Rääde · 28.08.1997 Vergleiche von Schulleistungen

Die unter diesem Tagesordnungpunkt zu behandelnden Anträge betreffen die Vergleichbarkeit schulischer Leistungen.

Den Antrag zu länderübergreifenden Vergleichen von Schulleistungen hält der SSW für problematisch. Bildungspolitik ist in Deutschland eine der letzten Bastionen, die den Ländern geblieben ist. Seine Hoheit in diesem Bereich wird ein Bundesland kaum freiwillig aufgeben wollen.

Das Land soll sich bei der Kultusministerkonferenz für die Schaffung einer Rahmenvereinbarung stark machen. Ziel dieser Rahmenvereinbarung soll ein regelmäßiger Ländervergleich zur Qualität schulischer Bildung sein. Mit der Erstellung dieses Vergleichs sollen regierungsunabhängige wissenschaftliche Institute beauftragt werden, die die Ergebnisse offenlegen.
Was kommt dann aber danach? Auf diese Frage bietet der Antrag nur die Antwort, daß die Landesregierung dem Landtag regelmäßig berichten soll. Andere Konsequenzen werden nicht aufgezeigt.

Es drängt sich der Eindruck auf, daß wir künftig regelmäßig mit der TOP TEN der Bildungshitliste konfrontiert werden. Sollte Schleswig-Holstein auf einem der oberen Ränge rangieren, können wir uns alle gegenseitig auf die Schulter klopfen. Wenn nicht, dann haben wir eine gute Grundlage, auf der wir einmal mehr das Bildungsministerium in das Zentrum der Kritik stellen können.

Bedenkt man, mit welchen Ausgaben die Erstellung solcher regelmäßigen Ländervergleiche verbunden wäre, dann halte ich den Nutzen für recht dünn.

Es ist aber auch möglich, daß ich den Antrag ganz falsch verstanden habe, und die CDU in Wirklichkeit daran denkt, die Kultusministerkonferenz mit der Schaffung bestimmter Maßnahmen zu beauftragen, durch die die Länder auf ähnliche Niveaus gebracht werden sollen. Das würde dann aber die Bereitschaft der CDU erfordern, sich den Vorschlägen der Kultusministerkonferenz gegebenenfalls zu fügen.

Angesichts der aktuellen Debatte der Rechtschreibreform halte ich eine solche Bereitschaft bei der CDU für äußerst fragwürdig. Obwohl sich nämlich die regierungsunabhängigen Sprachwissenschaftler darin einig sind, daß der Rest dieses übrig gebliebenen Reförmchens immer noch sinnvoll ist, wird dies von der CDU nach wie vor vehement bestritten. Kollege Maurus, seines Zeichens Vorsitzender des Innen- und Rechtsausschusses, fordert nach wie vor - in stringenter Unbelehrbarkeit - die Abschaffung der Reform. In diesem Fall muß ich dem Bundeskanzler ausnahmsweise einmal zustimmen: es ist schon sehr bedauerlich, daß nun das Bundesverfassungsgericht herangezogen werden muß! Wenn man der Kultusministerkonferenz aber einerseits jegliche Entscheidungsbefugnis abspricht, kann man sie andererseits nicht mit der Schaffung bestimmter Leistungsstandards beauftragen.

Ich gelange zu dem Ergebnis, daß die Kolleginnen und Kollegen von der CDU gut daran täten, ihren Antrag zu den länderübergreifenden Vergleichen von Schulleistungen nochmals zu überdenken.

Auch landesweit sollen vergleichbare Leistungsstandards erarbeitet werden. Die Leistungsanforderungen sollen in den verschiedenen Schularten mit Hilfe bestimmter Maßnahmen vergleichbar gestaltet werden. Als Maßnahmen werden unter anderem verbindliche Musteraufgaben für die Kernfächer und erste Fremdsprache sowie die Stärkung der verbindlichen Anforderungen in den Richtlinien und Lehrplänen erwähnt.

Sollte dieser Antrag einmal mehr eine versteckte Kritik an den Gesamtschulen beinhalten, dann bin ich es ehrlich gesagt leid, darauf einzugehen. Es ist inzwischen im Grunde genommen egal, was diese Schulen leisten. Selbst wenn sie bei Vergleichen der Schularten untereinander gut abschneiden, wird die CDU immer noch ein Haar in der Suppe finden.
Aber ernsthaft: natürlich gibt es Schülerinnen und Schüler, die im Laufe ihrer Schulzeit umziehen. Sie ziehen von einem Bundesland ins nächste oder sie ziehen innerhalb desselben Bundeslandes um. Häufig werden sie die Erfahrung machen, daß sie in einigen Fächern noch nicht so weit sind, wie die Schüler, in deren Klasse sie kommen. In anderen Fächern ist ihr Wissen schon größer, als das ihrer neuen Klassenkameraden. Und in den allermeisten Fällen - sage ich mal ganz salopp - wächst sich das alles im Laufe kurzer Zeit zurecht.

Nun sind wir gerade einmal so weit, daß wir mehr Eigenverantwortung, mehr Spielraum an die Schulen und an die Lehrkräfte delegieren wollen. Das ist ein erster vernünftiger Schritt in eine Richtung, die mit der des Antrags einfach nicht zusammenpaßt. Wenn mehr in eigener Verantwortung gestaltet werden soll, dann können wir nicht gleichzeitig von oben herab diktieren, was wann und wie gemacht werden soll. Bedenken Sie bitte, daß wir den Lehrern gleichzeitig ein Maß an Kreativität abverlangen. Ihnen muß wenigstens ein bißchen Luft zum Atmen bleiben.

Im Hamburger Abendblatt war von einer vergleichenden Untersuchung Hamburger Schulen zu lesen, an der 12400 Fünftkläßler teilgenommen haben. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, daß der Leistungsstand regional sehr unterschiedlich ist. Gegenüber den Elbvororten, in denen der Durchschnitt relativ hoch sei, hätten soziale Brennpunkte etwa in der City das Nachsehen. Die Hamburger Schulsenatorin ist über die Unterschiede überrascht und will in Zukunft Bildungsbarrieren abbauen. Die Untersuchung hat 500.000 DM gekostet.

Daß die Leistungsunterschiede je nach Wohngebiet unterschiedlich sind, entbehrt nicht einer gewissen Logik und überrascht mich auch nicht besonders. Es ist klar, daß die Leistungen dort erwartungsgemäß höher liegen, wo die Erziehungsberechtigten oder Ersatzpersonen sich am intensivsten mit den Kindern auseinandersetzen können. Die Lust am Lernen entsteht durch positive Motivation. Hier helfen verbindliche Musteraufgaben und verbindliche Lehrpläne nicht viel weiter.

Um noch einmal auf das Thesenpapier Rüttgers zurückzukommen, so bemängelt er ganz richtig, daß viel zu viele junge Menschen ganz ohne Schulabschluß bleiben. Sie verlassen die Schulen Jahr für Jahr ohne ausreichende Grundfertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen. In seiner Konklusion, die Zahl der „Bildungsaussteiger“ müsse drastisch gesenkt werden, kann ich ihm nur zustimmen. Dieses Ziel kann seiner Auffassung nach dadurch erreicht werden, daß Schulen, die im Vergleich mit besonders schlechten Ergebnissen abschneiden, ohne Gehaltsausgleich für die Lehrer und ohne Stundenausfall an anderer Stelle Nachhilfekurse durchführen. Wenn die Lehrer nun auch noch dafür verantwortlich gemacht werden sollen, daß ihre Schüler außerhalb der Schule keine Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten, dann sind wir wirklich weit gekommen! So sollten wir schwerwiegende Probleme nicht angehen.

Dem letzten Antrag der CDU zur Stärkung der schulischen Bildung in Schleswig-Holstein vermag der SSW nichts abzugewinnen.

Wenn wir uns weg von dem Verständis der Schule als weisungsgebundener Verwaltung hin zu einer individuellen Gestaltung der Schule bewegen wollen, die am Bedürfnis der Kinder, ihrer Eltern und ihrer Lehrer ausgerichtet ist, dann sind Umstrukturierungsmaßnahmen erforderlich. Die CDU hält aber nur zu gern an liebgewonnenen Traditionen, wie dem gegliederten Schulwesen, fest. Das kann mit der Forderung des SSW nach einer ungeteilten Schule nicht harmonieren.

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