Rääde · 30.06.2006 Fortentwicklung des Bildungswesens im Rahmen der Föderalismusreform

Der bundesdeutsche Föderalismus und seine offensichtlichen Schwächen sind ein Thema, dass uns im Landtag und zusammen mit den anderen Landtagen schon längere Zeit mal mehr, mal weniger intensiv beschäftigt hat. Der SSW hat hier im Hause immer einem solidarischen Föderalismus das Wort geredet und sich konsequenter Weise gegen einen Wettbewerbsföderalismus ausgesprochen. Das geplante Kooperationsverbot, das künftig Bundeshilfen für Bildungsprogramme unmöglich machen soll, ist ein ebenso klarer wie falscher Schritt in Richtung Wettbewerbs- oder Konkurrenzföderalismus. Das Kernproblem des bundesdeutschen Föderalismus ist aber die parteipolitische Interessenverflechtung gepaart mit einem erdrückenden Übergewicht der Exekutive in den intransparenten Entscheidungsprozessen im Verhältnis von Bund und Ländern.

Nach gemeinsamen Anhörungen von Bundestag und Bundesrat wird der Bundestag das Gesetz zur Reform des bundesdeutschen Föderalismus heute verabschieden, nachdem noch in den letzten Tagen hinter verschlossenen Türen Änderungen zwischen den beiden Koalitionsparteien ausgehandelt worden sind. Warum kommt nun der SSW noch mit einem Antrag zur Föderalismusreform, wenn doch die Elefanten in Berlin bereits alles ausgekungelt haben und der Bundesrat das Gesetz nächsten Freitag ebenfalls sehr wahrscheinlich durchwinken wird?

Nun, die Reform ist zu wichtig, als dass der Landtag sie nur zur Kenntnis nimmt und – abhängig von der Parteizugehörigkeit - brav Beifall klatscht oder auch nicht. Wenn wir uns als Landesgesetzgeber selber ernst nehmen, müssen wir das Berliner Ergebnis kritisch unter die Lupe nehmen und seine Auswirkungen abschätzen.
Der SSW kommt zu dem Schluss, dass das Ziel, die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern deutlicher abzugrenzen, um die Anlässe und Möglichkeiten für parteipolitisch motivierte Blockaden zu verringern und klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, so gut wie nicht erreicht worden ist.

Dies liegt daran, dass man die Lösung in einer stärkeren, starren Trennung der Gesetzgebungskompetenzen gesehen hat. Zunächst durchaus einleuchtend, aber politisch unrealistisch, da eine konsequente Trennung der Kompetenzen zwingend auch die Trennung von Finanzströmen und Vollzugsverwaltungen erfordert – wie in den USA z.B. - wenn das funktionieren soll. An den Finanzverflechtungen und den Verwaltungsverflechtungen wird sich jedoch nichts oder höchstens sehr marginal etwas ändern. Faktisch ist der Kompetenzgewinn für die Länder denn auch äußerst bescheiden und darüber hinaus auch im Hinblick auf die Wahrung der gesamtstaatlichen Interessen zumindest zweifelhaft. Ich erinnere hier nur an die Debatte zum Strafvollzug im Dezember letzten Jahres.

Die zukunftsweisende Lösung hätte vielmehr in dem Instrument der „konditionierten“ Zugriffsrechte bzw. Abweichungsrechte der Landtage bestanden, das nachhaltig zu einer sinnvollen Mehrebene-Ordnung beigetragen hätte. Dies steht nun nicht zur Debatte, aber mit dem so genannten Kooperationsverbot in Artikel 104 b Abs. 1 enthält der Gesetzentwurf zur Föderalismusreform einen so groben Webfehler, dass ihm seitens der strukturschwächeren Länder und im gesamtstaatlichen Interesse nicht zugestimmt werden kann.

Die Lockerung des Kooperationsverbotes im Bereich der Forschung und Lehre, die die SPD-Bundestagsfraktion durch Eingeständnisse beim Gleichbehandlungsgesetz erkauft hat, reicht bei weitem nicht aus. Das Fokussieren auf den Wissenschaftsbetrieb ist eine gefährliche Einengung des politischen Blickes. Die Herausforderungen der Zukunft – nicht zu letzt die sozialen - liegen vor allem und am dringendsten im Schulwesen.

In der Anhörung in Berlin haben mehrere namhafte  Experten, wie der Direktor des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung, Prof. Hans-Peter Schneider, der „Entdecker“ der Politikverflechtungsfalle, Prof. Fritz W. Scharpf oder auch Frau Prof. Ursula Münch von der Universität der Bundeswehr München dringend dazu geraten, das Kooperationsverbot ersatzlos zu streichen.

„Bei allem berechtigten Bemühen um mehr Transparenz und Entflechtung weist das so genannte Kooperationsverbot (…) in die Falsche Richtung. Es sollte nicht nur ersatzlos gestrichen werden; gerade umgekehrt müsste als Ersatz für den Wegfall der gemeinsamen Bildungsplanung dem Bund (…) – jedenfalls bis zu einer Reform der föderalen Finanzbeziehungen – sogar ausdrücklich ermöglichst werden, Ländern und Gemeinden Finanzhilfen auch zur `Fortentwicklung des Bildungswesens` zu gewähren“, so vollkommen zu recht Prof. Hans-Peter Schneider in seiner Stellungnahme.

Prof. Fritz W. Scharpf führt allgemein zu den Konsequenzen des Kooperationsverbotes aus:
„Würde sie [die Beschränkung in Artikel 104b] beibehalten, so würden sich die aus der unterschiedlichen Leistungskraft der Länder erwachsenden Probleme nicht nur im Bildungsbereich immer mehr zuspitzen, und sie würden umso gravierender, je mehr Kompetenzen im Zuge der Reform auf die Länder übertragen werden. Im `sozialen Bundesstaat` des Grundgesetzes ist die Möglichkeit bedarfsorientierter Bundeshilfen die denknotwendige Ergänzung erweiterter Autonomie der Landesgesetzgeber“

Lassen Sie uns als Landtag Schleswig-Holstein ein Zeichen setzen für einen kooperativen, blockadefreien und solidarischen Föderalismus. Die Tendenz zum ruinösen, die Bundesrepublik zersetzenden Konkurrenzföderalismus gilt es zu stoppen und die richtige Weichenstellung für den zweiten Teil der Föderalismusreform aufzuweisen.

Das Bildungswesen ist zu grundlegend für die Gesellschaft, als dass man es konkurrenzföderalen Experimenten aussetzen darf.

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