Rääde · 20.03.2015 Wir wollen, dass das Gewaltmonopol weiterhin ausschließlich beim Staat liegt

Lars Harms zu TOP 16 - Unabhängige Beobachtung der Demonstrationen gegen den G7-Gipfel in Lübeck ermöglichen

Der Antrag der Piraten zielt auf etwas ab, was schon im Rahmen der Beratungen zum Versammlungsgesetz eine Rolle gespielt hat und dann mehr oder weniger verworfen wurde. Im ersten Aufschlag hört es sich in der Tat gut an, nach unabhängigen Demonstrationsbeobachtern zu rufen. Allerdings schon bei dem Begriff stoßen wir auf die erste große Schwierigkeit. Wer ist denn bitteschön unabhängig? Ist es der Veranstalter selber – in unserem Fall die G 7? Sind es einzelne Gruppen von Gegendemonstranten? Und wenn ja, welche Gruppe von Demonstranten bekommt dann einen solchen offiziellen Status? Sind es eher linke Gruppen? Sind es Globalisierungsgegner? Sind es TTIP-Gegner? Sind es rechte Gruppen? Oder haben nur religiös motivierte Gruppen einen Anspruch, Demonstrationsbeobachter zu sein? Sie sehen schon, keiner kann diese Fragen wirklich unabhängig beantworten. Diese Unabhängigkeit von gesellschaftlichen Gruppen gibt es nämlich nicht. Deswegen hört sich der Piratenantrag schön an, aber wenn es um eine praktikable Umsetzung geht, dann kommen wir um diese komplizierte Frage nicht umhin. Und genau diese Frage lässt der Piratenantrag außer Acht. Wahrscheinlich, weil sich hier genau das größte Hindernis befindet. Politik kann aber nicht nur fordern, sondern muss die Antworten auch gleich mitliefern. Hier bleiben die Piraten aber etwas schuldig.

Aber gehen wir einmal davon aus, dass tatsächlich eine völlig unabhängige, von eigenen Interessen und Vorstellungen völlig unbeeinflusste Person oder Personengruppe wirklich vom Himmel fällt. Was dann? Sie sollen erhebliche Rechtsverletzungen dokumentieren können. Also quasi mit Bild- und Tonaufnahmen auf Verbrecherjagd gehen. Ich gehe davon aus, dass die Piraten dabei nicht nur auf mögliche Verfehlungen der Polizei – sofern es solche denn überhaupt gibt – denken, sondern alle Teilnehmer einer Demo unter unabhängige Beobachtung stellen lassen wollen. Da sonst regelmäßig durch die Piraten eigentlich jede Beobachtung im öffentlichen Raum als Teufelswerk gebrandmarkt wird, geht man hier doch über den Grundrechtsanspruch der informationellen Selbstbestimmung relativ schlank hinweg. Wenn es der eigenen Ideologie dient, sind solche Grundrechtseingriffe durch letztendlich privatrechtlich organisierte Beobachter auf einmal in Ordnung. Für mich sind sie es noch lange nicht.

Und auch das Gewaltmonopol des Staates wird hier auf einmal eingeschränkt. Nicht mehr die Polizei geht auf Verbrecherjagd, sondern nun sollen auch Private Bild- und Tonaufnahmen zu Verbrechensbekämpfung machen dürfen. Mir schaudert es da ein wenig bei einem solchen Staatsverständnis. Ich glaube immer noch, dass wir an der bewährten Praxis, dass das Gewaltmonopol beim Staat liegt, bleiben sollten. Und deshalb sollte es nur der Polizei – als eigentlich einzige wirklich unabhängige Stelle – erlaubt sein, hier offizielle Bild- und Tonaufnahmen zu machen. Denn diese Bild- und Tonaufnahmen sollen laut Antrag der Piraten zur Dokumentation von erheblichen Straftaten genutzt werden. Das ist der eigentliche Auftrag. Und das ist das eigentliche Aufgabenfeld der Polizei und nicht von anderen Personen oder Institutionen.

Gehen wir aber noch einmal einen Schritt weiter. Der völlig unabhängige und neutrale Beobachter ist vom Himmel gefallen und er hat eine dieser im Antrag genannten erheblichen Straftaten dokumentiert. Dann soll es ausgeschlossen sein, dass diese Aufnahmen beschlagnahmt werden. Spätestens jetzt wird einem rechtsstaatlich Angst und Bange. Erstens, gehen die Piraten anscheinend nicht davon aus und wollen dieses auch nicht festlegen lassen, dass der Demonstrationsbeobachter diese erhebliche Straftat der Polizei automatisch meldet. Für mich wäre das nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern auch eine Verpflichtung. Aber dass dann ausdrücklich im Antrag geschrieben wird, dass die Polizei diese Beweismittel gerade nicht erhalten können soll, wenn die Herausgabe verweigert wird, lässt einen erst einmal nur schlucken. Im Falle einer Straftat soll es möglich sein, dass der Polizei Beweismittel vorenthalten werden. Wenn jemand körperlich zu Schaden kommt, wenn verfassungsfeindliche Parolen gerufen werden, wenn verfassungsfeindliche Symbole gezeigt werden und wenn Eigentum mutwillig zerstört wird, soll ein Demonstrationsbeobachter einfach so, der Polizei den Zugriff auf seine Bild- und Tonaufnahmen, die er ja entsprechend des Antrages offiziell anfertigt, für sich behalten dürfen. Für mich ist das Willkür und eben gerade nicht eines Rechtsstaates würdig.

Sie sehen, meine Damen und Herren, dass das Thema viel schwieriger ist, als es der Antrag der Piraten suggerieren soll. Schon die Auswahl einer unabhängigen Institution ist nahezu unmöglich und letztendlich sollten Grundrechtseingriffe ohnehin nur in einer Rechtsgüterabwägung erfolgen. Und wer sich hier beeinträchtigt fühlt, der kann sich an eine wirklich unabhängige Institution in Deutschland wenden – nämlich an die Gerichte.

Wir glauben an den Rechtsstaat und haben Vertrauen in unsere Polizei. Und wir wollen, dass das Gewaltmonopol weiterhin ausschließlich beim Staat liegt.

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