Rääde · 22.02.2006 Regierungserklärung zum Thema „Vogelgrippe“

Als wir hier im Landtag vor etwa drei Monaten über die Vorsorgemaßnahmen und gesundheitspolitischen Aktivitäten der Landesregierung gegen die Vogelgrippe debattierten, galt das Gebiet der Europäischen Union noch als H5N1-Virusfrei. Doch mittlerweile müssen wir erkennen, dass sich das Virus innerhalb der letzten Monate schneller ausgebreitet hat, als vielleicht anzunehmen war. Neben Deutschland gibt es nunmehr auch in mehreren anderen EU-Mitgliedstaaten Verdachtsfälle beziehungsweise bestätigte Fälle von Vogelgrippe bei Wildvögeln. Natürlich ist diese Entwicklung entsetzlich, aber sie war auch absehbar, trotz aller getroffenen Vorkehrungen und Maßnahmen.

Aufgrund der steten Verbreitung des Virus im Süden Europas war nicht davon auszugehen, dass Deutschland hiervon unberührt bleiben würde. Es war aber davon auszugehen, dass das größte Verbreitungsrisiko mit der Rückkehr der Zugvögel aus dem Süden in den kommenden Monaten gekoppelt sein würde. Daher war es überraschend, dass gerade im Norden Deutschlands die ersten Fälle von Vogelgrippe bestätigt wurden. Wie es dazu kommen konnte, ist bisher noch ungeklärt.

Diese Entwicklung macht deutlich, dass die Verbreitung des Erregers nicht vorhersehbar ist. Und es ist davon auszugehen, dass die geografische Verbreitung weiter zunehmen wird.
Daher gilt es jetzt, kühlen Kopf zu bewahren und dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen und Notfallpläne greifen, um ein Übergreifen der Vogelgrippe auf Hausgeflügel zu verhindern. Wie wir wissen, wurden die ersten Vorkehrungen bereits getroffen. So gibt es seit dem 17. Februar die bundesweite Stallpflicht für Freilandgeflügel, das Verbot von Geflügelmärkten und verstärkte Warenkontrollen im Reiseverkehr. Hier möchte ich deutlich sagen, dass es sich um Präventivmaßnahmen handelt, um unser Hausgeflügel zu schützen, die aber eine weitere Ausbreitung der Vogelgrippe bei Wildvögeln nicht verhindern wird. Dies muss bei allen Maßnahmen, die durchgeführt werden klar sein. Daher ist es notwendig, das Monitoring bei Wildvögeln auszubauen, um die Verbreitung der Vogelgrippe zeitnah und umfangreich beobachten zu können. Nur dann ist die Einrichtung von Schutzzonen und Beobachtungszonen auch sinnvoll, um das Herausbringen von Geflügel aus den betroffenen Zonen zu verhindern.

Nach dem ersten bekannt werden des Vogelgrippevirus auf Rügen, hat der nationale Krisenstab sich auf die eben genannten Maßnahmen und Schutzvorkehrungen verständigt, um das Risiko so weit wie möglich zu minimieren und um gleichzeitig Panikmache zu vermeiden.

Angesichts der Bilder von Rügen, die in den letzten Tagen durch die Medien gingen, müssen wir wohl erkennen, dass der Umgang mit der Vogelgrippe, bisher nicht dazu beigetragen hat, das Vertrauen der Bevölkerung in diese Schutzmaßnahmen zu erhöhen. Es wurden Vogelkadaver nicht eingesammelt oder es fehlte an Absperrungen. Und gekrönt wurde das Unvermögen, durch gegenseitige Schuldzuweisungen und Kritik am Anderen.
Die Ereignisse auf Rügen haben deutlich gemacht, dass es im Umgang mit der Vogelgrippe an klaren Kompetenzregelungen gemangelt hat. Derartige Unklarheiten dürfen einfach nicht vorkommen. Die Zuständigkeiten müssen im Vorfeld geklärt sein. Hier müssen die verschiedenen Ebenen deutlich wissen, wie weit ihre Befugnisse reichen.

Daher nutzt es auch wenig, dass Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer jetzt fordert, über Kompetenzen neu nachzudenken und dem Bund größere Zuständigkeiten im Seuchenschutz zu übertragen. Eine solche Forderung lehnt der SSW ab. Wir brauchen keine Verlagerung der Verantwortung auf den Bund. Was wir brauchen ist eine funktionierende behördenübergreifende Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Dies ist nicht die Zeit um Kapital aus den Fehlern anderer zu schlagen. Daher muss Schleswig-Holstein aus den aktuellen Erfahrungen von Rügen schnell seine Lehren ziehen, damit Vergleichbares bei uns nicht vorkommt und dort wo es noch Unstimmigkeiten gibt, muss entsprechend nachjustiert werden, damit die Schutzmaßnahmen und Notfallpläne greifen.

Ein wichtiges Instrument ist hierbei natürlich die frühzeitige Erkennung infizierter Vögel. Durch das erweiterte Wildvogelmonitoring kommt künftig auch ein größeres Aufgabenfeld auf die untersuchenden Labore und Institute zu. Die Zusammenarbeit zwischen dem Friedrich-Loeffler-Institut und dem Landeslabor in Neumünster hat sich bisher bewährt. Doch es ist bereits jetzt zu vermerken, dass die Untersuchung toter Vögel erheblich zugenommen hat. Daher muss die Landesregierung die Möglichkeit schaffen, dass die Kapazitäten in diesem Bereich des Landeslabors kurzfristig erweitert werden können, damit das Monitoringverfahren entsprechend durchgeführt werden kann.

Dass bisher nicht genau geklärt ist, wie die Vogelgrippe in den Norden Deutschlands gekommen ist, macht deutlich, wie unberechenbar die Verbreitung der Vogelgrippe ist. Hier brauchen wir mehr Erkenntnisse, um rechtzeitig reagieren zu können und entsprechende Gegenmaßnahmen durchzuführen. Parallel zu allen jetzt laufenden Schutzvorkehrungen und Maßnahmen, muss daher die Forschung international vorangebracht werden, um mehr Informationen über den Erreger und auch über seine Verbreitung zu erfahren.

Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, wann der erste positive Befund in Schleswig-Holstein gemeldet wird. Dass wir uns darauf einstellen müssen, dürfte jedem klar geworden sein. Daher ist es wichtig, dass die Zuständigkeiten bei uns im Land klar geregelt sind und dass ressortübergreifend zusammengearbeitet wird. Besonderes Augenmerk und eine besondere Verantwortung liegt momentan bei den Kreisen und den zuständigen Kreisveterinärämtern. Dort gilt es jetzt die Krisen- und Notfallpläne entsprechend zu koordinieren, damit diese entsprechend greifen. Darüber hinaus werden dort immer wieder neue Fundtiere von besorgten Bürgern gemeldet werden.
Auch hier muss es also möglich sein, im Falle einer Krise die Kapazitäten kurzfristig zu erweitern.

Sollte es aber trotz aller Schutzvorkehrungen dazu kommen, dass der Erreger auf Hausgeflügelbestände übergreift, dann halten wir die Tötung der infektionsverdächtigen Tiere für unablässig. Derartig drastische Mittel sind derzeit leider notwendig, um den Erreger wirksam zu bekämpfen.
„Impfen statt töten“ ist aus Sicht des SSW gegenwärtig kein gangbarer Weg, um das Problem, zu lösen. Mit Impfungen werden die Tiere zwar geschützt, aber der Erreger wir dadurch nicht ausgemerzt. Die Tiere tragen den Erreger in sich und er kann weiter übertragen werden. Die Seuche ist somit kaschiert, bleibt aber weiter bestehen.

Wir sollten nur dann Impfungen in Betracht ziehen, wenn es geeignete Marker-Schutzimpfstoffe gibt. Also Impfstoffe mit denen geimpfte und infizierte Tiere unterschieden werden können. Aber diese Erwartungen hat der Institutsleiter des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut) gerade erst gedämpft. So ein Marker-Schutzimpfstoff für Geflügel gegen die Vogelgrippe sei in den nächsten Jahren noch nicht verfügbar.
Also sollte eine Schutzimpfung oder Ringimpfung nur dann zulässig sein, um konkrete Gefahrensituationen einzudämmen. Letztendlich bleibt dies aber nur eine flankierende Maßnahme. Oberste Maßnahme bleibt derzeit die Tötung der Tiere.

Im Falle dass ein Bestand gekeult werden muss, muss es entsprechende Ausgleichszahlungen geben. In diesem Zusammenhang muss über den Tierseuchenfonds gewährleistet sein, dass die betroffenen Betriebe hier nicht hängen gelassen werden. Allerdings wird auch der Tierseuchenfonds nur den „Zeitwert“ der Tiere ersetzen. Folgeschäden werden den Züchtern nicht ersetzt werden können. So lange es sich bei den betroffenen Betrieben um Einzelfälle handelt, kann man sicherlich auffordern, hier mit finanziellen Unterstützungsleistungen beizuspringen. Sollte es sich aber um eine größere Anzahl von Betrieben handeln, werden die Finanzierungsmöglichkeiten zumindest für das Land immer dünner werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt im Zusammenhang mit den Notfallplänen ist aber auch die Aufklärung der Menschen. Die Reaktionen aus der Bevölkerung, machen deutlich, dass das Thema immer noch verängstigt. Daher benötigen wir klare Botschaften und Anweisungen, wie mit Vogelgrippe umzugehen ist. Die Medien haben hier nicht immer zur Aufklärung beigetragen. Daher bleibt es eine öffentliche Aufgabe entsprechende Informationsstellen vorzuhalten, um die Bevölkerung über die Vogelgrippe sachlich aufzuklären.

Vor dem Hintergrund des Ernstes der Lage und der durchaus realistischen Gefahr, dass wir in kürze auch von der Vogelgrippe heimgesucht werden, ist es mir aber noch einmal wichtig ganz klar dazu aufzufordern, dass man im Fall der Fälle nicht damit beginnt, sich gegenseitig bei der Arbeit zu blockieren oder versucht, sich auf Kosten anderer zu profilieren. Damit hat man nun wahrlich in Mecklenburg-Vorpommern schlechte Erfahrungen gemacht. Und deshalb sollten wir hier weiterhin gewohnt sachlich mit dem Problem umgehen. Das ist mehr im Interesse der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.


  

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