Rede · 21.01.2016 Qualifikationen vieler Flüchtlinge sind Ressourcen-Schätze, die es zu bergen gilt

Lars Harms zu TOP 34A - Bundesratsinitiative zur Schaffung eines modernen Einwanderungsrechts

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Es wurde zwar lange Jahre nicht so genannt. Aber faktisch haben wir seit den 1950er Jahren, also seit sechs Jahrzehnten eine Einwanderungswelle nach der anderen erlebt. Es musste allerdings mehr als eine Generation vergehen, bis diese Tatsache Eingang in die politischen Diskussionen fand. Deutschland tat sich schwer damit, sich dauerhaft zu öffnen. Immer, wenn Not am Mann war, kamen ausländische Arbeitskräfte gerade recht: Portugiesen, Spanier, Italiener oder Türken. Aber deren Anerkennung ging nur schleppend voran. Die Neu-Deutschen sollten gerne bitteschön super-deutsch sein und beispielsweise auch in den eigenen vier Wänden deutsch reden. Bereicherung und Vielfalt zu entdecken und zu nutzen, war zunächst nur eine Randerscheinung. Inzwischen hat sich in dieser Richtung Einiges getan: so gehört die Pizza zu den Lieblingsgerichten in Deutschland. 

Integration bedeutet eben nicht, dass sich die Dazukommenden widerspruchslos anpassen, sondern dass man sich gegenseitig annähert. Deutschland hat sich verändert, was nicht zuletzt durch das große Engagement vieler Ehrenamtlicher in der Flüchtlingskrise belegt wird.  International wird Deutschland als Einwanderungsland mit großzügigen Einwanderungsregelungen geachtet. Deutschland bleibt aber auch ein Auswandererland. Deutsche Staatsbürger stellen - global gesehen - eine nicht unerhebliche Gruppe dar. 2015 wanderten fast 150.000 deutsche Bürger aus, weil sie in Deutschland nicht die gleichen Chancen erwarteten wie im Ausland. Deutschland ist längst nicht so attraktiv, wie wir uns das einreden: Niedriglohn und Karriereprobleme bewerten viele Menschen, auch aus Schleswig-Holstein, als push-Faktoren und als Gründe, Deutschland zu verlassen. Sie suchen mit ihren Familien ihr Heil wo anders. Damit wird der Brain-Drain verschärft und der demografisch bedingte Fachkräftemangel weiter verstärkt. Hier muss dringend Abhilfe geschafft werden.

Das haben wir im Ausschuss vertieft beraten; auch und gerade vor dem Hintergrund der derzeitigen Flüchtlingskrise. Wir leisten uns den Luxus, gut ausgebildete und hoch motivierte Menschen im Land zu haben; diese aber zur Untätigkeit zu verpflichten. Die Asylverfahren erweisen sich als Hemmschuh. Dabei wissen wir genau, dass Integration durch Arbeit der Königsweg ist. Tatsächlich betreiben wir  eine Ausgrenzung, die langfristig enorme Kosten erwarten lässt. Das ist zum Großteil der schieren Masse der Flüchtlinge geschuldet, aber eben auch den sehr komplizierten Antragsverfahren.

Einheitliche Verfahren und Bestimmungen werden nicht vom Himmel fallen. Gut, dass wir anlässlich des Antrages der FDP-Fraktion über ein modernes Einwanderungsrecht diskutieren. Wir holen damit etwas nach, was schon im letzten Jahrhundert in Deutschland hätte stattfinden müssen.

Bei den meisten Punkten besteht durchaus Einigkeit, vor allem, was klare Zuständigkeiten und transparente Verfahren aus einer Hand angeht. Ich fürchte allerdings, dass es noch lange dauern wird, bis die Verfahren vereinfacht sind.  Darüber hinaus ist vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus das Beschäftigungsverbot von Asylbewerbern die pure Vergeudung von Ressourcen. Die zweifellos vorhandenen Qualifikationen vieler Flüchtlinge sind doch Ressourcen-Schätze, die es zu bergen gilt. Viele Flüchtlinge bringen sich bereits als Dolmetscher ein oder vermitteln zwischen Behörden und ihren Mitbewohnern. Doch der deutsche Arbeitsmarkt steht ihnen nicht offen. Deutschkurse werden zwar inzwischen flächendeckend angeboten; aber darüber hinaus benötigen wir berufsspezifische Sprachkurse, die spezielle Fachvokabeln vermitteln. Besondere Nachqualifizierungsprogramme, die vorhandene Qualifikationen an den deutschen Arbeitsmarkt anpassen, sind überhaupt noch nicht in Sicht. Darüber hinaus ist die Anerkennung vieler ausländischer Berufsqualifikationen nach wie vor für den Großteil der Berufe ein Hürdenlauf mit langen und komplizierten Verfahren. Dazu kommen komplizierte Rechtsfragen; zum Beispiel für die Arbeitgeber. Die fragen sich: Darf ich überhaupt einen Flüchtling einstellen? Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssen berücksichtigt werden? Wer kann mir dabei helfen?

In den letzten Jahren wurde in dieser Richtung vieles versäumt. Die Beratung aus einer Hand, die als Beratung daher kommt und nicht als Sanktion, ist gerade erst auf kommunaler Ebene angekommen. So richtet die Stadt Flensburg analog zum Kreis Nordfriesland ein Willkommenszentrum ein, das das bisherige Ausländeramt ablösen wird. 

Letztendlich wird es darauf ankommen, dass die EU insgesamt ein modernes Einwanderungsrecht erlässt. Der Großteil der Einwanderer in den deutschen Arbeitsmarkt kommt ja aus der EU. Vielleicht liegt darin der Grund, warum es mit der Einwanderung aus Nicht-EU-Ländern hapert. Europa darf sich aber nicht abschließen, sondern muss sich dementsprechend weiterentwickeln. Grundsätzlich muss die Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Fluchtgeschichte als Prozess verstanden werden, der uns noch lange beschäftigen wird.  Dabei geht es vor allem darum, denjenigen die zu uns kommen Perspektiven aufzuzeigen und Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Und natürlich ist es legitim für einen Staat, den Einwanderungsprozess steuern zu wollen. Bei Flüchtlingen und EU-Bürgern ist dies nur bedingt möglich, bei den weiteren Zuwanderern, die bei uns arbeiten und eine Zukunft aufbauen wollen, hat der Staat aber durchaus das Recht, hier auch deutlich zu machen, wer hier eine Zukunft hat und wer nicht. Und um das alles vernünftig und nachvollziehbar und dann auch noch möglichst unbürokratisch zu regeln, ist es nötig, die Einwanderungsbestimmungen in einem einheitlichen Gesetz zusammenzufassen.

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