Rääde · 08.06.2007 Betreuung in Schleswig-Holstein

 
Niemanden möchte ich es wünschen, einmal die Funktion der Betreuungsperson übernehmen zu müssen. Andererseits steigt die Wahrscheinlichkeit in unserer Gesellschaft, dass genau das passiert. In der Regel sind es die eigenen Eltern, die einer Betreuung bedürfen, weil sie selbst nicht mehr in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Aber auch Angehörige, die von Behinderung betroffen sind oder von psychischer Krankheit, können eine Betreuung nötig haben. Betreuung bedeutet ungeheure Verantwortung und birgt umfangreiche rechtliche Konsequenzen.

So unangenehm die Aufgabe sein kann, so vielfältig ist die Unterstützung, die gewährt wird. Die Antwort des Justizministers belegt eindrucksvoll, dass man sich eigentlich vor der Übernahme der Betreuungsverantwortung nicht fürchten muss. Profis in Gerichten oder Betreuungsvereinen stehen einem zur Seite. Bereits die hervorragende Broschüre der Landesregierung gibt eine erste Einführung. Weitere offene Fragen und Aktualisierungen liefert die vorliegende Antwort auf die Große Anfrage der FDP nach. Das Lob geht deshalb auch an die Fragesteller, die sich offensichtlich sehr sachkundig auf das Thema eingelassen haben.
Ich würde mir wünschen, dass dieser Text nicht nur ein Schattendasein als Drucksache führen würde, sondern entsprechend redaktionell aufgearbeitet, Betreuern und Betreuten an die Hand gegeben werde könnte. Er zeigt den aktuellen Stand des Verfahrens an.
Die Antwort belegt aber auch, dass im Betreuungssystem nicht alles eitel Sonnenschein ist. Bereits das Wachstum der Fallzahlen schafft Probleme, die nicht allein von einem Mangel an Informationen herrühren.

Einzeln Fälle nähren die Vorbehalte vieler Bürger, als Betreuter zu einer Nummer zu verkümmern. Gerade ältere Menschen, die zunehmend hinfällig werden, fürchten sich davor, betreut zu werden, weil sie ihre Entscheidungsrechte einbüßen. Betreuung hat zwar nichts mit dem zu Recht abgeschafften System der Entmündigung zu tun; dennoch ist nicht zu leugnen, dass erwachsene Menschen Autonomie und Selbstbestimmung vertrauensvoll in andere Hände geben müssen. Betreuung organisiert sich um einen Vertrauenskern herum. Es geht um gesundheitliche Unversehrtheit und Erhalt der Vermögenswerte. Betreuer, die lieb gewordene Erinnerungen wie Fotoalben oder lebenslange gesammelte Nippes-Figuren vor dem Umzug des Betreuten ins Pflegeheim einfach im Container versenken, weil die Zeit drängt, entstammen keinen erfundenen Horrorstories. 

Außerdem geht es in vielen Fällen um erhebliche Geld- und Vermögenswerte, die die Betreuten im Laufe ihres Lebens angesammelt haben. Das weckt Begehrlichkeiten. In Schleswig-Holstein kommt es im Betreuungssystem immer wieder einmal zu Missbrauch und Überforderung. Erhebliche Vermögenswerte können zur Selbstbedienung verleiten. Auch bei der Einziehung mehrerer Kontrollschleifen ist es nicht gänzlich auszuschließen, dass Betreuer aus der Unselbständigkeit der ihnen Anvertrauten Kapital schlagen. Ein systematischer Betrug erfolgt allerdings nicht. Das möchte ich in aller Deutlichkeit feststellen.

Die Betreuung bringt Einnahmen. Das zweite Betreuungsrechtsänderungsgesetz hat aus Kostengründen die Einzelabrechnung ins Visier genommen, um die Kosten zu deckeln. Der Minister allerdings beurteilt die Umstellung kritisch, weil die Kosten gestiegen sind. Ich bin dagegen davon überzeugt, dass eine pauschale Abrechnung das Verhältnis zwischen Betreutem und Betreuer verbessern kann. Wenn nicht mehr jedes Gespräch Kosten auslöst, wird sich die Beziehung einfach verändern, weil der Betreute nicht mutmaßen muss, ob es nur zum Kontakt kommt, um diesen dann auch abrechnen zu können.

Die Kosten sind gestiegen, gleichzeitig ist der Stundensatz nach der Mehrwertsteuererhöhung gesunken. Ich halte das nicht für den richtigen Weg, zwingt es die Betreuer doch, in die Masse zu gehen, um das Niveau halten zu können. Ich bin gespannt auf die anstehende Evaluation, die sicherlich auch Auskunft über die Auskömmlichkeit der Vergütungen geben kann. Letztlich führt kein Weg an der Anhebung des Nettostundensatzes herum.

Dass die ehrenamtlichen Betreuer ihre Aufwendungen Steuer mindernd geltend machen können, sollte selbstverständlich sein. Doch ich halte die Haltung des Ministers für problematisch, wenn er sich durch den Wegfall steuerlicher Hemmnisse mehr ehrenamtliche Betreuung verspricht. Aus Lebenserfahrung weiß man doch, dass steuerliche Anreize quasi nur das Tüpfelchen auf dem I sind; sie sind auf jeden fall nicht der Auslöser, um nun gerade Betreuer zu werden. Dazu wiegt die Verantwortung als Betreuer zu schwer, als dass einem die Steuerersparnis, die übrigens nur Gut verdienende völlig einstreichen können, zur Übernahme der Betreuungsverantwortung bewegt. Selbstverständlich sollten alle Aufwendungen, die getätigt werden, steuerlich absetzbar sein. Das sollte aber im Übrigen für alle ehrenamtlichen Tätigkeiten gelten.

Die Mehrheit der Betreuer stellen Familienangehörige. Das Übergewicht ehrenamtlicher Betreuer ist eine politische Entscheidung. Darum erachte ich die Aussage für problematisch, dass die zu besorgenden Geschäfte immer komplexer werden und darum den „häufigeren Einsatz von Berufsbetreuerinnen und -betreuern erforderlich“ mache (Seite 19). Aufgabe des Staates und der Gerichte ist es, die Geschäfte auch für Laien handhabbar zu machen. Da sind wir alle in der Pflicht. Der Vorrang der Einzelbetreuung ist gesetzlich vorgeschrieben und sollte respektiert und umgesetzt werden. Andererseits ist eine Überforderung der Angehörigen tunlichst zu vermeiden. Aber darauf scheint es keine Hinweise zu geben.
Die Diskussionen auf Bundesebene haben sich sehr differenziert mit einem möglichen Automatismus der Übernahme der Betreuungsverantwortung durch Eltern oder Ehegatten auseinander gesetzt. Wir sollten diese Themen aber weiterhin, auch mit den Betreuern, besprechen, weil in einer gespannten Beziehung eine Betreuung nicht optimal ausfallen kann.

Die Ehrenamtler können oftmals über Nacht, wie das bei einem Schlaganfall passieren kann, zum Betreuer werden. Das kann man nicht auf Vorrat üben. Umso wichtiger ist ein umfassendes Erstgespräch und eine professionelle Begleitung. Die Betreuungsvereine leisten in diesem Zusammenhang gute Arbeit. Aber auch hier gilt, dass eine Wahlmöglichkeit bzw. eine Auswahlmöglichkeit gut ist. Das gilt in fünf Kreisen, in denen zwei Vereine ansässig sind; in allen anderen existiert lediglich ein Verein. Es ist überlegenswert, ob die Landesregierung hier steuernd in die Vielfalt eingreifen sollte, indem sie zur Gründung neuer Vereine ermutigt; die steigenden Fallzahlen legen eine entsprechende Ausweitung nahe. Es ist durchaus denkbar, dass die Ehrenamtler Alternativen wünschen und sich mit den Quasi-Monopolen nur abgefunden haben.
Über den Daumen gepeilt erhalten die Vereine für ihre Arbeit im Jahr ungefähr 30.000 Euro. Ist das ausreichend oder wird hier ein Mangel verwaltet? Hier hätte ich mehr darüber gewusst, wie die Mittel eingesetzt werden: in Miete oder Verwaltungskosten oder etwa Fortbildung?

Es sind vor allem die Berufsbetreuer, die immer mal wieder in die Kritik geraten und die bei vielen Unbehagen und Furcht vor dem Kontrollverlust auslösen. Der Fall Thea Schädlich scheint diesen Vorurteilen neue Nahrung gegeben zu haben. Schädlich ist bekanntlich eine anscheinend etwas eigene Hausbesitzerin aus Kummerfeld, deren Haus von ihren gerichtlich bestellten Betreuern gegen ihren Willen an die Gemeinde verkauft worden war. Die Medien schlugen Alarm. Allerdings dauerte es sehr lange und bedurfte einer regelrechten Kampagne, bis Frau Schädlich ihr Haus wieder bekam und dort einziehen konnte. Die Medien prangerten die Überforderung der Berufsbetreuer an, die lediglich dreieinhalb Stunden pro Monat Zeit für einen Hilfsbedürftigen hätten.

Das mag in einfachen Fällen ausreichen, bei komplizierten Betreuungen allerdings kann es zum Handeln gegen den Willen des Betreuten kommen. Die Antwort der Landesregierung kann diese Befürchtungen nicht ganz ausräumen. Eine kleine Minderheit der Berufsbetreuer betreut übers Jahr gesehen 60 und mehr Menschen; nicht gleichzeitig nebeneinander, wie das Ministerium betont. Eine hohe Fallzahl erhöht meines Erachtens aber die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler passieren. Es ist strengstens zu kontrollieren, dass nicht allein durch die hohe Zahl Betreuter Probleme entstehen. Und die Gerichte sollten strengstens darauf achten, dass eine Fallobergrenze eingehalten wird. Das ist umso wichtiger, weil die Zahl der Betreuungsfälle insgesamt weiter wachsen wird; die Überforderung einiger weniger Profis also zunehmen könnte.

In diesem Zusammenhang ist die Erarbeitung eines einheitlichen Handlungskonzeptes durchaus bedenkenswert. Papier ist geduldig. Sicherlich. Doch ich bin davon überzeugt, dass Betreuer und Betreute immer wieder vor die gleichen oder ähnlichen Problemlagen stehen. Eine einheitliche Handlungsrichtlinie wäre deshalb wünschenswert.

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