Speech · 19.11.2025 Ein täglicher Spagat zwischen Jugend und Pflege-Alltag
„Young (adult) Carer leisten Großartiges – und das leider meistens im Verborgenen“
Christian Dirschauer zu TOP 21 - Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit Pflegeverantwortung in Schleswig-Holstein unterstützen und vor Überforderung schützen (Drs. 20/3755(neu))
Ich will hier niemandem die Fähigkeit zur Empathie absprechen. Aber ich fürchte, dass kaum jemand in dieser Runde wirklich weiß, was es bedeutet, Young Carer zu sein. Ich für meinen Teil kann zumindest nur versuchen, mich in junge Menschen mit Pflegeverantwortung hineinzuversetzen. Ich kann nur vermuten, wie fordernd es sein muss, täglich den Spagat zwischen Schule, Ausbildung oder Studium und der Pflege eines Angehörigen zu leben. Und ich mag mir kaum vorstellen, wie es für Young Carer sein muss, wenn nicht nur der Pflegebedarf ihrer Angehörigen steigt, sondern gleichzeitig vielleicht auch noch der Druck in der Ausbildung oder bei der Arbeit.
Wir vom SSW haben bekanntlich mehrfach Anträge mit dem Ziel gestellt, die Situation der großen, aber leisen Gruppe pflegender Angehöriger zu verbessern. Von vermeintlich kleinen Forderungen nach flexibleren Hilfen im Haushalt bis zum dicken Brett einer echten Lohnersatzleistung haben wir hier alles bewegt. Gleichzeitig ist mir völlig klar, dass das Land bei Fragen der Unterstützung pflegender Angehöriger selten die alleinige Verantwortung trägt und unmittelbar handeln kann. Aber wenn wir mal eine nüchterne Bilanz ziehen, dann sind wir bei vielen wichtigen Dingen noch nicht ins Handeln gekommen. Und wir müssen noch dazu erkennen, dass es innerhalb der heterogenen Gruppe der pflegenden Angehörigen Menschen gibt, die mitunter völlig unter dem Radar sind und besonders dringend unsere Unterstützung brauchen.
Wie Sie sicher wissen, hat letzte Woche die Woche der pflegenden Angehörigen im Land stattgefunden. Es gab vielfältige Veranstaltungen an den unterschiedlichsten Orten im Land. Viele Betroffene haben diese Chance zur Vernetzung genutzt und sich über aktuelle Themen informiert. Nicht zuletzt, weil diese Aktion dazu beiträgt, dass pflegende Angehörige sichtbarer und die Gesellschaft für ihre Belange sensibilisiert wird, ist ein solches Format so wertvoll. Es ist gut und richtig, dass das Land diese Aktion fördert. Und ich will der Selbst- und Interessenvertretung „wir-pflegen“, dem Kompetenzzentrum Demenz, der AOK und dem Forum Pflegegesellschaft ausdrücklich für die Organisation danken. Aber ich muss gleichzeitig sagen, dass pflegende Angehörige insgesamt deutlich mehr Aufmerksamkeit, Wertschätzung und echte Unterstützung in ihrem Alltag brauchen. Und zwar nicht nur eine Woche, sondern 365 Tage im Jahr.
Wer sich mit der Situation junger Menschen mit Pflegeverantwortung beschäftigt, wird schnell merken, dass die Strukturen zur gezielten und nachhaltigen Unterstützung ausbaufähig sind. Es fängt schon damit an, dass sich viele Young Carer gar nicht ihrer Rolle bewusst sind. Auch mit Blick auf junge pflegende Angehörige ist das gesellschaftliche Bewusstsein insgesamt leider noch unterentwickelt. Und deshalb werden viele auch nicht durch ihr Umfeld ermutigt, sich Unterstützung zu organisieren oder anderweitig für sich selbst zu sorgen. Natürlich profitieren sie sozusagen mit, wenn es durch Kurzzeitpflege oder ambulante Hilfen Entlastung gibt. Aber Unter 18-jährige sind in vielerlei Hinsicht schon allein dadurch benachteiligt, dass sie überhaupt keine Anträge auf Leistungen oder Maßnahmen stellen können.
Neben solchen strukturellen Hürden und der dringenden Notwendigkeit, stärker für die Belange von Young Carern zu sensibilisieren braucht es aber noch einiges mehr. Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass junge Menschen mit Pflegeverantwortung in ihrer Lebenswelt in Schule oder Uni überhaupt gesehen und verstanden werden. Angebote zu ihrer Unterstützung müssen genau hier nicht nur bekannt gemacht, sondern auch angedockt werden. Noch dazu brauchen wir dringend Schutz- und Präventionskonzepte, die diese Gruppe vor Überforderung schützen. Und gerade, weil auch junge pflegende Angehörige oft bis weit in die Überforderung hinein für ihre Familienmitglieder da sind, müssen wir eine verbesserte psychologische Betreuung und emotionale Begleitung für diese Gruppe organisieren.
Das alles gibt es nicht zum Nulltarif. Aber wir sehen längst, dass auch junge pflegende Angehörige durch ihre Dauerbelastung und häufige Überlastung selbst erkranken. Es ist Fakt, dass die Aufgabe, Angehörige zu pflegen, im Zweifel nicht nur arm, sondern noch dazu krank machen kann. Aus meiner Sicht dürfen wir einen solchen Zustand nicht billigend in Kauf nehmen. Ich halte es vielmehr für unsere Pflicht, für bedarfsgerechte und passende Unterstützungs-, Beratungs- und Entlastungsangebote für pflegende Angehörige zu sorgen. Und ich freue mich, dass wir uns mit unserem gemeinsamen Antrag nun in diesem Sinne auf den Weg machen.