Rääde · 08.10.2010 Entschädigung für Opfer von Heimerziehung

Das Leid und Unrecht in der Heimerziehung der 40er, 50er und 60er Jahre beschäftigt uns hier im Landtag regelmäßig und auch der SSW hält es selbstverständlich für richtig, diesen Punkt erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Auch die Frage nach einer Entschädigung für die Opfer, die die SPD mit ihrem Antrag aufgreift, muss unserer Meinung nach endlich geklärt werden. Denn auch wenn es in staatlichen und kirchlichen Heimen natürlich nicht generell der Fall war, gehörten Prügel, sexuelle Übergriffe und Zwangsarbeit doch in erschreckend vielen Einrichtungen zum Alltag. Auch der Runde Tisch „ Heimerziehung“ in Berlin hat dies kürzlich bestätigt und festgestellt, dass es zu zahlreichen Rechtsverstößen gekommen ist, die auch mit der damaligen Rechtslage nicht vereinbar waren. Die Zahl der Opfer und die Schwere der psychischen Folgeschäden sind jedenfalls so groß, dass eine umfangreiche Aufarbeitung auch in Zukunft zwingend notwendig ist.

Dies gilt nicht zuletzt für Schleswig-Holstein, wo das Beispiel des Landesfürsorgeheims Glücksstadt nur stellvertretend für viele andere Einrichtungen zu nennen ist. Jedem hier ist doch klar, dass hier im Land Kinder und Jugendliche unter höchst zweifelhaften Begründungen in geschlossene Heime eingeliefert und ihrer Menschenwürde beraubt wurden. Insbesondere im Heim in Glücksstadt wurden die Zöglinge nicht nur wie Gefängnisinsassen behandelt und mitunter in Isolationszellen untergebracht, sondern in manchen Fällen auch misshandelt und missbraucht. Dies und die Tatsache, dass die Fürsorgeheime ihre Zöglinge systematisch zur Arbeit gezwungen haben, ist aus Sicht des SSW einfach nur zutiefst beschämend.

Dass eine umfangreiche Aufarbeitung auch hierzulande nötig ist, dürfte also eigentlich auch der Landesregierung und dem zuständigen Ministerium bewusst sein. Umso mehr hat uns daher verwundert, was aus den kleinen Anfragen des SSW und der Linken zu diesem Thema hervorgegangen ist: Anstatt die besonders wichtige wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse auszuweiten oder zumindest weiterhin zu fördern, scheint man es bei der Publikation des Jugendhilfeexperten Professor Schrapper belassen zu wollen. Bei den zentralen Fragen nach dem zukünftigen Umgang mit dem Thema auf Landesebene und der Entschädigung der Opfer verweist die Landesregierung auf die zukünftigen Ergebnisse aus Berlin. Für den SSW muss ich deshalb sagen, dass dies den Opfern und dem Ausmaß dieses Problems nicht gerecht wird.

Die Opfer der Heimerziehung müssen endlich auch als Opfer von Menschenrechtsverletzungen anerkannt werden und ihnen muss bei der Aufarbeitung der schrecklichen Erlebnisse zügig und qualifiziert geholfen werden. Die Geschichte der Heimerziehung muss weiter umfassend untersucht werden, so dass sich auch der SSW für die Ausweitung der wissenschaftlichen Aufarbeitung auch auf weitere Heime ausspricht. Im Übrigen sehen wir uns schon allein als Parlamentarier in der Pflicht, für eine lückenlose Aufklärung in dieser Sache zu sorgen. Schließlich waren unsere Vorgänger hier im Landtag durchaus über die Zustände im Fürsorgeheim Glücksstadt informiert, ohne dass die Schließung der Einrichtung mit letzter Entschlossenheit verfolgt wurde. Aus unserer Sicht ist die Aufarbeitung der Geschehnisse durch die Politik auch nicht zuletzt deshalb wichtig, weil wir dadurch den Betroffenen signalisieren, dass man ihre Belange ernst nimmt.

Auch wenn wir es in manchen Punkten für sinnvoll halten, auf die Ergebnisse des Runden Tisches in Berlin zu warten, um dann daraus weitere Handlungsmöglichkeiten für das Land Schleswig-Holstein ableiten zu können, halten wir eine Sache für besonders wichtig: Die von den „Insassen“ geleistete Zwangsarbeit muss selbstverständlich bei der Rentenversicherung als Zeit anerkannt werden. Dass für viele Opfer der Heimerziehung mit dem Aufenthalt im Heim eine Stigmatisierung und somit erhebliche Nachteile im weiteren Arbeitsleben einhergingen, ist schlimm genug. Ihnen ist aber ein Anspruch auf Rentenanwartschaften für die geleistete Arbeit zu gewähren. Eine Anerkennung ist auch deshalb erforderlich, weil die erzwungene Arbeit auch die Existenz der Heime bedeutete. Hier sehen wir das Land ganz eindeutig in der Pflicht, diesen Zustand so schnell wie möglich zu ändern.

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