Rääde · 14.10.2015 In Punkto Wahlbeteiligung haben wir kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsdefizit

Lars Harms zu TOP 18+32 - Enquete Kommission „Aktive Bürgerbeteiligung“ und Antrag zur Wahlbeteiligung

Heute legen die Koalitionsfraktionen und die CDU gemeinsam einen Antrag vor, der für verbesserte Möglichkeiten bei der Wahlbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger sorgen soll. Dabei kann ich aus Sicht des SSW sagen, dass wir nicht die Erwartung haben, dass die Wahlbeteiligung durch die Umsetzung der Maßnahmen markant steigen wird. Es geht uns vielmehr darum, dass die Maßnahmen dazu beitragen sollen, die Schwelle zur Wahl zu gehen gesenkt wird. Das ist sicherlich oftmals ein und dasselbe. Aber es ist für uns vor allem eine demokratietheoretische Frage. 

Die Fragen, die sich uns gestellt haben, waren nämlich, ob bestimmte Gruppen stärker ausgeschlossen waren als andere und ob es zu beseitigende Hemmnisse gab, die den Informationsfluss im Vorwege der Wahl beeinflusst haben. Denn es geht hier nicht nur um die reine Wahlteilnahme, sondern auch um eine gute Informationsmöglichkeit vor der Wahlentscheidung.

Die Vorschläge zur Wahlwerbung sollen etwa auch die Information der Bürgerinnen und Bürger verbessern helfen. Der Wunsch nach Begleitung durch die Institutionen, die sich der politischen Bildung verschrieben haben, dient vornehmlich dem gleichen Ziel. Es ist also mitnichten so, dass die rein zahlenmäßige Wahlbeteiligung das alles entscheidende Kriterium ist – es geht vor allem um die Qualität. Und es geht um die Menschen, die bisher noch nicht den richtigen Zugang zu den Wahlen hatten. Hier geht es somit um die Stärkung der Demokratie an sich. Deshalb sollen ausländische Mitbürger Hilfestellungen in ihren eigenen Sprachen erhalten können. Und deshalb sollen Menschen mit Handicaps Unterlagen in leichter Sprache erhalten. Solche Maßnahmen sind alles Maßnahmen von denen man auch sagen könnte, dass sie doch eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Sind sie aber nicht und deshalb öffnet unser gemeinsamer Antrag auch eine Tür für alle diejenigen, die sich an einer Wahl beteiligen möchten. Durch die Tür müssen diese Menschen aber immer noch selber gehen.

Wir haben ja neben den konkreten Umsetzungsvorschlägen der Koalition und der CDU auch noch den Antrag der Piraten zur Einrichtung einer Enquete-Kommission. Ich bezweifle, dass ein so aufwendiges Instrument etwas an der vorgeblichen Wahlmüdigkeit ändern wird. Auch die von den Piraten vorgegebenen Untersuchungsgegenstände, die natürlich nur politische Vorstellungen der Piraten untersuchen sollen, führen hier nicht weiter. Was Wahlbeteiligung angeht, haben wir kein Erkenntnisdefizit. Wir haben ein Handlungsdefizit, das wir mit unseren Vorschlägen auch konkret angehen. Wenn man Untersuchungen zur Wahlbeteiligung ansieht, dann stellt man erst einmal fest, dass das Wegbleiben von der Wahl nicht zwangsweise etwas Negatives als Ausgangspunkt haben muss. 

Es kann zum Beispiel eine sehr bewusste Entscheidung des Einzelnen sein, nicht zur Wahl zu gehen, weil einem ganz einfach das Angebot nicht behagt. Die Nichtteilnahme an einer Wahl, kann aber auch ein Ausdruck der Zufriedenheit sein. Es läuft alles; es geht einem gut. Warum sollte man dann etwas verändern?

Das Wesen unserer Demokratie ist ja glücklicherweise, dass wir immer eine Auswahl zur Verfügung haben. Sowohl was Kandidaten und Parteien angeht, als auch was die Teilnahme an der Wahl an sich angeht. Hätten wir dies nicht, dann wäre gewiss die Demokratie in Gefahr und dann könnte man sich schon Sorgen machen. Allerdings in einem Bereich, sehen wir demokratische Prinzipien schon auch bei uns in Gefahr. Bei der letzten Kommunalwahl 2013 gab es in den rund 1.100 Kommunen in Schleswig-Holstein 327 Kommunen, wo sich nur eine einzige kommunale Wählerliste aufstellen ließ. Das heißt, hier wurde auf einer Versammlung vor der Wahl eine Liste zusammengestellt, die dann am Wahltag in ihrer Gesamtheit zur Wahl stand. Alternativen gab es nicht. Und ob man zur Wahl ging oder nicht, änderte nichts an der Zusammensetzung des Gemeinderates. Unter demokratietheoretischen Gründen ist das eine Katastrophe. Auch deshalb müssen wir dringend über größere Gemeinden nachdenken.

Im Antrag der Piraten ist auch viel von direkter Bürgerbeteiligung die Rede. Das ist an sich gut und erstrebenswert und wir haben ja in dieser Wahlperiode ja auch schon viel in diesem Bereich erreicht. Aber wenn man sich Bürgerbeteiligung unter dem Aspekt der Wahlbeteiligung betrachtet, dann wird es schwierig. Untersuchungen sagen uns, dass insbesondere sozial schlechter gestellte Gruppen von Wahlen fernbleiben. Gleichzeitig sagen diese Untersuchungen, dass die eher besser gestellten Bevölkerungsgruppen sich auch bei Volksabstimmungen oder bei Bürgerbegehren beteiligen. Spinnt man diesen Gedanken weiter, dann führen bessere Beteiligungsmöglichkeiten nicht zu mehr Wahlbeteiligung, sondern zu noch höheren Einflüssen der besser gestellten. Unter der Maßgabe, die Wahlbeteiligung zu erhöhen, wirken verbesserte Beteiligungsmöglichkeiten in diesem Bereich also nicht.

Wenn ich die Wahlbeteiligung mit Sicherheit erhöhen will, muss ich eine Wahlpflicht einführen oder gegebenenfalls monetäre Anreize setzen. Dies haben wir bisher verworfen, weil dies der freien Entscheidung zur Wahl zu gehen oder auch nicht entgegenstehen würde. Solange wir eine solche freie Entscheidung haben wollen, müssen wir diese auch akzeptieren und vielleicht auch davon abgehen, zu meinen, dass nur eine extern hohe Wahlbeteiligung eine demokratische Legitimation beinhaltet.

Hinweis: Diese Rede kann hier als Video abgerufen werden:

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