Rääde · 13.07.2000 Atomenergie

Der Atomkompromiß vor einigen Wochen war ein Schritt in die richtige Richtung, dessen Auswirkungen auf Deutschland und Europa wir wohl erst in ein paar Jahren verstehen werden. Der SSW hat sich seit den 60er Jahren gegen die Atomenergie ausgesprochen. Für uns war der Ausstieg der einzige Weg. Uns ist klar, dass wir den Ausstieg nicht von heute auf morgen erzwingen können. Dies musste auch die Bundesregierung erkennen, die erst nach langen internen Streitereien über den Ausstieg dann doch noch auf einen gemeinsamen Kurs gekommen ist. Danach hat sie es dann nach zähem Ringen mit der Energiewirtschaft geschafft eine gemeinsame Ausstiegsperspektive zu entwickeln.
Nach der Katastrophe von Tschernobyl ist jedem klar geworden, dass in der Atomenergie ein erhebliches Restrisiko steckt. Dieses Restrisiko beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Gefahr eines Unfalls, wobei ich auf keinen Fall den Eindruck erwecken möchte, deutsche Atomkraftwerke mit osteuropäischen Atomkraftwerken auf eine Stufe stellen zu wollen. Doch vor einem Unfall sind auch wir nicht gefeit. Über die Unfallgefahr hinaus haben wir auch ein Entsorgungsproblem. Das wird uns immer wieder deutlich, wenn wir in den Medien verfolgen können, wie die bedrohlich wirkenden Castortransporte durchs Land rollen. Die Bilder machen immer wieder deutlich, dass derart gesicherte Transportgüter eine enorme Gefahr in sich bergen. Eine Gefahr, die für uns nicht kalkulierbar ist.
Dass heute die Atomtransporte mit einem so hohem Sicherungsaufwand bewacht werden müssen, ist einer falschen Entscheidung in der Energiepolitik in den 60er Jahren zuzuschreiben, die wir heute bedauern. Gleichwohl haben wir nun den Ausstiegskompromiss und somit auch eine Perspektive. Diese Perspektive gilt es den Demonstrierenden zu vermitteln.
Es ist gut, dass die Bundesregierung sich mit der Energiewirtschaft geeinigt hat. Dies war auch ein Auftrag, den die Bundesregierung von den Wählern bekommen hat. Umfragen machen deutlich, dass der Ausstieg allgemeingesellschaftlicher Konsens ist und die Atomenergie von der Mehrheit abgelehnt wird. Somit ist der Ausstieg - auch wenn er sich über einen längeren Zeitraum als gewünscht erstreckt - ein Erfolg der Bundesregierung.
Die auf den ersten Blick relativ lange Laufzeit der Atomkraftwerke ist sicherlich erst einmal unbefriedigend und ich meine, dass ein noch schnellerer Ausstieg früher für Sicherheit gesorgt hätte. Aber wir müssen erkennen, dass wir auch Zeit brauchen für den Ausstieg. Daher müssen wir diese Zeit jetzt nutzen um die Energieversorgung umzustellen und Energieeinsparungsprogramme forcieren.
Damit der Ausstieg nicht zu einem Lippenbekenntnis verkommt, brauchen wir alternative Energieformen, um keinen Atomstrom importieren zu müssen. Sonst wäre der Ausstieg konterkariert und auch kein richtiger Ausstieg. Der Auftag den wir jetzt haben ist, die Zeit zu nutzen, um im Bereich der alternativen Energieformen weiter zu forschen. Weiter müssen wir ein Importverbot für Atomstrom schaffen, das auch auf europäischer Ebene rechtlich abgesichert ist.
Wir wissen, dass Schleswig-Holstein derzeit in der Windenergietechnik an vorderster Stelle ist. In diesem Bereich hat Schleswig-Holstein es geschafft eines der führenden Exportländer zu werden und gilt als hochentwickelter Wirtschaftsstandort für diese Branche. Aber ich frage mich, warum wir nicht auch in der Solartechnik oder in der Anwendung von Biomasse führend sein sollen? Hier liegen meiner Meinung nach auch Chancen für unser Land. In diesen Feldern sind wir zumindest besser als manches andere Bundesland. Es nutzt nichts, wenn wir der Atomenergie nachweinen. Es gilt vielmehr die Chancen zu erkennen, die sich für unser Land und unsere Wirtschaft bieten. Daher muss jetzt auch ein Auftrag der Landesregierung sein, die Forschung in diesen Bereichen zu unterstützen und für die Zukunft Arbeitsplätze zu schaffen, die somit Ausgleich für die AKW-Arbeitsplätze sein können. Es ist wichtig, dass wir erkennen, in Chancen zu denken.
Wir dürfen aber auf keinen Fall den Fehler begehen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben und Kohle- oder Gaskraftwerke fördern. Dies wäre ein Schritt, der zur Zerstörung der Ozonschicht und zur globalen Klimaerhitzung beitragen würde. Ein solcher Schritt wäre nicht mit den Zielen der Agenda 21 vereinbar. Es wäre zwar kurzfristig nicht so gefährlich wie die Atomkraft, aber langfristig würden wir ebenfalls Schäden anrichten, die für uns heute noch nicht absehbar wären. Es gibt schon Bereiche auf der Erde, die diese Probleme heute schon zu spüren bekommen. Daher müssen wir eine grundsätzliche Kehrtwende in der Energiepolitik in Deutschland und Schleswig-Holstein einleiten und hier die Vorreiterrolle und Marktführerrolle übernehmen.
Ebenso müssen wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz für Schleswig-Holstein nutzen und nicht auf dem alten Stand verharren. Die Landesregierung muss weiter die erneuerbaren Energieformen fördern. Es gilt ganz oben mit dabei zu sein, um dann erfolgreich exportieren zu können. Hier liegen für uns noch Möglichkeiten ungeahnten Ausmaßes.
Für Schleswig-Holstein sehe ich hier ähnlich gute Chancen, wie seinerzeit bei der Technologieentwicklung in Süddeutschland in den 60er und 70er Jahren, die aus ländlich strukturierten armen Regionen prosperierende Regionen gemacht hat. Diesem Beispiel sollten wir endlich mal folgen und uns einen Wissensvorsprung gegenüber anderen verschaffen, statt immer nur Bayern oder Baden-Württemberg zu glorifizieren.
Darüber hinaus sollte die Landeregierung dafür sorgen, dass die Standortschwerpunkte für neue Energieformen nach Möglichkeit an den ehemaligen AKW-Standorten liegen. Dies wäre meiner Meinung nach sinnvoll, da wir hier schon die notwendigen Strukturen haben, auf die man bauen und die man ohne weiteres erweitern kann. Aus diesem Grund zielt der Antrag von SPD und Grünen auch in die richtige Richtung. Wichtig ist, dass die Landesregierung hier verlässliche Informationen und Auskünfte von den Energiekonzernen erhält, wann welches AKW abgeschaltet wird. Hierzu ist zu sagen, dass derzeit einfach zu viele Zahlen umherschwirren und dass es mit einer solchen Grundlage derzeit einfach unmöglich ist eine zuverlässig Planung für die Zukunft zu machen. Es kursieren Laufzeiten von 4 bis über 20 Jahre für die schleswig-holsteinischen Kernkraftwerke. Hier ist die Landesregierung auch in der Verantwortung für Sicherheit zu sorgen. Es geht hier nicht nur um die Sicherheit für die Beschäftigten, sondern auch um für die notwendige Planungssicherheit bei der Entwicklung neuer Energieformen.
In der Frage nach der Zwischenlagerung und Entsorgung des Atommülls, wie es im Antrag der Regierungsfraktionen formuliert ist, sind auch die ersten drei Fragen des CDU-Antrags enthalten. Daher gehe ich davon aus, dass diese Fragen im Bericht ausführlich mitbeantwortet werden.
Mit der vierten Frage des CDU-Antrags habe ich allerdings erhebliche Bauchschmerzen. Sie impliziert, dass man die Transporte abgebrannter Brennelemente lieber verheimlichen sollte. Das Volk soll am besten von dem Treiben auf den Bahngleisen nichts wissen. Wenn eine Gefahr auf den Gleisen gleich nebenan vorbei rollt, soll die Bevölkerung, die am Bahngleis wohnt, nichts mitbekommen. Nach dem Motto: Es wird schon irgendwie gutgehen.
Auch der mündige Bürger soll, wenn es nach dem CDU-Antrag geht, am besten nichts erfahren. Ich frage mich, ob dass die so oft geforderte Bürgerbeteiligung ist , die die CDU der Landesregierung so oft abverlangt?
Gerade, wenn es gefährlich wird, muss die Bevölkerung informiert sein und sie muss das Recht und die Chance haben, sich eine Meinung bilden zu können.
Dass der SSW diesen Punkt auf keinen Fall mittragen kann, dürfte allen klar sein. Schließlich war es der SSW, der in der letzten Legislaturperiode einen langen Atem gehabt hat und ein Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg gebracht hat, um der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben sich über Verwaltungsvorgänge zu informieren.
Der Punkt des CDU-Antrags steht also im völligen Gegensatz zu den Grundgedanken eines Informationsfreiheitsgesetzes und lässt sich überhaupt nicht damit vereinbaren. Daher werden wir dem Antrag der CDU in dieser Form auch nicht zustimmen.
Der SSW würde es begrüßen, wenn bundesweit durch die Regierungen eine große Informationskampagne geführt werden würde, die den Ablauf und die Konsequenzen des Ausstiegs vernünftig und lesbar darstellt. Wir halten eine solche Art der Informationsvermittlung für verständlicher und bürgernäher.
Unser Fazit zum Ausstieg lautet daher: Dies ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, trotz der langen Laufzeiten. Und für Schleswig-Holstein gilt, dass die sich bietenden Chancen genutzt werden.
Der SSW stimmt dem Antrag von SPD und Grünen und dem Änderungsantrag der F.D.P. zu und ich freue mich auf einen ausführlichen Bericht, der darstellt, welche Auswirkungen der Ausstieg künftig haben wird.

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