Rääde · 10.06.2016 Flüchtlinge sind nicht per se krimineller als andere

Lars Harms zu TOP 61 - Schutz von Frauen und Kindern in Erstaufnahmeeinrichtungen

Immer dort, wo viele Menschen auf engem Raum miteinander auskommen müssen, kommt es fast zwangsläufig zu Reibereien. Frust wird abgebaut, indem auf die Schwächsten eingehackt wird. Der Kindesmissbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig betonte in einem Spiegel-Interview im letzten Oktober, dass das besonders für Flüchtlingsunterkünfte gelte. Dort bestünden kaum Rückzugsmöglichkeiten, so dass in dieser drängenden Enge Schranken schnell fallen können. 

Dieses Problem ist auch aus anderen Institutionen bekannt, wie Schulen oder Kasernen. Darum haben die allermeisten dieser Institutionen inzwischen einen klaren Verhaltenskodex, damit es gar nicht erst dazu kommt. 

Nach Vorfällen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen mehrten sich die Warnungen, dass es in den Erstaufnahmeeinrichtungen in Schleswig-Holstein zu entsprechenden Verstößen, Übergriffen oder Vergewaltigungen kommen könne. Angesichts der Enge scheint das naheliegend. Darum setzt die  Landesregierung auch konsequent auf die Zweierbelegung in den Einrichtungen. Davon profitieren vor allem alleinstehende Frauen und Kinder. Das findet unsere ausdrückliche Unterstützung. Das Thema der Übergriffe in den Einrichtungen ist ja keineswegs neu. Die Landesregierung hat bereits heute eine Reihe von Schutz- und Betreuungsmaßnahmen für Flüchtlinge umgesetzt und entsprechend qualifiziertes Personal vor Ort beschäftigt. Die Fortbildung aller, die in den Einrichtungen tätig sind, ist gelebte Praxis in allen Einrichtungen; und das Vorliegen eines Führungszeugnisses selbstverständlich. Daneben bietet Die Landesregierung ein Bündel von Maßnahmen, das sexualisierte Übergriffe in den Einrichtungen effektiv verhindern soll, wie zum Beispiel entsprechende Freiflächen für Kinder und Jugendliche.

Eines möchte ich aber feststellen: Wer gewalttätig wird und gegen geltendes Recht verstößt, bekommt es mit der Polizei zu tun. Es gibt bei Gewaltverbrechen keinerlei Unterschied zwischen Alter, Wohnort oder sozialer Vorgeschichte. Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung machen da keine Ausnahme. Ich habe vollstes Vertrauen in unsere Polizeibehörden, dass sie das genauso in den Erstaufnahmeeinrichtungen handhaben und der vorliegende Bericht macht das eindrucksvoll deutlich. Die Statistiken weisen nur wenige Fälle nach, davon 29 Anzeigen wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung.

Ich höre immer mal wieder, dass man die offiziellen Tat-Statistiken nicht so ernst nehme solle, schließlich sprächen die Beteiligten kaum oder nur schlechtes Deutsch und könnten gar keine Anzeige machen. Die Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtungen seien darüber hinaus traumatisiert und daher gar nicht in der Lage, sexuelle Übergriffe zur Anzeige zu bringen. Die Dunkelziffer sei entsprechend hoch und wir hätten es mit weit mehr Fällen zu tun als den im polizeilichen System registrierten Taten. Diesen Spekulationen widerspreche ich energisch: es gibt Dolmetscher und auch untereinander können sich Flüchtlinge helfen. Wir müssen die Zahlen also nicht zwangsläufig groß reden, um der Monstrosität der Tat zu entsprechen. Zur Dunkelziffer kann man kaum seriöse Angaben machen; darum heißt es ja auch Dunkelziffer. Es gilt aber als gesichert, dass es bei Vergewaltigungen in deutschen Wohnstuben auch eine Dunkelziffer gibt von Taten, die nicht angezeigt werden. Sexualdelikte haben viel mit Scham zu tun und diese schützt leider oft die Täter.

Aber vor allem geht es mir um etwas anderes: das Gerede von einem kriminellen Geschehen in den Einrichtungen wird gespeist von alten, offenbar nur schwer ausrottbaren Vorurteilen, wonach die Fremden vor allem eines sind: und zwar Verbrecher; kriminelle Subjekte, denen man sich mit äußerster Vorsicht anzunehmen habe. Hier sollen Flüchtlinge ohne Grund pauschal kriminalisiert werden. Eine pauschale Kriminalisierung von Flüchtlingen ist aber nicht hinnehmbar! Die Polizei-Statistiken lassen das auch nicht zu. Die Fakten sprechen eine klare Sprache. Flüchtlinge sind nicht per se krimineller als andere!

Die ehrenamtlichen und hauptamtlichen Flüchtlingsbetreuer betonen unisono, dass es sich bei den Flüchtlingen um ganz normale Menschen handelt: mit ganz normalen Problemen und eben auch ganz normalen Kriminalitätsraten. 

Die Erstaufnahmeeinrichtungen sind vorübergehende Wohnstätten. Sie sind nicht für die Dauer gedacht. Am besten gelingt Integration nämlich in kleinen Einheiten, am besten mit einer eigenen Mietwohnung und entsprechenden Angeboten Deutsch zu lernen und arbeiten zu können. Das ist meines Erachtens die beste Präventionsmaßnahme gegen sexualisierte Gewalt: Die schnelle Integration in unsere Gesellschaft!

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