Rääde · 13.03.1997 Änderung der Landesverfassung

In seinem Aufsatz Politik als Beruf hat Max Weber 1919 geschrieben: „Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Ich wünsche den zukünftigen Mitgliedern des Sonderausschusses Verfassungsreform, daß sie beides haben werden. Sie werden es benötigen. Leidenschaft, um für ihr Anliegen zu werben, und Augenmaß, um die wirklich dicken Bretter von den Spanplatten zu unterscheiden. Letztere zeichnen sich dadurch aus, daß das Bohren nicht leichter fällt, und man nachher trotzdem nicht viel in der Hand hat.

Ich habe viel Verständnis für jene Leute, die davor warnen, die Landesverfassung könne leicht zu einem bunten Werbekatalog guter Absichten verkommen. Versprechen wecken Erwartungen, und ich kann aus eigener Erfahrung mit dem Artikel 5 der Landesverfassung berichten, das solche Erwartungen bitter enttäuscht werden können. Daher möchte ich dringend davor warnen, neue, große und nicht einlösbare Absichten und Ziele in der Verfassung zu verankern.

Mit Augenmaß verband Max Weber vor allem die Fähigkeit von Politikern, die unbeabsichtigten Konsequenzen des eigenen Handelns zu berücksichtigen - und nicht nur leidenschaftlich zu glauben, die gute Absicht führe schon automatisch zu guten Konsequenzen.
Vor allem Augenmaß wünsche ich dem Sonderausschuß. Denn wenn die Landesverfassung zu einer Art übergeordnetem Koalitionsvertrag verkommt, in dem alle frommen Wünsche der Politikerinnen und Politiker noch einmal verfassungsmäßig vergoldet werden, dann wird sie ihren besonderen Charakter verlieren. Die Verfassung ist der edelste Teil des Landesrechts. Sie soll Basis sein für einen Konsens zwischen allen gesellschaftlichen Kräften und Menschen im Lande. Wir sollten daher sehr behutsam mit ihr umgehen. Ich glaube, dieser Konsens, diese Allgemeinverbindlichkeit geht verloren, wenn wir die Verfassung wie ein jedes anderes Gesetz regelmäßig und beliebig erweitern.

Gerade weil ich einen behutsamen, konsensorientierten Umgang mit der Landesverfassung als notwendig erachte, begrüße ich aber auch den Antrag der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Dabei beziehe ich mich auf das Verfahren. Wir haben ganz zu recht vereinbart, daß der Startschuß für die Verfassungsdebatte überparteilich fallen muß, daß keine Fraktion in diesem Stadium jeweils ihren Wunschkatalog vorlegt, um sich damit zu profilieren. Daß sich manche Kolleginnen und Kollegen nicht an diese Abmachung gehalten haben, ist traurig, und hat auch nicht der Sache gedient. Wir müssen im Sonderausschuß die Arbeit so fortführen, wie es verabredet war. Ich hoffe, daß nicht noch einmal jemand der Versuchung erliegt, sich auf diesem sensiblen Feld auf Kosten der Sache auszutoben.

Ich möchte mich jetzt nicht in einem Monolog darüber vertiefen, wie sinnig oder unsinnig einzelne der zur Diskussion stehenden Staatsziele in spe sind. Das gehört erst einmal in den Ausschuß. Ich verschließe mich nicht jetzt schon Argumenten, die erst im Laufe der Ausschußarbeit auf den Tisch kommen.

Eines muß ich mit Verlaub aber jetzt schon anmerken, weil es den SSW in gewisser Weise ganz besonders betrifft: Wir werden alles darauf setzen, daß die Roma und Sinti in Schleswig-Holstein in den Artikel 5 der Landesverfassung aufgenommen werden. Daran wird es nichts zu rütteln geben. Die Argumente in dieser Sache sind bis zur Bewußtlosigkeit wiederholt worden, aber ich hoffe immer noch auf eine Einsicht unserer christdemokratischen Kolleginnen und Kollegen. Wir haben hier eine durch die europäische Menschenrechtskonvention auch von der Bundesrepublik Deutschland anerkannte Minderheit, deren Geschichte hier in Schleswig-Holstein viel weiter zurück reicht als die vieler anderer Bürgerinnen und Bürger des Landes. Weil die Roma und Sinti aber heute noch diskriminiert werden, brauchen sie den besonderen Schutz der Verfassung; um hier normal leben zu können, als das was sie sind - ein fester Bestandteil schleswig-holsteinischer Kultur.

In diesem Punkt werden und können wir uns nicht bewegen. Für alle anderen Punkte werden wir uns der Debatte im Ausschuß gegenüber offen zeigen - mit Leidenschaft und hoffentlich auch mit Augenmaß.

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