Rede · 14.03.1997 Verpflichtung von Sozialhilfepempfängern zu gemeinnütziger Arbeit

Ich glaube immer noch nicht, daß die allgemeine Verpflichtung von Sozialhilfeempfängerinnen und -emp-fängern zu gemeinnütziger Arbeit eine besonders gute Idee ist. Nicht weil ich Maßnahmen zur Aktivierung von Sozialhilfeempfängern in Bausch und Bogen ablehne. Das tue ich keinesfalls. Ich glaube nur, daß solche Maßnahmen höchst voraussetzungsvoll sind. Sie setzen eine Perspektive für die Betroffenen voraus. Wenn diese Maßnahmen für den Einzelnen keinen positiven Effekt haben, dann bleiben sie ein reiner, entwürdigender Arbeitsdienst, und das lehnen wir ab.

Ich weiß, daß man in diesem Zusammenhang auch gerne nach Dänemark guckt, wo eine Aktivierung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern mit großem Erfolg praktiziert wird. Aber dort ist man von ganz anderen Voraussetzungen ausgegangen. Dort werden Unter-25jährige Sozialhilfeempfänger, wenn sie keine erwerbsqualifizierende Ausbildung haben, nach 13 Wochen für 18 Monaten aktiviert; Jugendliche mit einer solchen Ausbildung werden nach 13 Wochen für 6 Monate aktiviert. Für Über-25jährige setzt die Aktivierung nach 12 Monaten Sozialhilfebezug ein. Es besteht eine Pflicht zur Aktivierung, aber auch ein einklagbares Recht darauf. Die Aktivierung kann in einer Fülle von verschiedenen Formen geschehen, die alle in dem Dreieck berufliche Qualifizierung - persönliche Entwicklung - Erwerbsarbeit liegen. Darunter gibt es eine bunte Palette von Aktivierungsangeboten, die ich hier in 5 Minuten gar nicht alle aufzählen kann. Sie reichen von freiwilliger, ehrenamtlicher Tätigkeit im sozialen, politischen, kulturellen oder sportlichen Bereich, über kommunale Beschäftigungsmaßnahmen, Urlaubsvertretungen im ersten Arbeitsmarkt und 18monatigen Erwerbsausbildungen bis zu mehrjährigen Unterstützung zum Lebens-unterhalt für ExistenzgründerInnen.
Gemeinsam ist allen Angeboten, daß sie die Qualifizierung und die Bedürfnisse des Sozialhilfeempfängers ins Zentrum stellen. Daher wird bei über 25jährigen obligatorisch und bei den Jüngeren nach Bedarf gemeinsam ein Handlungsplan aufgestellt, der darauf abzielt, durch Bildung, berufliche Praxis und persönliche Entwicklung die Lebenslage der oder des Betroffenen aktiv in eine bestimmte Richtung zu verändern - in der Regel in Richtung einer regulären Erwerbsteilnahme oder einer beruflichen bzw. weiterführenden Ausbildung.

Welche Erfolge eine solche auf Bildung bezogene, aktive Arbeitsmarktpolitik haben kann, läßt sich eindrucksvoll anhand der dänischen Arbeitslosigkeitsstatistiken betrachten. Vor allem die Jugendarbeitslosigkeit hat man von katastrophalen 21,8 % in 1986 so reduziert, daß sie heute mit wenigen Prozent nicht mehr als Problem angesehen wird.
Gern hätte ich ihnen mehr von der Aktivierung in Dänemark erzählt, weil sie für uns alle sehr interessante Aspekte beinhaltet. Ich möchte daher anregen, daß wir im Sozialausschuß noch jemanden dazu anhören.

Es muß fairerweise aber leider auch eingestanden werden, daß sich so etwas hierzulande nur Ansatzweise durchsetzen ließe. Die bestehenden Strukturen, werden sich nicht ohne weiteres ändern lassen, und solchen tiefgreifenden Innovationen im Wege stehen. Unter diesen Bedingungen stehe ich der Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit skeptisch gegenüber, da sie dann allzu leicht in das Abkippen, was wir auf keinen Fall wollen: einen neuen Arbeitsdienst ohne Perspektiven für die Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger - als reine Kostenersparnis für die Kommunen und das Land. Ich bin offen für Vorschläge, wenn sie dazu Beitragen, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger zu Qualifizieren und in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Daher werde ich mich auch konstruktiv mit dem Vorschlag auseinandersetzen, verstärkt auf Beschäftigungsgesellschaften zu setzen. Aber wenn sich kein primär arbeitsmarktpolitisch orientiertes Modell entwickeln läßt, wenn es letztenendes doch nur so wird, daß „die Sozialhilfeempfänger wenigstens was tun sollen für die Stütze“, oder daß sie wenigstens ein bißchen für die Sozialversicherung dazuverdienen sollen, dann wird das nicht mit dem SSW beschlossen werden.

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