Tale · 14.02.2019 Begriff „sicherer Herkunftsstaat“ suggeriert heile Welt

Lars Harms zu TOP 20 - Maghreb-Staaten und Georgien als sichere Herkunftsländer einstufen (Drs. 19/1229)

„Aufrichtig wäre: „Land mit vergleichsweise geringen Anerkennungschancen im Asylverfahren“!“

(Nr. 048-2019) Wir leben in Zeiten ständiger Asylrechtsverschärfungen. 1993 gehörte das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ zu dem sogenannten Asylkompromiss zwischen CDU/CSU und SPD, der die erste große Verschärfung dieser Art war. 2015 und 2016 mit den Asylpaketen I und II wurden weitere einschränkende Reformen eingeführt. 

Ursprünglich war für Freitag die Abstimmung im Bundesrat über die Einstufung von Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien als "sichere Herkunftsländer" geplant. Der erste Versuch der Bundesregierung, die Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer einzuordnen, ist 2016 im Bundesrat gescheitert. Und wenn wir mal ehrlich sind, dann ist das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“ ja auch angreifbar. Es ist EU-weit von Staat zu Staat uneinheitlich, welche Länder so eingestuft werden. Die Anerkennungsquote von höchstens 5% ist letztlich willkürlich gesetzt worden. Allein der Begriff „sicherer Herkunftsstaat“ ist eigentlich in der Diskussion irreführend, weil er eine heile Welt in diesen Ländern suggeriert. Aufrichtig wäre es, sie anders zu nennen. Zum Beispiel „Land mit vergleichsweise geringen Anerkennungschancen im Asylverfahren“. Denn das ist ja der Kern des Ganzen.

Eine Frage ist doch die, wie wir generell zu sicheren Herkunftsstaaten stehen. Da sage ich, es darf sie geben, wenn wir sie wie die „sicheren Drittstaaten“ verstehen, also Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Länder, in denen Frieden herrscht und in denen die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Menschenrechtskonvention gewährleistet sind. 

Die nächste Frage ist, sollten die Maghreb-Staaten und Georgien als „sichere Herkunftsstaaten“ gelten? Hier gibt es unterschiedliche Stellungnahmen und Sichtweisen. Es lässt sich aber nicht ignorieren, dass Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International große Zweifel angemerkt haben. Andererseits ist die Anerkennungsquote derart gering und es wäre dann auch schlicht fair, den Menschen in den betroffenen Staaten vorab zu signalisieren, dass sie eine sehr geringe Chance haben, in Deutschland das Bleiberecht zu erlangen. 

Dann folgt die Frage, was wir vom Konzept der sicheren Herkunftsstaaten erwarten. Die fromme Hoffnung ist, dass Asylverfahren beschleunigt bearbeitet werden können, ohne dass das Asylrecht selbst eingeschränkt wird. Das soll durch Verkürzungen bei den Verfahrenswegen ermöglicht werden, die wir absolut kritisch sehen. Denn, die Verfahrenszeit bei Asylentscheiden ist nach Angaben der Bundesregierung im dritten Quartal 2018 bereits von neun Monaten auf durchschnittlich ein halbes Jahr gesunken. Das ist zwar nicht das von der Bundesregierung selbst gesteckte Ziel von drei Monaten, aber es ist eine deutliche Verbesserung. Die Verfahren an sich schneller abzuarbeiten ist also effektiver als Verfahren künstlich zu verkürzen, in dem man Länder zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt.

Und damit sind wir schlussendlich bei der Frage der Auswirkungen auf das individuelle Asylverfahren. Denn der Unterschied ist, dass man sich in Deutschland zur Klärung des Falls länger aufhalten kann, wenn man nicht aus einem sogenannten sicheren Herkunftsland kommt. Das kann im Zweifelsfall sehr konkrete Folgen für die einzelne Person haben. 
Bei der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ verkürzt sich die Ausreisefrist auf eine Woche. Klage gegen die Entscheidung ist auch innerhalb einer Woche zu erheben und die Betroffenen müssen zusätzlich einen Antrag stellen, damit die Klage überhaupt eine aufschiebende Wirkung hat. Darauffolgend müssen die Gerichte wiederum innerhalb einer Woche über den Antrag entscheiden. 
Unser insgesamtes Interesse, auch im Sinne der Asylantragsstellenden sollte es durchaus sein, die Bearbeitung der Verfahren zu verkürzen. Und zum Asylrecht gehört eben auch dazu, dass die Menschen, die kein Bleiberecht erhalten haben, zurückkehren müssen. 
Aber hier bekommen wir ein derart beschleunigtes Verfahren, dass schon das Asylrecht an sich in Frage gestellt wird. Für uns als SSW steht fest, dass wir es zwar richtig finden, denjenigen, die kaum Bleibechancen haben, dieses auch zu signalisieren, aber dies darf nicht zu einer Verkürzung der Verfahrenswege führen. Und letztendlich brauchen wir hier eine einheitliche Regelung in Europa, anstatt Alleingänge einzelner Staaten. 

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