Rääde · 05.05.1999 Schleswig-Holstein - Zukunftsregion in Europa

Der Landtag hat sich im Juli 1998 und im Februar 1999 mit dem CDU-Antrag Schleswig-Holstein im 21. Jahrhundert" und im November 1998 mit der Regierungserklärung zum Thema Rahmenbedingungen und Perspektiven für Schleswig-Holstein" auseinandergesetzt. Weiterhin haben wir letztes Jahr im Oktober über den Ostseebericht 1997/1998 debattiert. In allen Debatten waren die Ostseekooperation und die EU-Osterweiterung sowie die Chancen und Möglichkeiten, die sich daraus für Schleswig-Holstein ergeben, ein wichtiges Thema.
Heute haben wir wieder zwei Anträge zum Thema Europa vorliegen, dabei geht es um Schleswig-Holstein: Zukunftsregion in Europa" und um die Rolle der Regionen im erweiterten Europa". Keines der Themen ist neu, im Gegenteil: viele Aspekte haben wir in diesem Hause schon oft angesprochen. Der Stellenwert, den die Ostseekooperation für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung Schleswig-Holsteins hat, ist dabei bei allen Parteien unumstritten. Die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten - beispielsweise im Bildungsbereich, beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, bei der konkreten Zusammenarbeit zwischen den Regionen und den wirtschaftlichen Beziehungen der Unternehmen - sind uns allen klar und werden auch von der Landesregierung im Rahmen ihrer Möglichkeiten vorangetrieben.
Die Landesregierung spielt seit Jahren eine konstruktive Rolle in der Ostseezusammenarbeit. Das muß man klar sagen. Daran ändert auch der CDU-Antrag nichts, in dem die Landesregierung zum Handeln aufgefordert wird. Viele der CDU-Forderungen, beispielsweise die verkehrspolitischen Forderungen, haben wir schon so oft im Plenum behandelt, daß es langsam lächerlich wirkt, sich immer wieder damit auseinanderzusetzen.
Wenn es trotzdem heute Sinn macht über diese Thematik neu zu diskutieren, liegt es aus der Sicht des SSW an drei entscheidenden Geschehnissen, deren Einfluß auf die zukünftige Entwicklung Schleswig-Holsteins im Moment noch völlig offen ist. Ich meine hier die Verhandlungsergebnisse der AGENDA 2000 und die damit verbundenen Folgen für die EU-Osterweiterung, den Rücktritt der EU-Kommission und die damit aufgekommene Forderung nach strukturellen Veränderungen der EU-Institutionen und vor allem aber den Krieg im Kosovo.
Deshalb wirkt es recht befremdlich, daß im CDU-Antrag kein Wort zum Kosovo-Konflikt und zu den möglichen Auswirkungen gerade auch auf die Zusammenarbeit im Ostseeraum gesagt wird. Alle unsere Visionen und Träume von einer Ostseeregion, wo die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Zusammenarbeit zwischen allen Anrainerstaaten zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger gedeiht, könnten mit einem Schlag zunichte gemacht werden, wenn sich in Rußland im Zuge eines fortdauernden Kosovo-Krieges die nationalistischen und kommunistischen Kräfte durchsetzen.
Während des Kalten Krieges" war unsere Ostseeregion eines der ersten Opfer der Spannungen zwischen den beiden Supermächten. Bis 1989 ging der Eiserne Vorhang" genau durch die Ostseeregion und die Kontakte zwischen den Anrainerstaaten waren spärlich und schwierig. Kontakte zwischen den Bürgern waren nahezu nicht vorhanden. Diese Situation darf sich auf keinen Fall wiederholen.
Wer an den letzten Ostseeparlamentarierkonferenzen teilnahm oder anderswo auf russische Parlamentariker traf, weiß, mit welchen Bedenken man von russischer Seite die NATO-Osterweiterung bis nach Polen zur Kenntnis genommen hat. Ob es objektiv richtig ist, sei dahin gestellt, aber fact ist, daß die NATO-Erweiterung in Rußland vielerorts als Bedrohung angesehen wird. Die Bombadierung Serbiens - ohne UNO-Mandat - hat diesen Eindruck nur verstärkt. Die demokratischen Kräfte in Rußland werden weiter geschwächt werden, wenn der Krieg im Kosovo nicht schnellstens politisch gelöst wird.
Wir dürfen uns nichts vormachen: - Auch wenn wir schon weit gekommen sind und sich beispielsweise die Zusammenarbeit mit Polen und den Balten weiter verbessert - ohne ein friedliches und demokratisches Rußland werden wir die Vision eines Mare Balticum" - einer Zukunftsregion Ostsee - nicht umsetzen können. Angesichts der jetzigen angespannten Lage bleibt für Schleswig-Holstein nur, weiter an den Kontakten - gerade auch zu den russischen Partnern - festzuhalten. Wir dürfen das Vertrauen unserer russischen Gesprächspartner nicht verlieren.
Sowohl die spärlichen Verhandlungsergebnisse der Agenda 2000 - wenn wir davon absehen, daß die EU-Strukturförderung für Schleswig-Holstein im großen Stil beibehalten wird, was natürlich für uns wichtig ist - als auch der Rücktritt der EU-Kommission machen deutlich, daß sich die gesamte EU und ihre Mitgliedsstaaten - unabhängig von der Situation im Kosovo - in einer Krise befinden, die auch Auswirkungen auf die EU-Osterweiterung haben kann.
Aus Sicht des SSW war es von Anfang an ein Fehler, daß die EU die Aufnahmeverhandlungen nicht gleichzeitig mit allen elf beitrittswilligen Ländern begonnen hat. Es hätte der EU gut getan, dabei auf die Stimme der nordischen Länder zu hören. Von daher können wir die CDU-Forderung nach Erweiterung der Beitrittsverhandlungen um die baltischen Staaten Litauen und Lettland unterstützen. Insgesamt bleibt aber die Tatsache, daß die EU-Strategie ein Fehler war. Das zeigen auch die Verhandlungsergebnisse der AGENDA 2000. Man kann nicht gleichzeitig sowohl eine Erweiterung als auch eine vertiefte Integration anstreben.
Dabei haben die Bürgerinnen und Bürger Europas kein Vertrauen in eine zentralisierte EU-Zusammenarbeit oder in einem EU-Bundesstaat. Die Formulierung im SPD-Antrag, daß die zukünftige Entwicklung der EU in den Regionen, von den Regionen und mit den Regionen diskutiert werden soll, ist ja richtig. Aber sie ist nicht realistisch, solange die EU auf vielen Gebieten weiterhin auf eine Integration hinarbeitet. Bleiben wir ehrlich, welchen Einfluß hat beispielsweise die Region Schleswig-Holstein auf die bisherige EU-Politik gehabt. Trotz der Einführung des sogenannten Subsidiarität-Prinzips doch leider bitter wenig!
Der Rücktritt der EU-Kommission ist dabei nur ein Symptom dieser Entwicklung. Ob eine Reform der EU-Institutionen wirklich gelingt, erscheint dabei zweifelhaft. In Zukunft brauchen wir eine andere Zusammenarbeit in ganz Europa. Der SSW tritt dafür ein, daß die nationalen Regierungen und Parlamente in der zukünftigen EU-Zusammenarbeit gestärkt werden. Ein Nein zu Europas Vereinigten Staaten ist jedoch kein Nein zur europäischen Zusammenarbeit. Das langfristige Ziel des SSW ist ein Bund freier und selbständiger Staaten in Europa. Wir müssen endlich aufhören, Europa und seine Staaten zu spalten.
Die Stärke der bisherigen Ostseezusammenarbeit war ja, daß sie funktioniert hat, ohne daß alle Staaten Mitglied der EU oder der NATO waren. Aus unserer Sicht ist dabei interessant, daß alle Ostseeanrainerstaaten - auch Rußland - aber Mitglied im Europarat sind. Gleichzeitig ist der Europarat, der heute seinen 50-jährigen Geburtstag feiert, eine Organisation, in der - mit Ausnahme Jugoslawiens und Weißrußland - alle europäischen Staaten vertreten oder als Gäste zugelassen sind:
Der Europarat wurde am 5. Mai 1949 mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Staaten zu verbessern. Dies sollte durch gemeinsame Absprachen und Verträge - im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, wissenschaftlichen und im Bereich der Justiz - gefördert werden. Dazu hat der Europarat das Ziel, die Menschenrechte und fundamentalen Freiheitsrechte zu stärken. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges" ist die Bedeutung des Europarates gewachsen. Heute sind 40 Staaten auch - fast alle Staaten Ost- und Zentraleuropas - Mitglieder des Europarates.
Heute befaßt sich der Europarat hauptsächlich mit der Einhaltung von Menschenrechten in den Mitgliedsstaaten und mit der Sicherung der Rechte von nationalen und ethnischen Minderheiten in Europa. So hat der Europarat die Europäische sMenschenrechtskonvention, die Europäische Sprachencharta und die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten verabschiedet. Gleichzeitig arbeitet der Europarat mit der Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (OSZE) eng zusammen. Aber auch im sozialen Bereich und bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Kriminalität gibt es eine Zusammenarbeit. Das zeigt, daß die EU nicht das einzige Forum ist, wo solche Probleme zur Sprache gebracht werden können.
Wir müssen alle Institutionen stärken, die eine verbesserte Zusammenarbeit in Europa auf wichtigen Gebieten fördern und somit zur Überwindung der Spaltung Europas beitragen können. Wir wissen, daß der Europarat nicht die wirtschaftliche Rolle der EU übernehmen kann. Gleichwohl sollte seine Bedeutung unbedingt gestärkt werden, denn der Europarat hat eine stärkere demokratische Legitimierung als die EU. Trotz der Zweifel an der Aufnahme von Rußland und der teilweise berechtigten Kritik an der fehlenden Sanktionsmöglichkeiten, beispielsweise bei Menschenrechtsverletzungen, hat der Europarat eine Zukunft.
Besonders in den nordischen Länder hat die Organisation ein hohes Ansehen - nicht zuletzt als Brückenbauerin für ein neues Europas. In diesem Sinne kann der Europarat eine konstruktive Rolle spielen, die letztendlich auch für die Ostseeregion und für Schleswig-Holstein von entscheidender Bedeutung sein kann.

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