asklepios-Konzerns zur Übernahme der Versicherungsbeiträge von Belegärzten hinzuzieht, sieht es noch schlimmer aus. Denn dies kommt offenbar zu dem Ergebnis, dass die Übernahme der Versicherungsbeiträge durch die Kliniken gegen geltendes EU-Wettbewerbsrecht verstößt. Weil ein gynäkologischer Belegarzt aber nur ungefähr 100-200 Euro pro Geburt verdient, muss er zwischen 300 und 600 Geburten im Jahr durchführen, nur um seine Beiträge zu finanzieren. Dies gibt die Situation auf den Inseln schlicht nicht her. Dass Geburtshilfeleistungen in der Folge abgebaut werden, kann da kaum verwundern.
Aus Sicht der Kliniken gibt es deutlich rentablere Bereiche, als die Geburtshilfeabteilungen. Vielen mag das Asklepios-Gutachten daher gar nicht so ungelegen kommen. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2010 ist die Zahl der Kliniken mit Geburtshilfe von 853 auf 453 gesunken. Vor diesem Hintergrund will ich nicht nur die Nordseeklinik dringend daran erinnern, dass sie einen Versorgungsauftrag zu erfüllen hat. Die Praxis, sich zunehmend die Rosinen herauszupicken und unrentable Bereiche fallen zu lassen, muss aufhören. Zumal die Geburtshilfe hier eindeutig in der Krankenhausplanung vorgesehen ist. Mit Blick auf Sylt warnt der Hebammenverband völlig zu Recht vor unzumutbaren Zuständen. Ich meine, gerade in der sensiblen Phase unmittelbar vor der Geburt ist es Schwangeren einfach nicht zuzumuten, aus der gewohnten Umgebung herausgerissen zu werden.
Nicht erst der Fall Sylt zeigt, dass die freie Wahl des Geburtsorts und der Rechtsanspruch jeder Frau auf Hebammenleistungen ganz schnell zur Illusion werden können. Diese Entwicklung dürfen wir nicht einfach hinnehmen. Wir meinen, dass Geburten in Schleswig-Holstein auch in Zukunft flächendeckend und wohnortnah möglich sein müssen. Im konkreten Fall der Nordseeklinik gibt es durchaus Wege, um die Geburtshilfe zu retten. Falls es sich hier wirklich nur um Versicherungsfragen dreht, könnte sie zum Beispiel darüber nachdenken, Belegärzte in Teilzeit anzustellen, damit diese vom Gesamtversicherungsvertrag umfasst sind. Oder sie könnte Belegärzte zu Honorarärzten machen, um die Wettbewerbssituation nach EU-Recht zu umgehen. In jedem Fall brauchen wir schnellstmöglich ein seriöses Konzept von Asklepios, das zeigt, wie es auf Sylt weitergehen soll.
Aus Sicht des SSW ist eins völlig klar: Losgelöst von diesem Einzelfall ist der Bund eindeutig in der Pflicht, einen verlässlichen Rahmen für ein bedarfsgerechtes Angebot in der Geburtshilfe sicherzustellen. In erster Linie muss die Bundesregierung prüfen, wie die Preisschraube bei den Versicherungsbeiträgen von Hebammen und Belegärzten gestoppt werden kann. Hier sind für uns zwei Wege denkbar: Entweder durch einen bundesweiten Versicherungsfonds zur Deckelung der Beiträge oder aber durch Gründung einer öffentlich-rechtlichen Berufshaftpflicht nach dänischem Vorbild. Und an beiden Lösungen wären aus unserer Sicht auch die Krankenkassen zu beteiligen.
Aber der aktuelle Fall auf Sylt zeigt auch, dass die Bundesregierung in dieser Angelegenheit dringend auf europäischer Ebene aktiv werden muss. Denn ein EU-Wettbewerbsrecht, das die medizinische Versorgung vor allem im geburtenschwachen ländlichen Raum aushebelt, braucht kein Mensch. Ich hoffe, hier sind wir uns alle einig.