Tale · 14.12.2011 Gesetz zur Minderheiten- und Sprachförderung im kommunalen Bereich Minderheitenbericht 2011

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass wir mit dem vorliegenden Minderheitenbericht heute auch den 25.Geburtstag dieses Instruments in der schleswig-holsteinischen Minder-heitenpolitik hätten feiern können. Leider gibt es nichts zu feier, denn fast wie aus einer anderen Welt liest sich heute das Vorwort des damaligen Landtagspräsidenten Rudolf Titzck zur Dokumentation der Landtagsdebatte vom 26.Oktober 1986. Titzck bescheinigte dem Parlament, die Aussprache zum ersten Minderheitenbericht habe in augenfälliger Weise deutlich gemacht: Der Geist der Kieler und der Bonn-Kopenhagener Erklärungen lebt! Gewürdigt wurde in dieser Debatte auch ausdrücklich, dass die Schulkinder der dänischen Minderheit ab 1986 nach den gleichen Sätzen gefördert werden wie Schulkinder an den öffentlichen Schulen. Damit hatte die CDU-geführte Landesregierung einen Paradigmenwechsel eingeleitet. Maßstab für die Minderheitenpolitik war nun die Gleichstellung. Ein Mitglied der dänischen Minderheit sollte Anspruch auf dieselbe finanzielle Förderung von seinem Land haben, wie alle anderen. Gleichzeitig wurde anerkannt, dass die Schulen der dänischen Minderheit mit den öffentlichen Schulen gleichzusetzen waren, weil diese für die Angehörigen der Minderheiten quasi die öffentlichen Schulen darstellten, auch wenn sie sich nach 1945 in freier Trägerschaft befanden.

War der erste Minderheitenbericht 1986 eine Sternstunde in der schleswig-holsteinischen Minderheitenpolitik, dann markiert der Minderheitenbericht 2011 einen absoluten Tiefpunkt. Dabei gab der Regierungswechsel 2009 zunächst keinen Anlass zur Erwartung, dass es zu einer Kehrtwende in der Minderheitenpolitik kommen würde. Noch im Minderheitenbericht 2008 hob Ministerpräsident Carstensen die Gleichstellung der dänischen Schulen ausdrücklich hervor. Heute schert ihn sein Geschwätz von gestern nicht mehr.

Dreh- und Angelpunkt seines Minderheitenberichts 2011 ist die Behauptung, mit der Einführung einer Schuldenbremse in der Landesverfassung habe sich das Fundament der Minderheitenförderung grundlegend geändert – dass auch die Minderheiten nicht von Sparzwängen ausgenommen werden können. Die Argumentation der Landesregierung ist perfide, denn sie unterstellt, dass derjenige, der am Gleichstellungsprinzip festhält, nicht sparen will. Dabei wird verschwiegen, dass die Gleichstellung geradezu automatisch zu einem Sparbeitrag führt. Wenn an den öffentlichen Schulen gespart wird, sinken die Schülerkostensätze und damit auch die Zuschüsse für die dänischen Schulen. Es wird auch verschleiert, dass die Angehörigen der nationalen Minderheiten natürlich immer betroffen sind, wenn gespart wird – als Bürgerinnen und Bürger Schleswig-Holsteins, aber auch durch Kürzungen und Überrollungen bei den Einrichtungen, Vereinen und Verbänden der Minderheiten. Stellvertretend sei hier die prekäre Situation des Nordfriisk Instituut genannt: Anstatt für Planungssicherheit zu sorgen und entsprechende Zielvereinbarungen mit dem Institut abzuschließen, verweigert sich das Land. Stattdessen wird die finanzielle Schlinge weiter zugezogen: Nachhaltige Minderheitenpolitik sieht anders aus.

Die Minderheiten wollen auch ihren gerechten Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. Das Einzige, wogegen wir uns wehren, sind einseitige Kürzungen, die nur die Minderheit treffen. Trotzdem ist der Ministerpräsident nicht müde geworden, gebetsmühlenartig die Kürzungen bei den dänischen Schulen mit dem Verweis auf die Schuldenbremse und die Griechenlandkrise zu begründen. Schleswig-Holstein, so seine Botschaft, kann sich im Gegensatz zu Dänemark keine „richtige“ Minderheitenpolitik mehr leisten. Dass er bei seinem Besuch in Kopenhagen Anfang 2010 sehr vehement noch eine andere Sichtweise vertrat, übergeht er dabei. Dieser plötzliche Sinnes- und Prinzipienwandel verärgert nicht nur viele Menschen in Schleswig-Holstein, er wird auch in Kopenhagen zu Recht als Vertrauensbruch eingestuft. Der Ministerpräsident kann noch so oft behaupten, dass das Verhältnis zu Dänemark gut und vertrauensvoll ist und dass es nicht durch seine Minderheitenpolitik getrübt wird. Es bleibt die Unwahrheit. Die Enttäuschung und Verärgerung über seine Prinzipienlosigkeit in der Minderheitenpolitik ist in Kopenhagen parteiübergreifend. Sie ist auch nicht dadurch geringer geworden, dass diese Position nicht nur im aktuellen Minderheitenbericht verschwiegen wird, sondern dass die dänische Mitarbeit in der deutsch-dänischen Arbeitsgruppe auch noch für die Argumentation der Landesregierung vereinnahmt wurde. Daran vermag auch die eilig nachgeschobene Korrektur wenig zu ändern – zumal sie sich auch nur auf eine von mehreren inkriminierten Passagen bezieht. Für das offizielle Dänemark steht weiterhin fest, dass es keine Alternative zu einer Gleichstellung bei den Schülerkostensätzen gibt – zumal die ausgesprochene Kürzung die Balance bei der Finanzierung der Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland weiter zulasten Dänemarks verschiebt. Und – um gleich der nächsten Mär des Ministerpräsidenten vorzubeugen – Dänemark hat auch die fetten Jahre hinter sich und muss ebenso hart sparen. Der Unterschied ist nur: die Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten und Sozialisten in Kopenhagen haben aber alle das Rückgrat, trotzdem nicht ihre minderheitenpolitischen Prinzipien zu verkaufen.

Das Rückgrat unserer Landesregierung reicht nicht einmal für das Eingeständnis, hier einen kapitalen Fehler begangen zu haben. Stattdessen will man nun durch eine Umetikettierung den gleichen verdorbenen Inhalt als Neuware verkaufen. Der angekündigte Plan, zum 1. Januar 2013 die 100 % im Schulgesetz wieder einzufügen aber gleichzeitig die Berechnungsgrundlage in Bezug auf die Altersversorgung so zu manipulieren, dass am Ende das gleiche herauskommt, ist, um es in der Terminologie des Ministerpräsidenten auszudrücken, eine Ferkelei. Das System des Dänischen Schulvereins ist voll mit der öffentlichen Versorgung vergleichbar und unterliegt den gleichen demographischen Veränderungen. Die Konklusion des Minderheitenberichts, der Dänische Schulverein würde durch die Bestandteile der Schülerkostensätze eine „Besserstellung“ erreichen, ist somit wieder einmal eine Unwahrheit.


Ich möchte nochmals betonen: Der SSW hat die Schuldenbremse mit verabschiedet und die dänische Minderheit hat sich ganz klar dazu bekannt, solidarisch mit sparen zu wollen, so lange nicht einseitig bei der Minderheit gespart wird.Uns ist durchaus bewusst, dass es in den kommenden Jahren auch wenig Aussicht darauf besteht, die Gleichstellung auf weitere Bereiche auszudehnen. Das darf aber nicht heißen, dass die Minderheitenpolitik nun allein mit dem Taschenrechner geführt wird und dass jegliche konzeptionelle Weiterentwicklung unterbleibt. Das Land sollte im Gegenteil die Chance nutzen, seine Minderheitenpolitik qualitativ weiterzuentwickeln. Dazu gehört auch die Frage, wie im öffentlichen Raum mit den Minderheiten- und Regionalsprachen umgegangen wird.

Eben diese Ambition, Minderheitenpolitik konzeptionell neu zu denken, war Mutter der SSW-Initiative für eine Sprachenpolitik für die Minderheiten- und Regionalsprachen. Wir wollten mit einer Änderung der Gemeindeordnung erreichen, dass Minderheiten- und Sprachenpolitik Teil des kommunalen Berichtswesens wird. Denn erst, wenn man vor Ort weiß, was läuft, kann man bewusst das Bestehende pflegen und Neues entwickeln. Der Gesetzentwurf des SSW wird heute leider von der schwarz-gelben Koalition abgelehnt, was aus unserer Sicht einmal mehr deutlich macht, dass weder CDU noch FDP irgendwelche Ambitionen in Bezug auf die Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein haben. Dass lässt sich leider auch in Bezug auf das Friesische feststellen. Zwar hat das Land mir dem ursprünglich von uns eingebrachten Friisk-Gesäts eine gesetzliche Grundlage für die Sprachenpolitik. Dieses muss aber auch konsequent verfolgt werden. Im Schulbereich war es in der Tat ein großer Schritt nach vorne, dass auf Initiative des SSW ein Erlass zum Friesisch-Unterricht erarbeitet wurde. Dennoch wirken sich die Schulschließungen im ländlichen Raum negativ auf den Schulunterricht in friesischer Sprache aus. Im Minderheitenbericht wird deutlich gemacht, dass dieser Unterricht freiwillig ist, was zur Folge hat, dass hier keine Zuverlässigkeit gegeben ist. Es gilt, neue Strukturen für den Friesisch-Unterricht zu schaffen. Wir meinen, dass in einem ersten Schritt der Friesisch-Unterricht an einigen Schwerpunktschulen obligatorisch sein sollte – mit dem Ziel, den Friesisch-Unterricht insgesamt verbindlich zu gestalten.

Eine weitere sprachenpolitische Baustelle ist der Bereich Rundfunk und Fernsehen. Trotz der Einrichtung eines friesischen Radiosenders auf Föhr kommen die Friesen in Schleswig-Holstein - gemessen an internationalen Standards – medienmäßig weiterhin zu kurz. Deshalb komme ich auch heute nicht an der Aufforderung an den NDR vorbei, mehr auf Friesisch zu senden, der Friisk Funk zeigt, dass es funktioniert. Eben dieser Friisk Funk, und das richtet sich wiederum an dieses Haus, ist aber nicht zum Nulltarif zu haben. Die Projektfinanzierung ist auf fünf Jahre begrenzt. Dann wird eine dauerhafte Finanzierung notwendig sein, und damit wird dann auch das Land Schleswig-Holstein seiner Verpflichtung nachkommen müssen.


Die 17. Wahlperiode stellt für die Minderheitenpolitik in Schleswig-Holstein einen historischen Rückschritt dar. Gleichzeitig hat die CDU-FDP-Mehrheit wesentliche, qualitative Verbesse-rungen abgelehnt. Das gilt nicht nur für die Sprachenpolitik, sondern in hohem Maße auch für die Anerkennung der dritten autochthonen Minderheit in Schleswig-Holstein. Dass es abermals nicht gelungen ist, eine Zweidrittelmehrheit für die Aufnahme der Sinti und Roma in den Minderheitenartikel der Landesverfassung zusammenbekommen, ist ein Armutszeugnis sondern Gleichen.

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