Rääde · 25.03.2021 Jüdisches Leben gehörte und gehört zu Schleswig-Holstein

„Veranstaltungen, Aktionen und Maßnahmen mobilisieren Solidarität und erhöhen die Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein.“

Lars Harms am Meer

Lars Harms zu TOP 13 - 1700 Jahre jüdisches Leben (Drs. 19/2786)

Für Einige ist Vielfalt in Deutschland nur schwer auszuhalten: Beschimpfungen und Bedrohungen von Menschen, die vermeintlich anders sind, sind leider an der Tagesordnung. Ein fremd klingender Name oder eine Kippa reichen schon aus, und manche Menschen beginnen, zu pöbeln und zu drohen. Das hat weder etwas mit dem Namen oder der Kippa zu tun, sondern ist Ausdruck von Antisemitismus in unserer Gesellschaft. 
Dem ist nur schwer beizukommen. Die Zahl der antisemitischen Straftaten zeugt davon. Gut, dass wir eine wachsame Zivilgesellschaft und engagierte Lehrkräfte in den Schulen haben. Darüber hinaus gibt es einige Organisationen, die in Schleswig-Holstein aktiv gegen Antisemitismus vorgehen; wie beispielsweise die unabhängige Meldestelle für Antisemitismus. Dort werden die antisemitisch motivierten Vorfälle nicht nur dokumentiert und ausgewertet, sondern dort findet auch eine sehr gute Betroffenenarbeit statt. Zeuginnen und Zeugen sowie Personen, die zum Beispiel bei Facebook oder Instagram von antisemitischen Vorfällen Kenntnis erlangt haben, können sich bei der landesweiten Informations- und Dokumentationsstelle melden. Antisemitismus ist ein Problem. Gut, dass wir das angehen.
Vor diesem Hintergrund ist das Festjahr zu 1700 Jahren jüdischen Lebens von großer Bedeutung. Veranstaltungen, Aktionen und Maßnahmen mobilisieren Solidarität und erhöhen die Sichtbarkeit und Selbstverständlichkeit jüdischen Lebens in Schleswig-Holstein. 
Ich möchte  dieser Stelle ganz klar sagen: Jüdisches Leben gehörte und gehört zu Schleswig-Holstein. Wobei von dem jüdischen Leben kaum die Rede sein kann: Juden und Jüdinnen lebten schon immer eine große Vielfalt wie ihre Nachbarinnen und Nachbarn eben auch. Sie arbeiten in unterschiedlichen Berufen, leben in verschiedenen Familienmodellen und haben jeder und jede eine eigene Geschichte. Diese Vielfalt anzuerkennen und abzubilden, muss ein zentrales Ziel des Festjahres sein. Abziehbilder von jüdischen Gemeinden braucht niemand. Eine lebendige Auseinandersetzung ist der Musealisierung immer vorzuziehen. Das sage ich als Friese, der sich auch schon das eine oder andere Mal erklären lassen muss, wie ich denn zu sein habe.
Ich empfehle ausdrücklich den Besuch des jüdischen Museums in Rendsburg, das auf eine wunderbar unaufgeregte Weise die letzten Jahrhunderte Revue passieren lässt. Dort stellt man sich der Geschichte, ohne zu belehren. Beginnend mit dem königlichen Privileg lebten in Rendsburg seit 1672 Jüdinnen und Juden, gründeten eine Schule, bauten eine Synagoge und legten einen Friedhof an.  Rendsburg zählte neben Glückstadt und Friedrichstadt zu den sogenannten Toleranzstädten im späteren Schleswig-Holstein, die das jüdische Leben förderten. 
Die Nazis wollten das jüdische Leben in unseren Dörfern und Städten vernichten. Sie konnten dabei nur deswegen so effizient sein, weil viele Menschen auf Arisierungsgewinne schielten, von jüdischem Eigentum profitierten oder in der öffentlichen Verwaltung Stellen besetzten, nachdem jüdische Stelleninhaber gefeuert worden waren. Sie unterstützten Hetzkampagnen und die Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens. Diese historische Schuld ist der Antrieb für den Ruf nach „Nie wieder“. 
Das ist aktuell wieder gefragt: Attentate, Judenhetze im Internet und Judensterne auf so genannten Querdenker-Demos sind Warnsignale, denen wir gemeinsam und mit großer Entschlossenheit entgegentreten müssen. 
Das Festjahr ist in dieser Auseinandersetzung ein wichtiger Baustein. Dabei kommt es besonders darauf an, auf welche Weise dieses besondere Jubiläum begangen wird.  Langweilige Formate schaden mehr, als dass sie uns weiterbringen. Ein interessierter Austausch setzt auf informierten Dialog. Miteinander statt über einander sprechen ist dabei das Mittel der Wahl. Die Beteiligung an den Diskussionen und Veranstaltungen fällt aber vielen Jüdinnen und Juden nicht leicht, weil sie nach so einer Veranstaltung Repressalien fürchten.  Darum sollte das Festjahr möglichst viele Angebote machen, wie wir uns abseits des Festjahres und seines offiziellen Programms begegnen und austauschen können. Wir haben uns etwas zu sagen und das sollten wir auch tun.
Aussöhnung und Dialog sind eben nicht mit einer Geschichtsstunde oder einem Besuch einer Gedenkstätte erledigt; obwohl ich beides für absolut alternativlos halte. Eine intensive und nachhaltige Auseinandersetzung muss auf vielerlei Weise geschehen. Ich bin darum besonders froh über die Vielfalt der Angebote mit Konzerten, Lesungen, Theaterstücken und Filmen. Nicht das leicht Konsumierbare sollte dabei im Vordergrund stehen, sondern das Nachhaltige, das über den Besuch der Ausstellung oder das Konzert hinweg Eindruck macht. Junge Menschen müssen wir dabei auf besondere Weise ansprechen – diese Formate sehe ich etwas unterrepräsentiert. Da muss noch nachgesteuert werden. Junge Menschen an unsere gemeinsamen Wurzeln heranzuführen und sie neugierig zu machen, selbst weiter zu forschen, stellt gewiss eine besondere Herausforderung dar. Nur so sichern wir auch nachfolgenden Generationen die Zukunft des jüdischen Lebens. 
Ich warne daher ausdrücklich davor, den Blick ausschließlich zurück zu richten, auf das vermeintlich gesicherte Terrain. Ein zweidimensionaler Zugang ist das Gegenteil eines lebendigen Dialogs, der nach den Potenzialen und der Zukunft jüdischen Lebens fragt.  In diesem Zusammenhang sehe ich auch das Engagement in der jüdisch-arabischen Verständigungsarbeit. Deswegen bin ich besonders froh darüber, dass wir für das Bildungszentrum Givat Haviva, das als Begegnungsstätte für jüdische und arabische Israelis Friedensarbeit leistet, eine Förderung im Haushalt von 25.000 Euro haben unterbringen konnten.
Das Festjahr leidet unter dem Pandemie-Geschehen. Corona macht vielleicht die Planungen des Festjahres zunichte oder kann zu Absagen führen. Das wäre bedauerlich. Darum sind virtuelle Formate oder die Übertragung von Lesungen durch den Offenen Kanal oder via Internet besonders wichtig. Ich rufe darum die Ausrichter ausdrücklich zu mutigen Formaten auf, die auch auf Abstand genossen werden könnten. Aus der Erfahrung des mehr oder weniger abgesagten deutsch-dänischen Jubiläumsjahres 2020 heraus kann ich nur dazu ermuntern, neue Formate anzubieten, die auch unter Wahrung von Hygieneregeln und Abstandgeboten umgesetzt werden können. 

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