Rede · 16.11.2000 Große Anfrage Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit

Diese vorliegende Große Anfrage wird von der antragstellenden Fraktion bewusst in die Tradition früherer Berichte und Anfragen gestellt - nicht zuletzt sei hierbei an die Große Anfrage der SPD aus dem Jahre 1989 gedacht. Diesem Anspruch wird die Antwort der Landesregierung nicht gerecht.

Während die 1989’er Anfrage programmatischen Charakter hatte, und somit eine neue Ära in der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Schleswig-Holstein einläutete, wirkt die Große Anfrage vom Ergebnis her eher blutarm. Ich hätte mir etwas mehr Engagement gewünscht, so z. B. in der Beantwortung der ersten Fragen, die sich auf die historischen Perspektiven beziehen. Mag sein, dass der Landesregierung keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich der historischen Wurzeln des Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein bekannt sind. Es wäre aber wünschenswert gewesen, dass sie die Chance genutzt hätte, ausführlicher auf das einzugehen, was denn die Erkenntnisse sind.

Es reicht aus meiner Sicht nicht aus zu sagen: "Ob und inwieweit heutige Skinheads sich in einer kontinuierlichen Tradition befinden oder nur jeweils neu erfahrene Ängste auf bekannte Weise kanalisieren und mehr oder weniger in einen historischen Kontext stellen, ist umstritten". Der Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein ist mehr als glatzköpfige Jugendliche – er ist gar keine Jugendbewegung, sondern betrifft alle Altersgruppen: Er besteht aus organisierten und nicht-organisierten Befürwortern rechtsextremistischen Gedankenguts, die in unterschiedlichem Maße an den geschichtlichen Nationalsozialismus anknüpfen. In diesem Zusammenhang vermisse ich ganz einfach auch die Erfahrungen, die man in Schleswig-Holstein mit vier Jahren DVU im Landtag gemacht hat. Die Redebeiträge dieser Volksgenossen belegten immer wieder, dass heute vertretenes rechtsextremistisches Gedankengut durchaus in der Tradition des Faschismus‘ steht. Dazu findet sich im vorliegenden Papier aber keine Zeile.

Auch in der Frage der weiteren Aufarbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein hätte ich mir mehr gewünscht. Es schadet ja nicht, eine Bibliographie zu bekommen. Sie reißt aber niemanden vom Hocker. Wenn man bedenkt, wie schwierig der Anfang war; wenn man bedenkt, dass gerade die Große Anfrage aus dem Jahre 1989 dazu beitrug, dass junge Historiker sich mit großem Enthusiasmus an die Arbeit machten, dann hätte ich mir auch in dieser Frage von der Landesregierung mehr Engagement gewünscht. Einiges ist im letzten Jahrzehnt abgearbeitet worden. Aber zu sagen: „Das meiste ist geschafft", das kann wohl nicht die Konklusion sein.

Die Blutarmut der Großen Anfrage beschränkt sich aber nicht nur auf den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Die Beantwortung der Fragen zum heutigen Rechtsradikalismus in Schleswig-Holstein liest sich in weiten Zügen wie ein Verfassungsschutzbericht. Dieser Aspekt sollte auch laut Antragstellerin mit einbezogen werden. Aber sie kann nur ein Teil der Analyse darstellen, auf der unsere Schritte gegen den heutigen Rechtsextremismus fußen.

Die Zahlen zu den Ermittlungs- und Strafverfahren mit rechtsextremistischem bzw. fremdenfeindlichen Hintergrund in Schleswig-Holstein machen deutlich, dass wir glücklicherweise gegenwärtig keinen großen Anstieg zu verzeichnen haben. Über vierhundert pro Jahr sind zwar immer noch über vierhundert zu viel. Wir können uns aber leisten, einen kühlen Kopf zu bewahren. Es besteht gegenwärtig wenig Anlass dazu, aktionistisch nach harten innenpolitischen Maßnahmen zu rufen und zweifelhafte Verbote einzufordern. Es muss vielmehr darum gehen, die Ursachen ins Visier zu nehmen. Hierfür bietet die Grosse Anfrage aber nicht annähernd eine ausreichende Grundlage.

Die sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse über die Ursachen von Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit sind klar. Das stellt der Bericht eindrucksvoll dar. Es sind vielfach die Verlierer der Modernisierung, die anfällig sind für solche Gedanken. Die Konklusion aus dieser Erkenntnis ist auch einigermaßen klar: Nur soziale Sicherheit, Bildung und demokratische Teilhabe werden verhindern können, dass die Anhänger rechtsextremen Gedankenguts mehr werden. Das einzige was nicht klar ist, ist der Ansatz der Landesregierung zur vorbeugenden Bekämpfung dieser Ursachen.

Die Landesregierung bleibt hier selbstverschuldet in einem schwierigen Spagat hängen, weil sie gleichzeitig in der Jugend- und Sozialpolitik Haushaltskürzungen vorschlägt. Man spricht z. B. über die herausragende Bedeutung der Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen und will gleichzeitig die Fördermittel für die Demokratiekampagne und „Schleswig-Holstein Land für Kinder" kürzen. Man will junge Menschen daran hindern abzugleiten, und gibt nichts für neue Wege in der Jugendstraffälligenhilfe aus.

Aber nochmals: Der Rechtsextremismus ist mehr als eine Jugendbewegung. Der Bericht zeigt, dass wir in allen Altersgruppen in hohem Ausmaß rechtsextreme und ausländerfeindliche Einstellungen antreffen. Der größte Teil dieser Menschen ist weder jugendlich noch gewalttätig und begreift sich nicht als rechtsextrem. Daher werden wir nicht mit Jugendhilfe oder historischer Aufklärung weiter kommen. Wir kommen nicht umhin, uns auch mit politischen Argumenten auseinander zu setzen. Gerade hier gibt die Landesregierung aber keine zufriedenstellenden Antworten - außer Veranstaltungen in der Erwachsenenbildung, die hauptsächlich jene erreichen dürften, die ohnehin nicht für rechtsextremistisches Gedankengut anfällig sind. Ansätze, die eher auf eine direkte Bearbeitung der Probleme Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit abzielen, bleiben auf Jugendhilfe und Schulen beschränkt. Das reicht nicht.

Der SSW wirbt dafür, dass sich die Demokratinnen und Demokraten im Land den minderheitenfeindlichen Argumenten der Rechtsradikalen stellen. Nur wenn wir gemeinsam plausibel vermitteln, dass Ausländer uns z. B. keine Arbeitsplätze wegnehmen, werden wir den rechten Brandstiftern wirklich das Wasser abgraben. Wir haben daher zum Beispiel die gemeinsame Herausgabe einer Zeitung an alle Haushalte, eine Serie von Zeitungsanzeigen oder ähnliche Maßnahmen angeregt, in denen gegen die offensichtlich hohlen aber wirkungsvollen Parolen der rechten Agitatoren argumentiert werden könnte. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, auch in diesem Hause Verbündete für eine solche Strategie zu finden.

Erfreulich ist es, dass wir endlich eine Debatte darüber bekommen, dass wir ohne Einwanderung gar nicht weiter machen können. Das ist ein Fortschritt und wird hoffentlich auch zur Akzeptanz ausländischer Mitbürger beitragen. Trotzdem besteht auch Anlass anzumahnen, dass Politiker überlegen, was sie auslösen, bevor sie sich an der Diskussion beteiligen. Wir wissen doch alle wie sensibel das Thema ist.

Wir brauchen zusammenfassend das, was der Juso-Bundesvorsitzende Mikfeld mit einem treffenden Ausdruck als „doppelte Integration" bezeichnet hat. Wir müssen Einwanderer in unsere Gesellschaft integrieren, aber wir müssen genauso dafür sorgen, dass die sozial Schwachen und gesellschaftlich Ausgegrenzten in unserem Land in die Gesellschaft integriert werden. Das ist die große Herausforderung vor der wir stehen. Diese Aufgabe steht leider im Widerspruch zu der Zielsetzung, die Lage der öffentlichen Haushalte zu konsolidieren. Die Finanzen dürfen aber nicht wichtiger sein als der soziale Frieden.

Wenn ich die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD zu Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit in Schleswig-Holstein betrachte, dann komme ich leider zu dem Schluss, dass die Beantwortung in zweierlei Hinsicht blutleer ist: Sie lässt im Umgang mit der Vergangenheit den Geist von 1989 vermissen, auf dem sie sich beruft, und sie entbehrt gleichzeitig zukunftsweisender Ansätze zur Bekämpfung des Rechtsextremismus. Ich hoffe, dass die Landesregierung in den Ausschüssen zumindest einen Teil der Fragen beantworten kann, die - zugegebener Maßen teilweise auch wegen der Fragestellung - in der Großen Anfrage offen bleiben. Ihr Bericht macht deutlich, dass wir uns noch viel mehr mit dem Phänomen Rechtsextremismus auseinandersetzen müssen.

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