Rääde · 20.06.2002 Konsequenzen aus der PISA-Studie

Es wäre schon interessant zu erfahren, wie in den verschiedenen OECD-Ländern über Pisa diskutiert worden ist. Ich bin mit fast sicher, dass in keinem Land die Debatte so emotional geführt wird wie in der Bundesrepublik. Das liegt zum einen an den Ergebnissen der Pisa-Studie, zum anderen hängt es aber auch damit zusammen, dass Bildung zur Kulturhoheit der Bundesländer gehört. Das heißt, dass schulpolitische Debatten - auch über Pisa - selten unter der Überschrift „Schule“, sondern eher unter der Überschrift „Politik“ geführt werden. Denn ich behaupte ganz einfach: Würde die Schule und die Weiterentwicklung von Schule im Mittelpunkt dieser Debatten stehen, wäre es auch möglich, politische Beschlüsse im Konsens zu fassen. Statt dessen wird versucht, die Konsequenzen aus der Pisa-Studie allein als inhaltliche Mängel unseres Schulwesens hinzustellen. Eine Änderung von schulischen Strukturen wird von vornherein abgelehnt, weil die Angst vor neuen Grabenkämpfen in der Bildungspolitik zu groß ist.

Was bleibt, ist ein Bildungssystem das kürzlich in der Frankfurter Rundschau wie folgt umschrieben wurde: „Vordemokratische Bildungsorientierungen sind in Deutschland noch immer wirksam.“ Der Autor des Artikels weist auf eine weit verbreitete Einstellung in der Bundesrepublik hin, der zufolge eine anspruchsvollere Bildung von leistungsschwachen Schülern nicht möglich und auch nicht nötig sei. Sie sei nicht möglich, weil die einzelnen Schülerinnen und Schüler von Natur aus mit ungleichen und weitgehend bildungsresistenten Begabungen ausgestattet seien. Von daher ist die Teilung der Kinder ab der 4. Klasse – angeblich nach Eignung – nur folgerichtig.
Nun könnte man natürlich einwenden, was soll diese Vorführung des deutschen Bildungswesens, wenn doch Pisa belegt, dass Schulsysteme mit ganz unterschiedlichen Strukturen gute schulische Leistungen hervorbringen. Und warum weiterhin an dem gegliederten Schulsystem herumnörgeln, wenn doch beispielsweise Bayern anscheinend so gut abschneidet? Dazu wegen der kürze der Zeit drei Feststellungen:

1)Wenn Bildung auch unter dem Motto gleiche Bildungschancen erörtert wird, dann kommt man nicht drum herum, wesentliche Eckpfeiler des gegliederten Schulsystems in Frage zu stellen. Dazu gehören nicht zuletzt Fragen, die mit Lernpsychologie zusammenhängen. Mir ist keine fachlich untermauerte Stellungnahme bekannt, die belegt, wieso es gerechtfertigt ist, Kindern nach der 4. Klasse zu teilen.

2) Wenn man sich – wie in Schleswig-Holstein und wie es auch vom SSW mitgetragen wird – für mehr Autonomie im schulischen Bereich einsetzt. Wenn man also Hierarchien abbauen will, dann sollte man diesen Schritt auch zu Ende denken. Das heißt, dort, wo man sich auf regionaler Ebene auf die Einführung einer 6-jährigen Grundschule einigt, sollte es auch möglich sein, sie einzuführen. Wer eine Stärkung der Grundschule will, muss auch gewillt sein, die Grundschulzeit zu verlängern. Aus dem Änderungsantrag des SSW zu dem vorliegenden Antrag der Regierungsfraktionen geht hervor, dass die Schulen der dänischen Minderheit mit ihrer schulartunabhängigen Orientierungsstufe – mit der 6 jährigen Grundschule also – gute Erfahrungen gemacht haben. Man braucht eben nicht nach Finnland zu reisen, um zu sehen, was mit anderen Strukturen erreicht werden kann.

3) Nach der Sommerpause werden wir uns wieder mit der Unterrichtssituation im Lande befassen. Dabei wird es wieder um Unterrichtsausfall und um Lehrerstellen gehen. Daher zum wiederholten Male: Vor dem Hintergrund fehlender Ressourcen muss die Frage gestellt werden, wie lange wir es uns noch leisten können, 5 Schularten aufrecht zu erhalten. Und zum wiederholten Male füge ich hinzu: Die ungeteilte Schule ist nur so gut, wie man sie macht. Aber ihr Vorteil ist, dass Handlungspläne schnell umgesetzt und Herausforderungen schnell aufgegriffen werden können, weil es eine Schule für alle gibt. Wer etwas verändern will, kann gleich damit beginnen.

Zum Schluss noch eine kurze Anmerkung zum Antrag der regierungstragenden Fraktionen: Wir werden in gewohnter Weise alle konstruktiven Schritte, die in Sachen Schule in die richtig Richtung weisen, mittragen. Der vorliegende Antrag enthält viele solcher positiven Ansätze.

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