Tale · 21.03.2002 Gesundheitssituation der Migrantinnen und Migranten

Menschen, die ihr bisheriges Leben aufgegeben haben, die auf der Flucht sind oder wo anders ihr Glück suchen, sind besonders belastet. Und Menschen sind verletzlich, wenn sie in einem Land leben, des­sen Sprache sie nicht sprechen wie die eigene, deren Kultur und kulturelle Grenzen sie nicht ausrei­chend kennen und deren Bürger sie wie Fremde behandeln. Es kann also niemanden verwun­dern, dass Migran­tinnen und Migranten in besonderem Maße gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt sind.

Andererseits gibt es wohl wenige Bereiche in denen Sprache und kulturelle Verständigung ähnlich wichtig und sensibel sind wie im Gesundheitsbereich. Es geht um die Intimsphäre des Körpers und der Seele. Wer von uns hat nicht schon einmal überlegt, wie man dem Arzt oder der Ärztin sein Problem treffend beschreiben kann? – Und das obwohl wir die deutsche Sprache ungleich besser beherrschen. Wer schon einmal den Versuch unternehmen musste, seine Gefühle treffend in einer Fremdsprache auszudrücken weiß, was eine Therapie in deutsch für die Betroffenen bedeuten kann. Es ist deshalb nachvollziehbar, dass Migrantinnen und Migranten besondere Berührungsängste im Verhältnis zum Gesundheitswesen haben können.

Was aber wirklich überrascht, ist dass dieses anscheinend erst in jüngster Zeit thematisiert wird. Der vorliegende Bericht macht deutlich, dass die Politik sehr spät aufgewacht ist. Offensichtlich ist nur auf das Problem reagiert worden, wo es wirklich anbrennt. Nur dort wo die direkte Kommunikation erforderlich ist, oder wo bestimmte Infektionsrisiken Handlung notwendig machen, hat man sich auf die kulturellen Besonderheiten und sprachlichen Probleme der Migrantinnen und Migranten eingestellt. Die Vermehrte Verordnung von Medikamenten deutet aber auch darauf hin, dass man sich nicht immer die Mühe machen konnte oder wollte.

In diesem Sinne begrüßen wir natürlich, dass dieses Problemfeld jetzt im Rahmen dieser Debatte und vor allem in Verbindung mit dem Integrationskonzept der Landesregierung mehr Aufmerksamkeit erhält. Denn natürlich ist dieses ein wichtiger Bestandteil der Integrationspolitik. Wenn Ungleich­heiten in Bezug auf die Gesundheit abgebaut werden sollen, dann muss das Gesundheitswesen kurzfristig darauf achten, dass es allen Migrantinnen und Migranten einen niedrigschwelligen Zugang bietet, damit sie auch für primäre Präventionsmaßnahmen zugänglich werden und sekundärpräventiv Hilfen in Anspruch nehmen, bevor es akut wird. Und man muss auch dafür sorgen, dass es keine 2-Klassen-Medizin innerhalb der Gruppe der Migranten gibt.

Wir geben der Landesregierung Recht darin, dass der Aufbau von Extraangeboten dauerhaft keine gute Alternative ist. Die allgemeinen Integrationsbemühungen müssen so angestrengt werden, dass die Schwelle zum bestehenden Gesundheitswesen durch sprachliche, kulturelle und soziale Integration möglichst niedrig wird. Neben der beiderseitigen Sprachenförderung bei den Einwanderern und im Gesundheitswesen, und zusätzlich zu dem Einsatz von Dolmetschern und Sprachmittlern wird man aber trotzdem näher nachsehen müssen, ob nicht auch eine verstärkte gesonderte Ansprache erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Leistungen und die Erreichbarkeit für Information und Prävention zu verbessern. Auch angesichts leerer Kassen darf die Einrichtung von Extraangeboten kein Tabu sein. Das gilt insbesondere für den Pflegebereich, denn besonders demente Menschen mit einer nicht-deutschen Muttersprache können im Alter nur über die erste Sprache erreichbar sein.

Wir müssen aber erst einmal wissen, welche Barrieren es überhaupt zu überwinden gilt. Gerade weil die Problemstellung von Migration und Gesundheit noch zu wenig untersucht ist, gibt es noch viel Unwissenheit auf allen Seiten. Eine Gesundheitspolitik zum Abbau dieser Ungleichheiten muss in vielerlei Hinsicht auf einer solideren Grundlage beruhen als es der vorliegende Bericht bieten kann. Deshalb ist es begrüßenswert, dass die Landesregierung eine entsprechende Datenerhebung bereits in die Wege geleitet hat. Wir warten gespannt darauf, welche Ergebnisse dabei herauskommen und welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden.

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