Rääde · 24.03.2022 Wir sind noch weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt

„Wir alle sind und wir alle bleiben gefordert, wenn es um bessere Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen geht.“ 

Christian Dirschauer zu TOP 9+10 - Entwurf eines Gesetzes zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in Schleswig-Holstein und Gesetz zur Änderung des Selbstbestimmungsstärkungsgesetzes (Drs. 19/2680, 19/3691, 19/2941 und 19/3698)

Man kann leider nicht oft genug betonen, dass wir noch weit von einer inklusiven Gesellschaft entfernt sind. Nüchtern betrachtet, ist die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nun mal nicht immer und überall selbstverständlich. Längst nicht alle Menschen mit einem Handicap finden Zugang zum Arbeitsmarkt. Und wenn sie Arbeit hatten, waren sie pandemiebedingt überproportional häufig vom Jobverlust betroffen. Kita- und Schulkinder mit Behinderungen sind oft noch meilenweit von gleichen Chancen auf Bildung entfernt. Manche Kitakinder müssen 30 Kilometer in eine Kita gefahren werden, die in der Lage ist, sie aufzunehmen und entsprechend zu fördern. Und auch wenn es um das Recht auf Selbstbestimmung geht, gibt es noch viel Luft nach Oben. 

Für uns vom SSW sind die übergeordneten Aufgaben damit klar: Wir müssen weiter beharrlich daran arbeiten, diese unterschiedlichsten Barrieren abzubauen. Wir müssen darauf hinwirken, dass das konkrete Handeln der Verwaltungen barrierefreier wird. Und wir müssen dafür sorgen, dass das Bewusstsein der gesamten Gesellschaft für die Belange von Menschen mit Behinderungen noch weiter geschärft und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde gefördert wird. Und bei all dem sollten wir unbedingt darauf achten, dass kein Mensch bevormundet und keinem Betroffenen die Chance auf Teilhabe verbaut wird. Wir alle sind und wir alle bleiben also gefordert, wenn es um bessere Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen geht. 

Auch die vorliegenden Gesetzentwürfe verfolgen grundsätzlich das Ziel, die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Sowohl im Selbstbestimmungsstärkungsgesetz wie auch im Landesbehindertengleichstellungsgesetz werden hierfür notwendige Änderungen und Weiterentwicklungen vorgenommen. Wir begrüßen zum Beispiel, dass dem Schutz der körperlichen und seelischen Unversehrtheit und entsprechenden Schutzkonzepten zumindest in ausgewählten Einrichtungen der Eingliederungshilfe ein höherer Stellenwert eingeräumt wird. Und wir halten es für folgerichtig, dass sich beispielweise Regelungen zur Barrierefreiheit nicht etwa auf Rollstuhlrampen beziehen, sondern endlich auch Kommunikation und Information berücksichtigen. Angesichts der Größe dieser Aufgabe und der Herausforderung, den vielfältigen Interessen und Bedarfen von Menschen mit Behinderungen gerecht zu werden, sehen wir beide Gesetze als Schritt in die richtige Richtung. 

Wir müssen uns immer wieder bewusst machen, dass die Gruppe von Menschen mit Behinderungen nicht nur groß, sondern vor allem auch heterogen ist. In Abhängigkeit vom Alter, der Wohnform oder auch von der Art der Behinderung haben diese Menschen ganz unterschiedliche Bedarfe. Daraus folgt, dass wir unterschiedliche Maßnahmen und vielfältige Ansätze brauchen, um unsere Gesellschaft so auszurichten, dass alle Menschen ganz selbstverständlich teilhaben können. Es liegt also in der Natur der Sache, dass noch längst nicht alle Probleme gelöst sind. Vor diesem Hintergrund bleibt es bedauerlich, dass sich die Koalition vor allem beim LBGG nicht dazu durchringen konnte, eine ganze Reihe wichtiger Anregungen aus der Anhörung zu berücksichtigen. Aber diese Dinge sind nicht vergessen. Und aus unserer Sicht sollten daher insbesondere Regelungen zu Kommunikationshilfen und zur leichten Sprache zeitnah in der nächsten Legislatur konkreter und verbindlicher ins Gesetz geschrieben werden.

Der Blick auf beide Gesetzentwürfe zeigt, dass wir es hier mit einem sehr dynamischen Prozess zu tun haben. Aus unserer Sicht müssen daher nicht nur LBGG und Selbstbestimmungsstärkungsgesetz, sondern sämtliche Regelungen, die Menschen mit Behinderungen betreffen, immer wieder einem Realitätscheck unterzogen werden. Denn die Gesellschaft und auch die Bedarfe der Menschen mit und ohne Behinderungen ändern sich. Und nicht zuletzt deshalb ist es unheimlich wichtig, dass wir Menschen mit Handicap selbst beteiligen. Sie sind es, die unmittelbar von den Regelungen zur Unterbringung, zu Leistungen der Eingliederungshilfe oder zum Arbeitsleben betroffen sind. Deshalb müssen wir ihre Sorgen ernst nehmen und deshalb muss ihre Meinung maßgeblich sein. Und wenn wir ehrlich sind, dann gibt es vor allem bei der Frage der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen noch viel Verbesserungspotenzial. 

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