Rede · 20.06.2019 Pflege- und Heimkinder sind schon benachteiligt genug

Die Kostenheranziehung in der heutigen Form ist diskriminierend

Flemming Meyer

Flemming Meyer zu TOP 28 - Pflegekinder und Heimkinder finanziell entlasten (Drs. 19/1515)

Wir haben uns im Landtag aus gutem Grund sehr intensiv mit der Situation von Heimkindern beschäftigt. Ich will hier nur mal an die Untersuchungen zum Thema Friesenhof oder an die Aufarbeitung von Zwangsarbeit und Medikamentenversuchen erinnern. Natürlich sind das krasse Beispiele. Glücklicherweise machen die wenigsten untergebrachten Kinder und Jugendlichen solche Erfahrungen. Und doch kann man wohl festhalten, dass viele Pflegekinder und Heimkinder einen vergleichsweise schweren Start ins Leben haben. Ich denke, wenn die SPD hier und heute fordert, diese Kinder zumindest finanziell zu entlasten, kann kaum jemand etwas dagegen haben.

Um ehrlich zu sein, halte ich die geltende Praxis bei der so genannten Kostenheranziehung für sehr problematisch. Das Achte Buch Kinder und Jugendhilfe sieht in Paragraph 94 aber tatsächlich vor, dass junge Menschen bei vollstationären Leistungen grundsätzlich 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einsetzen müssen. Sie werden schlicht als Leistungsempfänger behandelt. Aus meiner Sicht ist das pures Gift für die Motivation dieser jungen Leute. Und spätestens, wenn damit der Anreiz für den Beginn einer Ausbildung genommen wird, ist diese Regelung kontraproduktiv und absurd. Nach Auffassung des SSW ist hier deutlich mehr Augenmaß gefordert. 

Mir ist durchaus bewusst, dass es hier nicht allein um die Refinanzierung der Platzkosten geht. Eine gewisse finanzielle Beteiligung - beispielsweise an der Einrichtung des eigenen Zimmers - kann pädagogisch durchaus geboten sein. Für viele untergebrachte Kinder und Jugendliche ist das ein sinnvoller Teil der Vorbereitung auf ein selbständiges Leben in der eigenen Wohnung. Und bei manchen werden damit eben auch Muster und Gewohnheiten durchbrochen, wenn sie zum Beispiel davon ausgehen, dass im Zweifel doch immer „das Amt“ bezahlt. Aber dieser Beitrag darf eben nicht unverhältnismäßig sein. Und aus meiner Sicht sind 75 Prozent des Einkommens eindeutig zu viel. Das schießt genauso über das Ziel hinaus, wie die Tatsache, dass hier auch Schülerjobs, Praktika oder Ferienjobs herangezogen werden. 

Wir sollten uns aber auch grundsätzlich Gedanken darüber machen, ob wir neben Pflege- und Heimkindern nicht auch andere Jugendliche und junge Erwachsene entlasten müssen. Als Beispiele will ich nur mal an Jugendliche in Harz-4-Familien oder an Menschen mit Behinderungen erinnern. Auch sie sind mitunter in der Situation, dass sie von ihrem erarbeiteten Geld nur einen gewissen Teil behalten können. Das kann auch für ihre Motivation und ihren Weg in ein selbstbestimmtes Leben von Nachteil sein. Beispielsweise dann, wenn ihnen die Möglichkeit genommen wird, selbst etwas anzusparen, um Ziele zu verwirklichen. Wir meinen, dass wir auch an diese Menschen denken müssen, wenn wir Lösungen suchen. 

Mit Blick auf den Antrag und die hier erwähnten Kinder und Jugendlichen, die vollstationär in einer Familie oder Einrichtung betreut werden, ist eins klar: Sie sind oftmals schon benachteiligt genug. Nicht zuletzt finanziell. Und deshalb darf es für sie nicht noch weitere, finanzielle Hürden auf dem Weg in die Selbständigkeit geben. Ich halte die Kostenheranziehung in der heutigen Form sogar für diskriminierend. Denn im Extremfall verhindert sie die Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung. Es ist aber unheimlich wichtig, junge Menschen an den Arbeitsmarkt anzubinden. Regelungen, die dieses Ziel gefährden müssen abgeschafft oder zumindest abgemildert werden. Deshalb können wir dem Antrag der SPD nur zustimmen. 

Neben einer finanziellen Entlastung brauchen Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien und Heimen aber insgesamt bessere Startbedingungen. Sie brauchen vor allem auch einen besseren Zugang zu Bildung. Hier haben wir mit der Schulgesetzänderung zur Erweiterung der Schulpflicht eine  wichtige Verbesserung gefordert. Leider hat die Jamaika-Koalition diesen Weg abgelehnt. Wir sind aber unverändert der Meinung, dass eine klare gesetzliche Regelung her muss, um Heimkindern bessere Startchancen zu sichern. Hier werden wir weiter dran bleiben.

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