Rääde · 13.10.2006 Früher wahrnehmen – schneller handeln - besser kooperieren - zum Wohle unserer Kinder

Die Landesregierung hat einen Bericht über die Aktivitäten in unserem Bundesland zur vernetzten Betreuung und Unterstützung von Kindern vorgelegt. Lob gilt vor allem dem Anhang, der meines Wissens nach erstmals eine komplette Übersicht über die Angebote in Schleswig-Holstein bietet. Die Liste verweist aber indirekt auch auf das Kernproblem der hiesigen Struktur: die 13 Seiten zeigen die bunte Vielfalt der Angebote, stehen aber auch für die Unübersichtlichkeit der Strukturen.
Hilfen für Familien, da sind sich alle Fachleute einig, müssen wohnortnah, kompetent und niedrigschwellig sein. Wie sieht es damit aus? Die Landesregierung bemüht sich, zumindest das erste Prinzip zu erfüllen. Natürlich steht Eltern in den Städten ein besseres Angebot zur Verfügung als das in den ländlichen Bereichen der Fall  ist. Andererseits werden auch Eltern, die auf dem Land wohnen, nicht auf die städtischen Strukturen verwiesen. In allen Landkreisen finden sich engagierte Unterstützerinnen und Unterstützer. Der SSW begrüßt ausdrücklich die Bemühungen um eine wohnortnahe Versorgung - auch wenn diese mit höheren Kosten verbunden ist.

Doch wie sieht es mit den anderen Bedingungen aus: der Kompetenz und dem leichten Zugang? Kommen wir zur Qualifikation, denn sie ist am leichtesten messbar. Bedauerlicherweise gibt die Landesregierung keine näheren Auskünfte darüber, wie viel Personal mit welchem Qualifikationshintergrund in den genannten Beratungsstellen fest angestellt ist. Ich weiß natürlich, dass es auch innerhalb einer Profession große Unterschiede geben kann: eine Hebamme kann Dienst nach Vorschrift machen oder versuchen, den Müttern soziale Unterstützung zu vermitteln. Aber trotzdem ist die Ausbildung bzw. Berufsbezeichnung ein guter Hinweis auf die Professionalität eines Angebotes. Damit soll keinesfalls angeleitete, ehrenamtliche Arbeit abqualifiziert werden, doch diese kann immer nur ergänzend angelegt sein und braucht professionelle Unterstützung.

Ich möchte willkürlich einen Angebotstyp herausgreifen: die Familienbildungsstätten. Sie sind es, die durch ein breit gefächertes Angebot die Familien direkt erreichen. Die Familienbildungsstätten sind ein Treffpunkt für Junge und Alte, für Begüterte und Arbeitslose. Familienbildungsstätten thematisieren und beraten bei Problemstellungen, von denen Familien und einzelne Familienmitglieder betroffen sein können. Das ist eine wichtige Aufgabe. Die Zuschüsse fallen nicht besonders üppig aus: 34 Einrichtungen teilen sich 747.000 Euro. Da kann ich mir ausrechnen, dass akademische Vollzeitstellen vom Träger gar nicht zu finanzieren sind. Wer arbeitet aber in den Familienbildungsstellen, zu welchen Bedingungen? Der Bericht macht dazu keine Angaben. Diese Informationen braucht der Landtag, um überhaupt einschätzen zu können, ob die bestehenden Strukturen ausreichend sind. Hinter den Adressen hätte ich mir eine Personalauflistung gewünscht sowie eine Nutzerstatistik.
Dass Angebote bestehen, ist nämlich keine Garantie dafür, dass die damit verbundenen Ziele auch umgesetzt werden können. Der SSW hält mehr Zahlen und Informationen für unumgänglich. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass es uns weder um ein Ausspionieren der Arbeit geht, noch um noch mehr Verwaltungsaufwand. Dem SSW geht es um die Offenlegung der Strukturen mit allen dazu notwendigen Informationen.

Ich möchte an einem anderen Beispiel mein Unbehagen verdeutlichen: Vor zwei Wochen konnte man im „Focus“ lesen, dass im letzten Jahr täglich mehr als 70 Kinder in Deutschland aus den Familien heraus in Obhut genommen wurden. Ich hätte erwartet, dass der vorliegende Bericht Bezug auf hiesige Zahlen genommen hätte. Welche Erfahrungen liegen mit der Inobhutnahme vor? Der Bericht geht zwar auf die Inobhutnahme ein, allerdings aufbereitet wie in einem sozialpädagogischen Lehrbuch. Es werden ausschließlich das Verfahren selbst und die daran Beteiligten beschrieben. Vergleiche mit Vorjahren und fachliche Einschätzungen fehlen. Verfügt das Ministerium etwa nicht über eingehendere Kenntnisse? Dabei haben die Berichtsantragsteller ausdrücklich nach der Wirkung der Maßnahmen gefragt.

Doch mir liegt noch etwas auf dem Herzen: im gewachsenen Angebot der Familienhilfe ist die aufsuchende Beratung und Unterstützung immer noch die Ausnahme. Das Stichwort heißt im Fachjargon: niedrigschwellige Angebote. Beratungen, die auf Anfrage getätigt werden, richten sich ausschließlich an Eltern, die bereits um ihre Probleme wissen. Wer als junge Mutter aus Angst vor Überforderung die Augen vor Problemen seines Kindes verschließt, wird sich niemals ans Gesundheitsamt wenden. Die Menschen dort abholen, wo sie stehen, sollte die Maxime einer wirkungsvollen Familienpolitik sein. Die Schutzengel zeigen, wie es geht: Hausbesuche und Angebote wie das Elternfrühstück erlauben es den Eltern, ohne Gesichtsverlust über bestehende Probleme zu reden. Dann kann man gemeinsam dessen Beseitigung angehen.
Alle Fachleute sind sich einig, dass niedrigschwellige aufsuchende Angebote den Familien am besten helfen. Daran fehlt es aber leider immer noch. Wir planen immer noch von oben nach unten: Diejenigen, die nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, fallen weiterhin durch das Raster und erhalten dann nicht die Hilfe, die notwendig wäre. Doch genau an diese Klientel wollen wir ran! Die, die das System kennen, finden ohnehin ihren Weg und können sich auch besser durchsetzen.

Gerade die Modellprojekte zeigen, dass es besser gehen kann. Hier gibt es also noch wirklich etwas zu tun. Wir sollten aus unseren Modellprojekten lernen und einiges von ihnen flächendeckend umsetzen.

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