Tale · 17.06.2021 Ein Bekenntnis zu Teilhabe, Mitbestimmung und Integration

„Alle Menschen würden gerne über Spielplätze, die Aufstellung von Windrädern, Fahrradstraßen oder den Betrieb von Schwimmbädern mitbestimmen dürfen. Wir wünschen uns ein Bekenntnis zu Teilhabe, Mitbestimmung und Integration.“

Lars Harms zu TOP 28 - Kommunalwahlrecht für alle einführen (Drs. 19/3073 & 19/3108) 

Was ich an dieser Stelle gar nicht gerne machen würde, wäre diese Debatte von Anfang an auf einen juristischen Blickwinkel zu reduzieren. Erst einmal ist es nämlich eine Frage, die wir generell beantworten müssen. Gesellschaftlich wie politisch: Wie viel Teilhabe gestehen wir anderen Menschen zu? „Wir“ sind für mich in dieser Situation Menschen, die das Recht auf politische Mitbestimmung schon haben. Wir, die wir die deutsche Staatsbürgerschaft haben, mit der ein Recht auf politische Mitbestimmung einhergeht. „Andere Menschen“ sind in diesem Fall Menschen, die Drittstaatenangehörige oder Staatenlose sind, die dieses Recht bisher nicht wahrnehmen können.  Momentan ist es eben in Deutschland noch so, dass neben deutschen Staatsangehörigen nur EU-Staatsangehörige das Recht haben, an Kommunalwahlen teilzunehmen. Das will der SSW ändern und am besten in ganz Deutschland. 

15 der 27 Mitgliedstaaten der EU machen uns vor, wie es gehen kann. Sie wenden dabei verschiedene Kriterien an, orientieren sich insgesamt aber an Faktoren wie der Aufenthaltsdauer, dem Aufenthaltsstatus oder auch Gegenseitigkeit mit anderen Staaten. 
Letztlich sind das variable Auswahl- und Ausschlussmechanismen. Aus Sicht des SSW hingegen sollten alle Menschen, die dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt in Schleswig-Holstein haben, hier bei Kommunalwahlen auch wahlberechtigt sein. Wir fügen hier eine weitere Betroffenengruppe hinzu, über die in diesem Zusammenhang selten diskutiert wird, nämlich unsere staatenlosen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es sind nicht viele, aber wir wollen diese Menschen mitdenken und sie nicht, wie es die SPD in ihrem Alternativantrag entschieden hat, außenvor lassen. 

Der Antrag liegt schon etwas länger bei uns in der Schublade. Genaugenommen seit Ende 2019. In der Anhörung zum Gesetz für Integration und Teilhabe sind wir von mehreren Anzuhörenden wieder darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Thema kommunales Wahlrecht noch immer etwas ist, was ganz zentral zu den Integrationsforderungen gehört.  
Und ich muss sagen: mich überzeugt diese Forderung immer wieder von Neuem. 
Gemeindevertretungen und Kreistage üben keine Gesetzgebungstätigkeiten aus, sondern üben verwaltende Tätigkeiten aus, die die Bevölkerung unmittelbar und direkt betreffen. Es leuchtet mir daher ein, wenn meine Mitbürger anprangern, dass sie über Entscheidungen, die in ihrem nahen Lebensumfeld getroffen werden und die sie unmittelbar betreffen, kein Mitspracherecht haben. Alle Menschen würden gerne über Spielplätze, die Aufstellung von Windrädern, Fahrradstraßen oder den Betrieb von Schwimmbädern mitbestimmen dürfen. 
Es leuchtet mir ein, wenn Menschen mir sagen: „Lars, ich kann vor deutschen Verwaltungsgerichten beispielsweise gegen die belastenden Folgen eines Bebauungsplanes klagen. Aber da, wo ich mich im Vorfeld schon hätte einbringen können, wo alle meine Nachbarn mitbestimmen, wer als Vertretung der Gemeinde über diese Pläne entscheidet, da darf ich mich nicht einbringen!“ 

Eine Begrenzung haben wir in unserem Antrag vorgeschlagen, nämlich dass die Personen, die zukünftig von dieser Regelung profitierten, seit mindestens 4 Jahren ständig hier wohnen sollten. Da haben wir uns an unserem Nachbarland Dänemark orientiert, wo zur Kommunalwahl gar nicht mehr nach Staatsangehörigkeit gefragt wird, sondern nur danach, ob die Person, die wählen möchte, seit 4 Jahren fest in Dänemark lebt. In den nordischen Ländern ist das teilweise seit den 70ern und 80ern schon geltendes Recht. 

Ich möchte abschließend noch einmal auf das „Wir“ und die „Anderen“ vom Beginn meiner Rede zurückkommen. „Wir“ ist auch „wir als Politikerinnen und Politiker“, die über die Macht verfügen, das Leben anderer Menschen sehr wirksam mitzubestimmen. Wir als SSW wünschen uns heute ein klares Bekenntnis des Landtags zum aktiven und passiven Wahlrecht von allen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft bei Kommunalwahlen. Wir wünschen uns ein Bekenntnis zu Teilhabe, Mitbestimmung und Integration. Und zu einem „Wir“ als Gemeinschaft, die über die bloße Staatsangehörigkeit schon längst hinaus geht. 

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