Rede · 31.05.2006 Wirtschaftsbericht 2006

Auch der SSW bedankt sich bei den Mitarbeitern des Wirtschaftsministeriums für einen ausführlichen und sehr informativen Bericht, der trotz sicherlich unterschiedlicher politischer Bewertung eine gute Grundlage für die heutige Debatte ist. Wir diskutieren heute den Wirtschaftsbericht 2006 der Landesregierung vor dem Hintergrund einer anziehenden Konjunktur in Deutschland, die auch in Schleswig-Holstein zu positiven Akzenten führen kann. Darüber sollten wir uns erst einmal alle gemeinsam freuen, weil uns die Probleme einer stagnierten Wirtschaftsleistung und des damit zusammenhängenden starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit auch hier im Lande schwer zu schaffen machen.

Für 2006 prognostizieren die verschiedenen Wirtschaftsinstitute ein Wachstum in Deutschland von 1,6% bis 2,0%. Es sieht also so aus, als sei die Talsohle der vergangenen Jahre damit erst einmal überwunden. Wenn Schleswig-Holstein wie in 2005 wieder überproportional von diesem Anstieg profitiert, dann sieht es für unser Land in diesem Jahr sogar ganz gut aus. Denn in 2005 lag das reale Wirtschaftswachstum in Schleswig-Holstein mit 1,3% über den Bundesdurchschnitt und wir erzielten damit das dritthöchste Wachstum aller Bundesländer.

Unter dem Motto „Aufbruch im Norden“ will die Landesregierung und besonders der Wirtschaftsminister diesen wirtschaftlichen Aufschwung für sich alleine verbuchen. Hier muss man aber klar sagen, dass die Grundlage für diesen beginnenden Aufschwung auch schon unter den rot-grünen Regierungen in Berlin und Kiel gelegt wurde. Denn für das Wachstum in 2005 kann ja nun nicht nur die neue Landesregierung verantwortlich sein, die erst ab Mai 2005 in Amt und Würden ist.

Wie auch schon in der Vergangenheit, hat die bisherige wirtschaftliche Belebung leider aber nicht zu einer entscheidenden Trendwende am Arbeitsmarkt geführt. In 2005 waren in Schleswig-Holstein im Jahresdurchschnitt immer noch über 161.ooo Menschen und damit 11,6% unser Bevölkerung arbeitslos. Daran werden auch die guten wirtschaftlichen Aussichten für dieses Jahr nichts Entscheidendes ändern können. Wir brauchen ein noch viel höheres Wachstum, um die Arbeitslosigkeit wirklich massiv abbauen zu können. Auch wenn durch das regionale „Bündnis für Ausbildung“ die Ausbildungssituation in Schleswig-Holstein besser ist als im Bundesdurchschnitt, muss die Landesregierung gerade im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit ihre Anstrengungen in Zukunft noch vergrößern. Ziel muss es sein, dass die geburtenstarken Jahrgänge, die jetzt auf den Markt drängen, alle einen Ausbildungsplatz bekommen können.
 
Und im Gegensatz zur Landesregierung sieht der SSW auch nicht ganz so optimistisch auf das nächste Jahr. Die Exporte – auch der schleswig-holsteinischen Unternehmen – steigen zwar weiterhin sehr stark an und beweisen damit auch, dass unsere Firmen international sehr wettbewerbsfähig sind, aber leider bleibt das Problem weiterhin die schwache Binnenkonjunktur. Obwohl das Konsumklima im diesem Jahr stark verbessert ist, wird die beschlossene Mehrwertsteuererhöhung zum 1.1.2007 die Binnenkonjunktur höchstwahrscheinlich wieder abwürgen. Auch die vielen Steuererhöhungen bei gleichzeitig schwacher Lohn- und Gehaltsentwicklung werden nicht dazu beitragen, dass die Menschen nach 2006 mehr Geld für den Konsum verwenden. Dazu ist es problematisch, dass die Mehrwertsteuererhöhung um 3% nicht vollständig zur Senkung der Lohnnebenkosten genutzt wird. Hier wurde eine große Chance verpasst, zumindest die Arbeitskosten nachhaltig  zu senken.

Man stelle sich mal vor eine rot-grüne Bundesregierung hätte diese höchsten Steuererhöhungen  der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen. Was dann los gewesen wäre in den Medien, bei der CDU-Opposition und insbesondere bei den Unternehmensverbänden können wir uns alle lebhaft vorstellen. Von daher ist es schon erstaunlich, dass die Wirtschaft hier nicht aufbegehrt.

Aus Sicht des SSW muss die Landesregierung einer aktiven und regional ausgewogenen Wirtschaftspolitik dazu beitragen, dass sich der Aufschwung in Schleswig-Holstein verstetigt. Im Bericht wird deutlich, dass der Wirtschaftsminister in diesem Zusammenhang auf die gute Vorarbeit seines Vorgängers weiter aufbauen kann. Das gilt insbesondere für die Standortpolitik, wo in 2005 die positive Entwicklung fortgesetzt werden konnte. Mit 140 neu angesiedelten Unternehmen und fast 2000 Arbeitsplätzen in 2005 war die Ansiedlungspolitik wie in der Vergangenheit sehr erfolgreich.

Auch für die Fortsetzung einer vernünftigen Mittelstandspolitik in Schleswig-Holstein - die bei einem Anteil von 99,5% Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigen natürlich das A und O der schleswig-holsteinischen Wirtschaftspolitik sein muss – hat das Land ebenfalls in den letzten Jahren gute Voraussetzungen geschaffen. Die Dienstleistungen für den Mittelstand reichen seitens des Landes vom Servicebüro Mittelstand über die Bürgschaftsbank Schleswig-Holstein bis hin zur Investitionsbank. Wobei insbesondere die Schaffung von neuen Finanzierungsinstrumenten für den  Mittelstand eine wichtige Aufgabe des Landes ist, weil gerade die Kreditbeschaffung weiterhin ein Problem für viele Unternehmen bleibt.

Auch bei der Weiterentwicklung der Kompetenzfelder der schleswig-holsteinischen Wirtschaft konnte sich Wirtschaftsminister Austermann eigentlich auf die erfolgreich entwickelte Clusterstrategie des Landes stützen. Allerdings hat der Wirtschaftminister in seinem ersten Amtsjahr hier bereits Schwerpunkte gesetzt, die aus Sicht des SSW äußerst kontraproduktiv auswirken werden.

Das gilt zum Beispiel für das Cluster Windenergie. In den letzten Jahrzehnten wurden hier in diesem Zukunftsfeld der Wirtschaftspolitik fast 5.000 Arbeitsplätze geschaffen. Aber die Landesregierung hat ihre Ambitionen für einen weiteren Ausbau der Windenergie aus ideologischen Gründen zurückgefahren. So wird im Bericht mit keinem Wort wird die Entscheidung des Wirtschaftsministers, den Ausbau des Husumer Hafens nur mit 2 bis 3 Millionen Euro zu fördern, erwähnt. Das ist verständlich. Denn mit dieser Entscheidung liquidiert Herr Austermann kaltblütig die Ausbaupläne für den Husumer Hafen. Für die Stadt Husum wäre es viel zu riskant, eine Minimallösung umzusetzen. Deshalb wird sie die Finger ganz davon lassen müssen.

Die fehlende Unterstützung der Landesregierung trifft den Windkraftstandort Husum hart und wird seine Entwicklung auf viele Jahre hinaus blockieren. Für die Menschen in und um Husum bedeutet dies, dass bis zu 500 potentielle Arbeitsplätze in der Region nicht geschaffen werden und manche jetzt noch vorhandene Arbeitsplätze langfristig vernichtet werden. Die Menschen werden in Zukunft dann nach Esbjerg oder Cuxhaven fahren müssen, wenn sie im Zukunftssektor Offshorewindkraft Arbeit finden wollen.

Damit zeigt der Wirtschaftsminister einmal mehr, dass er trotz aller Lippenbekenntnisse der Metropolregion Hamburg den Vorzug gibt und nicht bereit ist, wirklich in die wirtschaftliche Entwicklung im Norden des Landes zu investieren. Diese Befürchtungen werden nicht nur vom SSW geäußert, sondern auch die regionalen Unternehmensverbände des nördlichen Landesteils teilen diese Auffassung. Auch wenn sie es sicherlich nicht so deutlich sagen können oder wollen,  wie wir.

Die Änderungen im  zukünftigen Regionalprogramm nach 2007 deuten auch auf einen Paradigmenwechsel hin, der zum Nachteil der bisherigen strukturschwachen Regionen insbesondere im Norden des Landes sein wird. Denn es ist geplant, dass das neue Regionalprogramm nicht mehr auf Ausgleich orientiert sein soll, sondern in Zukunft flächendeckend im ganzen Land zum Einsatz kommen kann. Es sagt sich von selbst, dass damit die Grundidee wirtschaftlich schwächere Regionen gezielt mit Förderung und Investitionen zu unterstützen „ad absurdum“ geführt wird. Auch wenn die EU hier die Vorgaben für das neue Regionalprogramm macht, muss die Landesregierung sich dringend darüber Gedanken machen, wie denn die strukturschwachen Regionen bei diesem landesweiten Wettbewerb bestehen können. Bisher ist dies nicht geschehen und die Landesregierung will scheinbar tatenlos zusehen wie die wirtschaftliche Entwicklung zwischen den Süden und Norden des Landes weiter auseinander geht. Im Norden des Landes glaubt jedenfalls keiner ernsthaft, dass ein Ausbau der Metropolregion Hamburg positive Effekte für den Landesteil Schleswig haben wird.

Davon können auch die Aussagen im Bericht über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Dänemark nicht hinwegtäuschen. Es ist natürlich positiv, dass die Landesregierung – auf Druck des SSW – jetzt die Zusammenarbeit mit Dänemark im gleichem Maße wie mit Hamburg vorantreiben will. Aber die Fakten, die diese Aussage untermauern sollen, sind leider noch nicht im ausreichenden Maße geschaffen worden. So ist es zwar positiv, dass zum Beispiel jetzt ein Regionalmanagement auf deutscher Seite sich der operationellen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit annehmen soll. Aber wir wissen immer noch nicht viel über die konkreten Maßnahmen seitens der Landesregierung zur Stärkung der Grenzregion. Beispielsweise sind auch die Leuchttürme oder Leitprojekte der deutsch-dänischen Zusammenarbeit noch immer nicht benannt oder definiert worden. Der von der Landesregierung geplante deutsch-dänische Kongress im Herbst ist hier sicherlich ein richtiger Schritt, denn natürlich müssen auch die Entscheidungsträger vor Ort Vorschläge für grenzüberschreitende Projekte machen.
Wichtig ist aber, dass die Landesregierung keine politischen Maßnahmen ergreift, die die Grenzregion schwächen. Und diese Gefahr besteht zur Zeit bei einem sehr erfolgreichen Leuchtturm der bisherigen grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Hier meine ich die Universität Flensburg, die langsam aber sicher in ihrer Leistungsfähigkeit ausgehöhlt wird. Denn neben der schon seit Jahren bekannten Unterfinanzierung der Universität plant der Wirtschafts- und Wissenschaftsminister mit einem landesweiten Universitätsrat auch noch die kalte Entmachtung der Leitung vor Ort. Wer es wirklich ernst meint mit einer Verbesserung der deutsch-dänischen Zusammenarbeit, muss auch den Hochschulstandort Flensburg mit seinen erfolgreichen deutsch-dänischen Studiengängen stärken und nicht schwächen.

Dazu darf sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit nicht nur auf gute Kontakte nach Kopenhagen noch auf den Bau einer Fehmarnbelt-Brücke beschränken. Gerade in dieser Frage haben der nördliche Landesteil und Sønderjylland ein gemeinsames Interesse daran, dass sich die Entscheidungsträger in Kiel, Kopenhagen und Berlin erst mal darum bemühen, die Landverbindungen zwischen den beiden Ländern zu verbessern. Dies gilt für den Schienenbereich besonders für das Nadelöhr der Eisenbahnbrücke bei Rendsburg und im Straßenbereich für einen zügigen Ausbau der A7. Auch der Ausbau der A20 und der westlichen Elbquerung mit Anbindung an die Westküste bleibt für den SSW ein vorrangigeres Ziel als der Bau der Fehmarnbelt-Brücke.  Und so lange wir noch nicht einmal durchgebundene grenzüberschreitende Züge haben, so lange brauchen wir uns über Luftschlösser in Form von Brücken keine Gedanken machen.

Unter Strich bleiben wir also bei unserer Einschätzung, dass die zukünftige Entwicklung zu einer weiteren Schieflage in der regionalen Wirtschaftspolitik zu Lasten des Nordens führen kann. Es kommt entscheidend darauf an, dass die Landesregierung den Willen hat und die Kraft aufbringt, ihre Wirtschaftspolitik nicht nur auf die Metropolregion oder die großen Zentren um Lübeck und Kiel auszurichten, sondern auch dem nördlichen Landesteil ihre volle Aufmerksamkeit zukommen lässt. Der SSW wird seine politische Bemühungen in dieser auch für die Zukunft der dänischer und der friesischen Minderheit entscheidenden wirtschaftlichen Frage weiterhin forcieren.

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