Speech · 16.10.2025 Wir entwickeln die Grundlagen unseres Zusammenlebens weiter

„Erstens: Das Land schützt die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen und pflegender Angehöriger…Zweitens: Kinderrechte…Wer heute Kindern eine Stimme gibt, stärkt die Demokratie von morgen…Drittens: Dass im Entwurf nun das kulturelle Erbe, insbesondere das der nationalen Minderheiten und Volksgruppen sowie der jüdischen Kultur, unter den Schutzauftrag des Landes gestellt wird, ist ein großer Fortschritt.Viertens: Mit der Einführung der Verfassungsbeschwerde sagen wir als Land: Wir trauen unseren Bürgerinnen und Bürgern zu, ihre Rechte selbst in Anspruch zu nehmen.“

Christian Dirschauer zu TOP 2+3 - Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (Drs. 20/3684 + 20/3690)

Wir sprechen heute über nichts Geringeres als die Weiterentwicklung der Verfassung unseres Landes Schleswig-Holstein. Es geht also um die Grundlagen unseres Zusammenlebens, um das, was wir als Gesellschaft als besonders schützenswert ansehen – um Rechte, um Prinzipien, um Verantwortung.
Vier Vorlagen liegen uns vor: Der Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung von CDU, Grünen, FDP und SSW, ein Änderungsantrag der SPD und einer von der FDP und immer noch unser eigener Gesetzentwurf zur Einführung der Verfassungsbeschwerde (Drs. 20/71) von Juni 2022, den wir im weiteren Verlauf der Ausschussanhörung ebenfalls einbeziehen werden.
Die Richtung dieser Verfassungsdiskussion begrüßen wir als SSW ausdrücklich. Und ich möchte mich eingangs für die konstruktive Arbeit bei allen Fraktionen im Landtag ganz herzlichen bedanken. Denn es geht um Themen, die uns seit Jahren wichtig sind – und bei denen wir der festen Überzeugung sind, dass sie in der Landesverfassung verankert gehören: die Beteiligung von Kindern, der Schutz pflegender Angehöriger, der Erhalt des kulturellen Erbes, um nur einige Beispiele zu nennen – und nicht zuletzt das Recht der Bürgerinnen und Bürger, sich bei einer Verletzung ihrer Grundrechte auch auf Landesebene wehren zu können, auch wenn wir diesen letzten Punkt - die Verfassungsbeschwerde - bisher eben nicht einigen konnten.
Lassen Sie mich mit einem Thema beginnen, das in der gesellschaftlichen Realität einen riesigen Raum einnimmt, in den politischen Debatten aber oft zu wenig Aufmerksamkeit bekommt: die Pflege – und ganz besonders: die pflegenden Angehörigen.
Etwa 80 % der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden zu Hause gepflegt – meist von Partnerinnen oder Partnern, von Kindern, oft allein von Frauen. Das sind Menschen, die unter schwierigen Bedingungen Tag für Tag Verantwortung übernehmen. Sie tun das mit großer Hingabe, häufig aber auch unter großer Belastung – emotional, zeitlich, körperlich und finanziell. Und was gibt ihnen die Politik zurück? Zu oft: zu wenig. Zu wenig Anerkennung. Zu wenig Unterstützung. Zu wenig Absicherung.
Deshalb begrüßen wir als SSW ausdrücklich, dass in Artikel 8 Absatz 2 des Entwurfs 20/3684 festgeschrieben werden soll:
„Das Land schützt die Rechte und Interessen pflegebedürftiger Menschen und pflegender Angehöriger.“
Das ist keine rhetorische Floskel. Das ist ein Verfassungsauftrag. Das bedeutet konkret: Gesetzgeber und Verwaltung müssen Pflege in ihren politischen Entscheidungen mitdenken. Sie müssen Strukturen schaffen, die pflegende Angehörige unterstützen, statt sie allein zu lassen.
Wir erwarten, dass sich daraus handfeste Verbesserungen ergeben: bessere Beratungs- und Unterstützungsangebote, mehr Entlastung, bessere Vereinbarkeit mit Beruf und Familie. Kurz: eine Politik, die die Würde der pflegenden Angehörigen achtet und ihre Leistung nicht als selbstverständlich hinnimmt.

Zweitens, meine Damen und Herren: Kinderrechte.
Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass wir im Jahr 2025 noch darüber diskutieren, ob Kinder in unserer Verfassung als eigenständige Träger von Rechten aufgenommen werden sollen. Natürlich sollen sie das. Und zwar klar, deutlich und mit Wirkung. Denn Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Sie haben eigene Bedürfnisse, eigene Lebenswelten – und sie brauchen besonderen Schutz. Sie brauchen Beteiligung und das Recht, gehört zu werden.
Deshalb unterstützen wir ausdrücklich und freuen uns, dass in Artikel 9 des Entwurfs das Kindeswohl als wesentliches Kriterium für staatliches Handeln verankert werden soll. Und dass die Beteiligung von Kindern entsprechend ihrer Reife vorgesehen wird. Was heißt das für uns als SSW konkret? Das heißt: Bei Schulreformen müssen Kinder gefragt werden. Bei Planungen, die ihr Umfeld betreffen, bei Jugendhilfe, bei digitalen Angeboten – Kinder müssen eine Stimme bekommen.
Denn: wer heute Kindern eine Stimme gibt, stärkt die Demokratie von morgen.

Drittens, meine Damen und Herren, möchte ich über kulturelle Vielfalt und Minderheiten sprechen. Und hier, das sage ich als Abgeordneter des SSW, geht es nicht nur um eine Frage der Identität, sondern um eine Frage der Gerechtigkeit und des Respekts.
Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland in der gleich drei Minderheiten heimisch sind. Mit der dänischen Minderheit, mit der friesischen Volksgruppe, mit der deutschen Sinti- und Roma-Gemeinschaft sind wir ein Land der Vielfalt. Und darauf dürfen wir nicht nur stolz sein – wir müssen es auch aktiv schützen.
Dass im Entwurf nun das kulturelle Erbe, insbesondere das der nationalen Minderheiten und Volksgruppen sowie der jüdischen Kultur, unter den Schutzauftrag des Landes gestellt wird, ist ein großer Fortschritt. Denn Minderheiten sind nicht nur Gruppen mit besonderen Sprachen und Bräuchen – sie sind Teil der Geschichte dieses Landes, Teil seiner Identität, seiner kulturellen DNA.
Dieser Schutz in der Verfassung bedeutet: Sprachförderung darf nicht weggespart werden. Bildungsinhalte müssen Minderheiten abbilden. Kulturpolitik muss vielfältig sein. Und vor allem: Der Staat darf keine Strukturen begünstigen, die zur Assimilierung oder Marginalisierung führen.
Als Vertreter des SSW kann ich sagen: Wir stehen fest hinter dieser Verfassungsänderung – sie stärkt nicht nur meine dänische Minderheit, sondern alle, die kulturelle Vielfalt als Bereicherung sehen.

Meine Damen und Herren, kommen wir zum vierten und letzten Punkt, den ich hier in meiner Rede benennen möchte – einem Anliegen, das wir als SSW schon seit Jahren vertreten: Die Einführung der Verfassungsbeschwerde auf Landesebene, wie wir sie in unserer Drucksache 20/71 vorgeschlagen haben.
Aktuell können Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein nicht das Landesverfassungsgericht anrufen, wenn sie sich durch Landesrecht oder Handlungen der Landesbehörden in ihren Rechten verletzt fühlen. Sie sind gezwungen, bis nach Karlsruhe zu gehen – oft mit hohen Kosten, langen Verfahrenswegen, und das bei sehr begrenzten Erfolgsaussichten.
Das ist nicht nur ein formales Problem – das ist ein Demokratiedefizit.
Wenn wir unseren Bürgerinnen und Bürgern Rechte garantieren – wie etwa die in dieser Verfassungsänderung vorgeschlagenen neuen sozialen Rechte – dann müssen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, diese Rechte durchzusetzen. Sonst droht die schönste Formulierung im Zweifel ein leeres Versprechen zu bleiben.
Mit der Einführung der Verfassungsbeschwerde sagen wir als Land: Wir trauen unseren Bürgerinnen und Bürgern zu, ihre Rechte selbst in Anspruch zu nehmen. Und wir trauen unserem Verfassungsgericht zu, diese Rechte auch zu schützen.
Das stärkt das Vertrauen in den Rechtsstaat – und es stärkt unsere Verfassung. Deshalb bitte ich Sie alle: Unterstützen Sie im weiteren Verfahren unseren Vorschlag. Lassen Sie uns gemeinsam einen echten Schritt hin zu noch mehr Rechtsstaatlichkeit machen – gerade in diesen Zeiten ist dies doch so wichtig.
Meine Damen und Herren,
in den Diskussionen rund um Artikel 14 – insbesondere im Änderungsantrag der SPD – wurde ein Punkt immer wieder betont: die Sorge, dass eine stärkere Ausrichtung auf digitale Verwaltungsprozesse bestimmte Gruppen benachteiligen könnte. Ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, Personen ohne regelmäßigen Zugang zum Internet oder mit sprachlichen Barrieren.
Und ich möchte ganz deutlich sagen: diese Sorgen, die auch außerhalb dieses Hauses formuliert werden, müssen wir ernst nehmen. Aber: Gerade deshalb ist wichtig darauf hinzuweisen, dass ein ausdrückliches Benachteiligungsverbot im neuen Artikel 14 aufgenommen wird. 
Das heißt ganz klar: Niemand wird ausgeschlossen. Niemand verliert den Zugang zu Behörden oder öffentlichen Leistungen.
Gleichzeitig wollen wir die digitale Verwaltung konsequent weiterentwickeln. Und dabei schauen wir mit Respekt und auch etwas Neid auf unser Nachbarland Dänemark, wo digitale Behördengänge heute selbstverständlich sind – effizient, bürgernah und barrierearm.
Aber auch in Dänemark gilt: Wer digitale Angebote nicht nutzen kann – aus Alter, Krankheit oder anderen Gründen – wird nicht allein gelassen. Niemand muss dort auf öffentliche Leistungen verzichten. Der Staat begleitet, statt zu überfordern.
Das ist auch unser Anspruch für Schleswig-Holstein: Eine moderne, digitale Verwaltung, die alle mitnimmt. Die den Zugang erleichtert, nicht erschwert. Und die Ressourcen dort bündelt, wo sie den Menschen direkt zugutekommen. Wir müssen also beides tun: den digitalen Wandel mutig gestalten – und gleichzeitig verbindlich garantieren, dass niemand auf der Strecke bleibt. Mit dem aufgenommenen Benachteiligungsverbot haben wir geben wir uns hier einen klaren Handlungsauftrag.
Ich freue mich und bin gespannt auf die Ausschussberatungen mit vielen fachkundigen Anzuhörenden.

 

Weitere Artikel

Speech · 16.10.2025 Kinderreiche Familien mitdenken!

„Kinderreiche Familien sind überproportional von Armut betroffen und in vielen Bereichen benachteiligt – sie müssen stärker in unseren Fokus und brauchen Unterstützung“

Weiterlesen

Speech · 15.10.2025 Wohnraum hat eine stark soziale Komponente

„Der Kompass muss eine gute Quartiersentwicklung in den Kommunen, eine Gemeinwohlorientierung mit bezahlbarem Wohnen, sowie bezahlbaren und nachhaltigen Bauweisen sein.“

Weiterlesen

Speech · 15.10.2025 Heimische Eiweißpflanzen können die ökologische Bilanz verbessern

„Bereits in der Küstenkoalition wurde die Problematik erkannt und so haben wir im Jahr 2013 einen Antrag – Drs. 18/1386 – eingereicht, mit dem Ziel eine Strategie für heimische Eiweißpflanzen zu entwickeln, um den Anbau von Eiweißpflanzen in der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein zu erhöhen. Quasi das, was die Regierungskoalition jetzt in ihrem Antrag fordert.“

Weiterlesen