Rääde · 23.09.2000 Auszüge aus der Rede auf dem SSW-Parteitag 2000

Dass die Politik in der Bundesrepublik durch jeden politischen Skandal ein Stück Glaubwürdigkeit verliert, dürfte mittlerweile ein Allgemeinplatz sein. Wir müssen uns aber Gedanken darüber machen, wie wir es schaffen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik zurückzugewinnen. Das Schüren alter Feindbilder und das Herausposaunen überholter Parolen scheinen dazu wenig geeignet. Stattdessen brauchen wir einen echten Dialog darüber, wie wir unsere Zukunft am Anfang des 21.Jahrhunderts gestalten wollen. Und - ohne vorweg zu nehmen, was unter einem späteren Tagesordnungspunkt debattiert werden soll - wir brauchen den Konsens aller Demokratinnen und Demokraten in der Auseinandersetzung mit den menschenfeindlichen Argumenten der rechten Kräfte in unserer Gesellschaft. Denn wir müssen erkennen, dass auch die Politik mit ihrer Diskussionskultur und Wortwahl dazu beitragen kann, dass rechtsradikales Gedankengut gefördert wird. Der SSW fordert daher, dass sich die Politik dazu verpflichtet, mit politischen Themen, die von rechtspopulistischen Kräften genutzt werden können, sorgsam umzugehen.
Arbeitslosigkeit, Sozial und Arbeitsmarktpolitik
Im richtigen Leben spielen also nicht die Scheinwerfer die entscheidende Rolle. Da geht es einfach um die Bewältigung des Lebens und somit auch um das Recht auf Arbeit. Aus allen Wahlumfragen ging z.B. hervor, dass für die Menschen in Schleswig-Holstein die Arbeitslosigkeit das wichtigste gesellschaftliche Problem ist. Und darum sage ich: Was vor der Wahl als Erwartung an die Politik herangetragen und in Wahlaussagen umgemünzt wurde, darf nach der Wahl nicht als Wahlspeck" entlarvt werden - etwa nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern. Daher begrüßte der SSW, dass sich die Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung ausdrücklich dazu bekannte, dass das Problem der viel zu hohen Arbeitslosigkeit für die Landesregierung weiterhin oberste Priorität haben soll.
Sowohl die Wirtschaft als auch die Landesregierung haben für dieses und das kommende Jahr eine optimistische Konjunkturprognose abgegeben. Dennoch sind immer noch rund 110.000 Menschen in Schleswig-Holstein ohne Arbeit. Damit kann keiner von uns zufrieden sein. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass sich hinter allen Zahlen ein struktureller Wandel verbirgt, der zwar immer mehr Gewinner hat, aber - wenn wir nicht aufpassen - auch sehr viele Verlierer. Daher sage ich: Je schneller unsere Gesellschaft diesen Modernisierungsprozess voranbringt, je schneller sich der Strukturwandel auf allen Ebenen durchsetzt, umso mehr brauchen wir eine zukunftsweisende Sozialpolitik.
Dabei sind Sozial- und Arbeitsmarktpolitik immer auch zwei Seiten derselben Medaille. Es geht in Zukunft mehr denn je darum, wirtschaftliches Wachstum und technologischen Fortschritt mit sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu verbinden. Der SSW unterstützt daher das Bestreben der Landesregierung, die guten wirtschaftlichen Bedingungen dazu zu nutzen, um vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen zu reduzieren. Auch das Ziel, dass spätestens am Ende dieser Wahlperiode jeder Arbeitslose, der in Schleswig-Holstein länger als sechs Monate arbeitslos ist, ein entsprechendes Angebot erhalten soll, findet unsere Zustimmung - zumal dieses Modell in Dänemark bereits mit großem Erfolg praktiziert wird.
Ausbildung, Qualifizierung und Weiterbildung
Vor diesem Hintergrund wird der SSW darauf drängen, dass sich die Landesregierung in den kommenden fünf Jahren auch für die Stärkung des zweiten Arbeitsmarktes einsetzt. Weiterhin fordern wir, dass Ausbildung und Qualifizierung von arbeitslosen Menschen in den Mittelpunkt aller Bemühungen gestellt wird. Im Arbeitsamtbezirk Flensburg konnten im Frühjahr dieses Jahres trotz 15.000 registrierter Arbeitsloser fast 2.000 Stellen nicht besetzt werden. - Angeblich wegen mangelnder Qualifikation der Arbeitslosen. Dieses Beispiel zeigt, dass Arbeitslose nicht links liegen gelassen werden dürfen. Sie müssen ausgebildet und fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden. Anders formuliert: Der SSW will nicht nur einen flexiblen Arbeitsmarkt, wir wollen auch einen räumlichen Arbeitsmarkt. Und wir stehen dazu, dass es zur Verantwortung eines modernen Sozialstaates gehört, durch Ausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung aller Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen, dass Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zusammen passen.
Unsere Wissens- und Informationsgesellschaft fordert die Ausbildung in allen Ausprägungen heraus, denn die Lebenschancen der einzelnen Menschen hängen zunehmend vom Wissen ab, ebenso wie Wissen Politik und gesellschaftliche Entwicklung prägt. Seit Jahren fordert der SSW ein Weiterbildungsgesetz. Vieles deutet aber darauf hin, dass so ein Gesetz in weite Ferne gerückt ist. Somit bleibt Schleswig-Holstein vorerst neben Sachsen das einzige Flächenland ohne Weiterbildungsgesetz. Die Landtagsfraktion hat daher in einem Berichtsantrag die Landesregierung aufgefordert, in der Novembersitzung des Landtags darüber zu berichten, wie sie sich die Zukunft der Weiterbildung in Schleswig-Holstein vorstellt. Entscheidend ist dabei für uns, dass dieser Punkt - wie auch die Forderung nach einer aktiven Arbeitsmarktpolitik - nicht durch die Horrorszenarien des Landeshaushalts 2001 verdrängt wird.
Ökosteuer
Der SSW hat daher die Landesregierung aufgefordert, sich bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, eine steuerliche Entlastung für die vielen Pendler im Lande zu erreichen. Gerade in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein sind viele Mitbürgerinnen und Mitbürger beruflich abhängig von ihrem Auto. Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass die Bundesregierung an der Ökosteuer festhält. Dazu steht aber der SSW weiterhin. Sowohl für die sozialen Sicherungssysteme - sprich: Sicherung der Rentenversicherung - als auch für die Verringerung der Lohnnebenkosten in Deutschland muss die Ökosteuer weiter beibehalten werden. Wer die Ökosteuer abschaffen will, muss erzählen, wo dann das Geld für die Renten und die Senkung der Lohnnebenkosten herkommen soll. Dazu darf man nicht vergessen, dass höhere Energiepreise langfristig zu verstärkten Investitionen in Energieeinsparmaßnahmen, in alternativen Verkehrsträgern und in neueren weniger umweltschädlichen Technologien führen werden und somit unserer Umwelt zu Gute kommen werden. Ich nenne nur als Stichwort das 1-Liter-Auto wie vom VW-Konzern jetzt angekündigt.
Steuerreform
Der SSW begrüßt also, dass die Bundesregierung im Zuge der Diskussion um die Steuerreform - in letzter Minute sozusagen - dem Mittelstand weitere finanzielle Zugeständnisse machte. Auch verkennt der SSW nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger durch die Steuerreform in den nächsten Jahren erhebliche steuerliche Entlastungen bekommen. Aus unserer Sicht bleibt die Finanzierung der Steuerreform für das Land und die Kommunen aber weiter problematisch. Die Quittung für die Zustimmung zur Steuerreform bekommen wir alle zu spüren, wenn es - wie von der Landesregierung bereits angekündigt - so richtig ans Eingemachte geht. Denn allein durch die Steuerreform entsteht dem Land im Haushalt 2001 Netto eine Deckungslücke von fast 500 Millionen DM. Bis 2004 bewirkt die Reform Einnahmeverluste für das Land von über 1 Milliarde DM. Auch die Kommunen werden in den nächsten Jahren dreistellige Millionen Verluste durch diese Reform zu verzeichnen haben. Der SSW bleibt dabei: Wir hätten uns eine Steuerreform gewünscht, deren Finanzierung nicht einseitig zu Lasten der Länder und Kommunen gegangen wäre.
Landeshaushalt 2000
Der von der Landesregierung vorgelegte Haushaltsentwurf für das Jahr 2001 ist ein harter Brocken. Er wird ganz schwer zu verdauen sein - nicht nur für die Kommunen, sondern auch für Vereine und Verbände sowie für Bürgerinnen und Bürger, die von den umfangreichen Kürzungen der Landesregierung betroffen sein werden. Neben den Kürzungen bei den Kommunen und in der Minderheitenpolitik - auf beide Bereiche werde ich noch näher eingehen - sieht der SSW insbesondere Probleme bei den Sparvorschlägen des Sozialministeriums, wo Förderprogramme in Höhe von 17,9 Mio. DM im sozialen Bereich und in der Jugendhilfe gekürzt werden sollen. Wir können die Landesregierung nur raten aufzupassen, dass der Haushalt keine soziale Schieflage bekommt. - Oder anders formuliert: Trotz der schlechten Finanzlage des Landes ist es für den SSW nicht nachvollziehbar, warum gerade eine sozialdemokratisch geführte Landesregierung solche schweren Eingriffe im Sozialbereich vornimmt. Die Landesregierung darf aus meiner Sicht nicht vergessen, dass sie nicht zuletzt die Landtagswahl gewonnen hat, weil viele Wählerinnen und Wähler das Thema Soziale Gerechtigkeit" bei der Regierungskoalition besser aufgehoben sah als bei CDU und F.D.P.
Kommunale Finanzen
Schon als im Landtag kurz vor den Sommerferien die Arbeit des Sonderausschusses zum Thema Finanzbeziehungen Land-Kommunen" seine Arbeit abschloss, sagte ich für den SSW, dass die Landesregierung aus unserer Sicht nicht hat nachweisen können, warum den Kommunen im Haushaltsentwurf 2001 100 Mio. DM gekürzt werden sollen. Alle Zahlen belegen unserer Meinung nach, dass die Kommunen in den neunziger Jahren genau wie das land mit erheblichen finanziellen Problemen zu kämpfen gehabt haben. Eine Kürzung von 100 Mio. DM oder Beträge in ähnlicher Größenordnung können wir nicht mittragen - dazu ist die Haushaltslage zu vieler Kommunen und insbesondere der Landkreise zu schlecht - auch wenn wir die Einschätzung der Landesregierung teilen, dass sich das Land in einer dramatischen Haushaltslage befindet. Das heißt, ob den Kommunen ein Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushalts zugemutet werden kann, ist also ausschließlich eine politische Frage, mit der man sich auch politisch auseinander setzen muss. Es gibt keine objektiven Zahlen, die automatisch als Begründung für einen Eingriff in die kommunalen Kassen sprechen, das ist für den SSW der entscheidende Punkt, dazu stehen wir.
Am 27.September wird sich der Landtag in erster Lesung mit dem Haushaltsentwurf der Landesregierung befassen. Anschließend beginnt die politische Arbeit - die Arbeit des Parlaments. Von daher ist immer noch etwas Wahres an dem Grundsatz, dass vieles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht ist. Dennoch möchte ich wiederholen: Mit dem SSW ist eine Kürzung von 100 Mio. DM im kommunalen Bereich nicht zu machen. Sollte es dennoch dazu kommen werden wir aufzeigen, dass es durchaus Alternativen im Haushalt für so einen Einschnitt gibt. So hat der SSW schon schweren Herzens seine Unterstützung zugesagt hinsichtlich einer Aufgabe der Entbeamtungspolitik der Landesregierung. Dadurch bekäme man kurzfristig eine Einsparung von 50 Mio. DM pro Jahr.
Minderheitenpolitik
In ihrer Regierungserklärung Anfang Mai sprach die Ministerpräsidentin davon, dass Schleswig-Holstein in Europa als Vorbild für partnerschaftliches Zusammenleben von Mehrheiten und Minderheiten gilt" und dass Dänen, Friesen, Sinti und Roma aktiv und selbstbewusst zur kulturellen Vielfalt und Attraktivität unseres Landes beitragen". Alles dies unterstützt der SSW. Wir wissen auch zu schätzen, dass die Ministerpräsidentin mit ihrer Wiederwahl auch gleich eine neue Minderheitenbeauftragte berief. - Wobei Renate Schnack schon längst nicht mehr neu" wirkt, sondern mit großem Engagement und Sachverstand sich an die Arbeit gestürzt hat. Dafür danke ich ihr ganz ausdrücklich.
Wir werden in den kommenden Monaten noch schwierige Verhandlungen führen müssen. Uns allen ist auch bewusst, dass wir heute sehr viel weiter gekommen sind - z.B. in der Akzeptanz von Minderheitenpolitik. Rückschläge wird es immer geben. Die Landtagsdebatte zum Thema Sprachencharta" war einer, aber nach der letzten Beratung im Europaausschuss bin ich zuversichtlich, dass wir dazu einen interfraktionellen Antrag hinbekommen werden.
Dennoch werden wir die Landesregierung an den Aussagen der Ministerpräsidentin messen. Minderheitenpolitik darf nicht zur Schönwetterpolitik verkommen. Alle Formulierungen zum Schutz der Minderheiten sind nur so gut, wie sie sich auch im alltäglichen leben bewähren oder verwirklichen lassen. Für den SSW geht es deshalb immer in erster Linie darum, dass diese Zielsetzungen mit Leben erfüllt werden.
In den Beratungen zum Haushalt 2001 werden wir uns mit allen Kräften dafür einsetzen, dass die angepeilten Kürzungen zurückgenommen werden. Angesichts der anhaltenden Lohn- und Preisentwicklung bedeutet dies jedoch schon für die Organisationen der Minderheiten eine reale Kürzung der Mittel. Es wird ein schwieriger Weg werden, daran ist nicht zu zweifeln - nicht zuletzt, weil so viele gesellschaftliche Bereiche von Kürzungen betroffen sind. Ganz realistisch betrachtet müssen wir bei einer ganzen Reihe von Landtagskollegen - neu gewählte in den holsteinischen Wahlkreisen - erst noch Überzeugungsarbeit leisten. Gleichzeitig werden wir zum wiederholten Mal deutlich machen, dass wir als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes auch davon betroffen sind, wenn ansonsten in Schleswig-Holstein gespart werden muss. Dies gilt insbesondere, wenn auch die Kommunen betroffen sind, denn bekanntlich sind die Zuschüsse für die Minderheiten in den kommunalen Haushalten immer noch freiwillige Leistungen.

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