Tale · 15.07.2009 Änderung der Landesverfassung und Verfassungsklage zur Schuldenbremse

Eigentlich hätte diese Debatte eine Sternstunde des Parlaments sein sollen, aber jetzt ist es eher eine Trauerfeier geworden. Nachdem die Föderalismuskommission es nicht geschafft hat, die Interessen und die Autonomie der Landesparlamente ausreichend zu berücksichtigen, hat ein einiger Landtag sich gegen die starre Schuldenbremse im Grundgesetz ausgesprochen und wollte ein einiger Landtag seine Rechte vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen. Es hätte ein Aufruf für den Parlamentarismus auf Länderebene werden sollen. Aber bedauerlicherweise ist diese Geschlossenheit jetzt von einer hyperaktiven „Koalition der Sparwilligen“ in Schutt und Asche gelegt worden. Die finanzpolitische Weitsicht wurde dem finanzpolitischen Populismus geopfert.

Zumindest einer der beiden Emissäre des Landtags in der Föderalismuskommission ist aber seinem Auftrag treu geblieben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für eine Schuldenbremse in der Landesverfassung und mit seinem Antrag zur Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wird unser Landtagspräsident der Verantwortung gerecht, die ihm als Vertreter der Landtage in der Bund-Länder-Kommission oblag. Dafür schulden wir Martin Kayenburg großen Dank. Er hat es vermocht, den gemeinsamen Nenner in dieser komplizierten Frage klar herauszustellen. Er hatte es geschafft, die Fraktionen in der Haltung zu einen, dass das Landesparlament seine haushaltsrechtlichen Möglichkeiten nicht so massiv vom Bundesgesetzgeber einschränken lassen darf. Diese Leistung ist jetzt von den Parteifürsten in der CDU und der SPD zunichte gemacht worden.

Leidtragender ist das Parlament als ganzes. Denn es ging hier gerade nicht um den parteipolitischen Streit darüber, wer wie viel sparen will. Es ging um das Gemeinsame. Es ging darum, eine schlechte Regelung auf Bundesebene zu verhindern, ohne dass damit die finanzpolitischen Ziele aufgegeben werden. Denn allen hier im Hause ist der Ernst der finanziellen Lage bewusst. Alle sind bereit, massiv zu sparen. Alle stehen hinter einer Schuldenbremse in der Landesverfassung, die es uns ermöglicht, die Ausgaben zu begrenzen und trotzdem Herr über das eigene Haus zu bleiben. Die Gemeinsamkeit ist aber trotzdem dahin.

Wir wollten unsere Autonomie bewahren – jedenfalls so weit es geht. Denn letztlich liegt es ja nicht allein in der Hand der Landesregierung oder des Landtags, dieses Land in den Ruin zu treiben oder denselben abzuwenden. Ein Großteil der Ausgaben im Haushalt ist die Folge von Pflichtaufgaben, die uns der Bund auferlegt. Rechnen wir zudem die Ausgaben weg, die uns durch landesgesetzliche Vorgaben oder Landespersonal entstehen, dann verfügt der Landtag mehr oder weniger frei über 5 % der Gesamtausgaben. Dies macht deutlich, wie gering die Spielräume sind. Natürlich kann man Personal abbauen und Gesetze wieder rückgängig machen, aber es hat auch seine Grenzen und es geht schon gar nicht von heute auf morgen. Durch eigene Anstrengungen allein werden wir uns nicht bis 2020 aus diesem Sumpf ziehen können.

Das Ergebnis dieser Schuldenbremse wird nicht zuletzt sein, dass die Forderung des Grundgesetzes nach gleichwertigen Lebensverhältnissen in allen Regionen Deutschlands künftig noch weniger erfüllt wird als heute. Denn einige Länder – allen voran Schleswig-Holstein – bekommen so wenig Unterstützung, dass sie sich ins eigene Fleisch schneiden müssen, um den Schuldenstopp zu erreichen. Die Große Koalition hat uns ja schon eine Liste vorgelegt, die den Wegfall von 4800 Arbeitsplätzen und die Kürzung vieler Leistungen bedeuten würde. Trotzdem könnte selbst mit diesem Plan nicht einmal die Hälfte des jährlichen strukturellen Defizits von 600 Millionen eingespart werden. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn wir ohne Rücksicht auf Verluste das Land abbauen. Akzeptieren wir die Schuldenbremse, so wie sie in Berlin beschlossen wurde, dann wird es irgendwann Länder erster und zweiter Klasse in Deutschland geben, in denen sehr unterschiedliche Lebensbedingungen herrschen. Justizminister Döring hat am Wochenende zu Recht gefragt, in welchem Land wir künftig leben wollen, und vor einer „Bruchbude“ Schleswig-Holstein gewarnt. Mit dem Verzicht auf die Verfassungsklage rückt diese Vision ein gutes Stück näher.

Mit der Schuldenregelung der Föderalismuskommission allein können wir keinen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen, und der bestehende Schuldenberg des Landes von über 23 Milliarden Euro bleibt davon gänzlich unberührt. Diese Altschulden bescheren uns jedes Jahr horrende Zinszahlungen, werden aber nicht von der Schuldenbremse berücksichtigt. Deshalb brauchen wir dringend eine Altschuldenregelung des Bundes und der Länder, die es möglich macht, innerhalb der nächsten Jahrzehnte bestehende Schulden abzubauen. Dies ist noch ein Argument dafür, die Schuldenregelung der Föderalismuskommission abzulehnen und einen soliden Ausweg aus dem Schuldensumpf zu bauen. Wenn wir nicht stopp sagen, dann nehmen wir hin, dass der Bund uns mit finanziellen Problemen allein lässt, die wir selbst nicht lösen können.

Es gibt viele gute Gründe, dass dieses Parlament beschlossen hatte, fraktionsübergreifend beim Bundesverfassungsgericht zu klagen. Und nicht ohne Grund wurde diese Klage auch mittlerweile schon vom Rechtsvertreter des Landtages vorbereitet. Niemand hat noch vor wenigen Wochen ernsthaft glauben können, dass die politischen Aussagen der CDU und der SPD in Schleswig-Holstein so wenig gelten und dass sie derart respektlos mit Parlamentsbeschlüssen umgehen würden. Die Konsequenz der irrationalen Ablehnung ist, dass ganz Schleswig-Holstein verliert. Die Landesregierung und der Landtag werden den Kampf um den ausgeglichenen Haushalt verlieren, weil er so schon gar nicht zu schaffen ist. Diese Schuldenbremse wird, wie die Maastricht-Kriterien, eine eiserne Latte sein, unter die wir das eine Jahr nach dem anderen darunter laufen müssen. Weil wir die starren Kriterien nicht erfüllen können, werden wir dann auch noch die 80 Millionen Euro jährliche Konsolidierungshilfe vom Bund verlieren, die uns eigentlich beim Schuldenabbau helfen sollten. Und am Ende verlieren alle Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner, weil ihnen im Alltag wichtige Leistungen und Angebote ersatzlos gestrichen werden, ohne dass ihr Schuldenberg dadurch wesentlich schrumpft.

Es gibt nur diese eine Chance, zur Vernunft zu kommen. Denn auf dem politischen Weg wird dieser Beschluss auf viele Jahre hinaus nicht geändert werden. Die Große Koalition in Berlin hat ihre breite Mehrheit genutzt, um das Grundgesetz zu ändern. Wenn nach der Bundestagswahl das „normale“ politische Leben wieder begonnen hat, dann wird es ungleich schwerer, eine neue Zweidrittelmehrheit zu finden, die diese Regelung wieder ändert oder abschafft.

Auch das Zeitfenster für eine Klage steht nicht ewig offen. Ist die Regelung erst in Kraft getreten, dann bleiben noch sechs Monate. Danach ist uns auch dieser letzte Weg für immer verbaut. Deshalb bleibt uns noch die Hoffnung, dass der Beschluss der Großen Koalition ebenso schnell und überraschend wieder umgestoßen werden wird, wie er zustande gekommen ist. Wenn sich die Kolleginnen und Kollegen der CDU und der SPD nicht eines Besseren besinnen, dann wird dieses Parlament seiner grundlegenden Rechte beschnitten und endet womöglich doch so, wie es Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung prophezeit hat: wie ein ausgeblasenes Osterei – eine bunte Schale ohne Inhalt.

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