Rääde · 24.03.2023 Neue ausgewogene Arbeitszeitmodelle statt eindimensionale Initiativen

„Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Antragsteller wohl nicht als allererstes mit den Gewerkschaften ausgetauscht haben. Aber diese Perspektive wäre vielleicht ganz hilfreich gewesen. Denn hier hat man eine glasklare Haltung zu diesem Vorschlag: Wen auch immer man hier fragt; alle verweisen darauf, dass die gesetzlich festgelegte maximale werktägliche Arbeitszeit bereits an der Obergrenze dessen liegt, was vor allem aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vertretbar ist.“

Christian Dirschauer zu TOP 17 - Arbeitszeitgesetz zeitgemäß weiterentwickeln – Bedürfnissen von Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern und Betrieben im Rahmen von Tarifverträgen gerecht werden und Dialogprozess zur Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen starten (Drs. 20/707 und 20/749)

Milde ausgedrückt ist das, was uns die FDP hier als zeitgemäße Weiterentwicklung des Arbeitszeitgesetzes verkaufen will, reichlich unausgewogen. Die maximal mögliche Arbeitszeit soll auf bis zu 13 Stunden täglich angehoben werden. Da mag man vermuten, dass das vor allem Unternehmen freut. Doch weit gefehlt: Laut FDP entspricht das längst nicht nur den Wünschen der Arbeitgeberseite, sondern ausdrücklich auch den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ja, dieser Vorschlag führt sogar zu einer besseren Work-Life-Balance und sorgt nicht zuletzt für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Ganze wird als „bedarfsgerechte Flexibilisierung“ gelabelt, von der am Ende des Tages alle profitieren: Die Betriebe, weil sie ihre Beschäftigten beispielsweise bei der Durchführung von Veranstaltungen länger einsetzen können. Und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, weil sie vermeintlich flexiblere Arbeitszeiten haben, die dann im Zweifel sogar in einer Vier-Tage-Woche münden. 

Die Realität sieht aber völlig anders aus. Ohne Frage wird mittlerweile in fast allen Bereichen händeringend nach Fachkräften gesucht. Flexiblere Arbeitszeitmodelle können da durchaus für mehr Attraktivität sorgen. Aber eben nicht im Sinne einer Arbeitswoche, die in Richtung 50, sondern vielmehr in Richtung 30 Stunden geht. Durch solche Modelle lässt sich dann tatsächlich auch die Arbeit mit dem Familienleben, dem Ehrenamt, der Pflege von Angehörigen oder mit Hobbies oder Freundschaften verbinden. Wie das nach einer 48-Stunden-Woche und vor allem nach 13-Stunden-Arbeitstagen möglich sein soll, ist mir ehrlich gesagt schleierhaft. Für den SSW muss ich daher ganz klar sagen: Ja, die entstehenden Gestaltungsspielräume im Rahmen der Reform des Arbeitszeitgesetzes im Bund sollen unbedingt genutzt werden. Aber bitte wirklich im Sinne der hier erwähnten Ziele: Für arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeiten, für menschenwürdige Arbeitsbedingungen und im Sinne der Vereinbarkeit mit Familie oder Freizeit. 

Die Vermutung liegt nahe, dass sich die Antragsteller wohl nicht als allererstes mit den Gewerkschaften ausgetauscht haben. Aber diese Perspektive wäre vielleicht ganz hilfreich gewesen. Denn hier hat man eine glasklare Haltung zu diesem Vorschlag: Wen auch immer man hier fragt; alle verweisen darauf, dass die gesetzlich festgelegte maximale werktägliche Arbeitszeit bereits an der Obergrenze dessen liegt, was vor allem aus Sicht des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vertretbar ist. Alle halten eine weitere Ausdehnung für unzumutbar. Und alle verweisen darauf, dass die von ihnen vertretenen Beschäftigten in Umfragen seit Jahren eine klare Präferenz äußern: Und zwar nach mehr Freizeit und nicht nach mehr Arbeitsstunden. Das kann auch deshalb kaum verwundern, weil wir es in vielen Branchen mit einer zunehmenden Arbeitsbelastung und Arbeitsverdichtung zu tun haben. 

Wenn man sich also nicht ausschließlich an die Arbeitgeber hält, wird man schnell feststellen, dass es kaum Wünsche nach einer Ausdehnung der täglichen Arbeitszeit gibt. Aus Sicht des SSW sollten wir diese gesellschaftliche Realität nicht nur anerkennen, sondern auch schauen, welche Punkte im Arbeitszeitgesetz wirklich angepasst werden müssen. Denn darüber, dass dieses Gesetz tatsächlich nicht mehr in allen Punkten zeitgemäß und darüber hinaus auch ausgesprochen unübersichtlich ist, sind wir uns sicher einig. Hieraus aber ausschließlich die pauschale Forderung nach einer Verlängerung der täglichen Arbeitszeit abzuleiten, wird auch dem Reformbedarf nicht gerecht. Aus unserer Sicht gibt es andere Regelungen, die viele eher einer Überarbeitung bedürfen. Die Landesregierung sollte zum Beispiel dringend ihren Einfluss nutzen und dafür sorgen, dass lebensnahe Regelungen für das Homeoffice getroffen werden. Und losgelöst hiervon sollte man diese Vorschläge natürlich in Zusammenarbeit mit den Tarifpartnern entwickeln, bevor man konkrete, und in diesem Fall eindimensionale, Initiativen zu Gesetzesänderungen formuliert. So kämen wir hier dann nicht nur zu ausgewogenen und realistischen Vorschlägen, sondern auch zu wirklich zeitgemäßen.

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